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Treibhausgase: Krieg gegen das Klima

Die Kämpfe in der Ukraine und Gaza haben auch für Natur und Umwelt verheerende Folgen. Erstmals legen Forscher eine Klimabilanz des Militärs vor – auch für Friedenszeiten.
Angriff auf die Energieinfrastruktur
Die durch Kampfhandlungen in der Ukraine verursachten Brände haben in den ersten beiden Kriegsjahren knapp 23 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt. Das Foto zeigt die Folgen eines russischen Angriffs auf ein Wasserkraftwerk bei der Stadt Dnipro.

Die kriegerischen Konflikte in der Ukraine und im Gaza-Streifen haben bereits zehntausende Menschen das Leben gekostet und unermessliches Leid angerichtet. Zugleich sind sie aber auch Umweltkatastrophen von gigantischem Ausmaß. Ungezählte Bomben und Raketen verseuchen Böden, Flüsse und Quellen. Brände verwüsten ganze Ökosysteme. »Unsere Umwelt ist ein stummes Opfer dieses Kriegs«, sagt der ukrainische Umweltminister Ruslan Strilets. »Jeden Tag leidet die Natur unter Angriffen, und jeden Tag werden riesige Mengen an giftigen Schadstoffen in die Luft ausgestoßen, um deren Vermeidung die gesamte zivilisierte Welt andernorts ringt.«

Akribisch erfasst die Regierung in Kiew, welche Schäden die Angriffe in der Umwelt des Landes anrichten, auch um die dadurch entstehenden Kosten den Machthabern in Moskau in Rechnung stellen zu können. Minister Strilets beziffert den Schaden durch Umweltzerstörung auf 100 Millionen Euro – pro Tag. All das soll künftig vor einem internationalen Tribunal vom russischen Aggressor eingeklagt werden. Allein 60 Milliarden Euro plant die Ukraine für mehr als 4000 dokumentierte Fälle von Umweltverbrechen zu fordern, die sie als Ökozid bezeichnet.

Noch deutlich höher dürfte diese Summe ausfallen, preist man eine weitere Konsequenz des Kriegs mit ein: die Klimakosten. Wie viel Treibhausgase durch die Kriegshandlungen und ihre unmittelbaren Folgen ausgestoßen werden, ist schwierig zu erfassen. Trotzdem hat sich in den vergangenen Monaten ein Wissenschaftlerteam an einer ersten CO2-Bilanz des Kriegs versucht. Ein weiteres Forscherteam hat mit dem gleichen Ziel den Konflikt im Nahen Osten analysiert.

Es mag empathielos oder gar zynisch wirken, angesichts der Todes- und Verwundetenzahlen auf Treibhausgasemissionen zu blicken. »Klimaforschung über den Krieg zu betreiben, wenn gleichzeitig jeden Tag Menschen sterben – das kann schnell kaltherzig wirken«, sagt der niederländische Klimaforscher Lennard de Klerk. Er selbst habe Zweifel gehabt. Ukrainische Kollegen hätten ihn jedoch von Anfang an darin bestärkt und Zusammenarbeit angeboten: »Sie sagten: ›Wir wollen zeigen, welchen Schaden der Krieg der ganzen Welt zufügt.‹« Seit dem Kriegsbeginn sammelt de Klerk nun Daten, um die Folgen des Konflikts für das Weltklima zu beziffern. Mit seinem Team hat er inzwischen eine Kohlenstoffbilanz der ersten 24 Monate des Kriegs in der Ukraine vorgelegt.

Getötete Natur | Ein ukrainischer Soldat in einem durch Artilleriebeschuss zerstörten Wald bei Kreminna. Angesichts der Schäden an der Umwelt im Land spricht die ukrainische Regierung von »Ökozid«.

»Die Emissionen aus beiden Kriegen – in der Ukraine und im Gaza-Streifen – sind enorm und müssen stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangen«, findet auch der Klimageograf Benjamin Neimark von der Queen Mary University of London. Gemeinsam mit anderen hat er untersucht, wie viele klimaschädliche Treibhausgase seit dem Überfall von Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres im Gaza-Krieg freigesetzt wurden.

»Die Klimakosten bewaffneter Konflikte sind viel zu groß, als dass wir sie weiter ignorieren dürften«Benjamin Neimark

»Die endgültige Bilanz können wir zwar erst nach dem Ende der Kämpfe ziehen«, sagt Neimark. Schon jetzt aber sei klar: »Die Klimakosten bewaffneter Konflikte sind viel zu groß, als dass wir sie weiter ignorieren dürften.«

Was zählen, was nicht?

Die Klimafolgen eines Kriegs quasi in Echtzeit zu analysieren, ist wissenschaftliches Neuland. Armeen sind notorisch öffentlichkeitsscheu, Details zum militärischen Vorgehen – wie viele Panzer, Flugzeuge, Soldaten und Bomben werden eingesetzt? Wie viele Gebäude wurden zerstört? – unterliegen der Geheimhaltung. Schwierig ist auch die Abgrenzung: Welche Klimafolgen sind »kriegsbedingt«? Zählt man nur, was aus den Motoren der Kriegsmaschinerie austritt? Oder auch, was der Wiederaufbau eines Hauses freisetzt, das noch Jahrzehnte hätte bewohnt werden können, wäre es nicht von einer Artilleriegranate getroffen worden? Wie steht es um die Emissionen, die vermieden worden wären, hätte die Ukraine im Frieden ihre Wirtschaft klimaneutral umbauen können?

Eine einheitliche Methodik dafür gebe es nicht, sagt de Klerk: »Wir sind Pioniere.«

Am Ende entschieden sich die Autorenteams beider Analysen, konservativ vorzugehen und eine enge Definition kriegsbedingter Emissionen zu wählen. So werden in der Gaza-Studie der Treibhausgasausstoß durch die absehbar monate- oder sogar jahrelange Versorgung der Zivilbevölkerung aus der Luft oder durch eine große Flotte aus (im besten Fall) hunderten Lkw pro Tag ebenso wenig einberechnet wie die Klimakosten der Pendeldiplomatie von Heerscharen von Politikern und Diplomaten in der Krisenregion. »Irgendwo müssen wir eine Grenze ziehen«, sagt Neimark. Anderes müsse wegen fehlender Informationen je nach Datenlage ausgespart bleiben. So wurden in der Gaza-Studie die Klimafolgen durch die vielen Brände nicht erfasst, in der Untersuchung zur Ukraine spielen sie dagegen eine gewichtige Rolle.

Zerstörungen im Gaza-Streifen | Beim notwendigen Wiederaufbau des Gaza-Streifens dürften Treibhausgase mit der Wirkung von 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen. Das hat jetzt ein Forscherteam kalkuliert.

Für die ersten zwei Kriegsjahre in der Ukraine errechneten die Forschenden kriegsbedingte Treibhausgasemissionen von 175 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten  – mehr als die jährlichen Emissionen eines hoch industrialisierten Landes wie den Niederlanden.

Erst zerstören, dann wiederaufbauen – für das Klima ist beides schlecht

Ein beträchtlicher, aber bei Weitem nicht der größte Teil der Emissionen entfällt auf unmittelbare Kriegshandlungen: Treibstoffverbrauch für Panzer und Laster, Herstellung und Einsatz von Waffen und Munition und der Bau kilometerlanger Befestigungsanlagen aus Stahl und Beton an der Front schlagen mit annähernd 52 Millionen Tonnen CO2 zu Buche. Damit macht der »heiße Krieg« ein knappes Drittel aller konfliktbedingten Treibhausgasemissionen aus.

Indirekte Effekte sind noch größer. Allein die mehr als 130 000 durch Beschuss ausgebrochenen Brände verursachten knapp 23 Millionen Tonnen Emissionen. Das ist mehr, als die gesamte Volkswirtschaft Litauens pro Jahr verbraucht. Großräumige Umleitungen des zivilen Flugverkehrs um das Kriegsgebiet herum tragen mit weiteren 24 Millionen Tonnen zur Bilanz der indirekten Kriegsfolgen für das Klima bei.

Der größte Teil der kriegsbedingten Klimagase wird aber erst entstehen, wenn die Waffen endlich schweigen. 56 Millionen Tonnen CO2 dürften beim Wiederaufbau der zerstörten Städte, Dörfer und Infrastruktur in die Atmosphäre gelangen, prognostiziert das Team um de Klerk.

Auch im Gaza-Krieg verursachen die direkten Kriegshandlungen nur den kleineren Teil der Emissionen. Laut der Aufschlüsselung für die ersten zwei Monate der Kämpfe summieren sich die CO2 -Emissionen hier auf rund 280 000 Tonnen CO2. Deutlich stärker schlägt der Bau militärischer Infrastruktur wie das hunderte Kilometer lange Tunnelsystem der Hamas und die 65 Kilometer lange israelische Sperranlage zum Gaza-Streifen zu Buche (450 000 Tonnen CO2). Den Löwenanteil der Emissionen wird allerdings wie in der Ukraine auch im Gazastreifen der Wiederaufbau verursachen. Allein für die 100 000 zerstörten Gebäude errechnete Neimarks Team künftige Emissionen von 30 Millionen Tonnen CO2. Das entspräche dem jährlichen CO2-Ausstoß Neuseelands.

Das »schmutzige Geheimnis« der Militärmächte

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten rücken ganz grundsätzlich die Emissionen des Militärs in das Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung. Selbst ohne Krieg ist der Treibhausgasausstoß der weltweiten Streitkräfte enorm. »Das schmutzige Geheimnis ist, dass die Armeen, die sich im Frieden befinden, noch viel mehr Treibhausgasemissionen produzieren als diejenigen, die gerade Krieg führen«, sagt Forscher Neimark. Auch sein Kollege de Klerk sieht die Treibhausgasemissionen durch »heiße Kriege« lediglich als die Spitze des Eisbergs an. »Die Emissionsmaxima während akuter Konflikte können sehr intensiv sein, aber über die Zeit betrachtet sind sie nicht konstant.«

»Wenn wir den Militärsektor ausklammern, werden wir die Paris-Ziele nicht erreichen können«Lennard de Klerk

Anders ist es bei den großen Militärmächten: Patrouillen- und Aufklärungsflüge, Manöver, Kasernenbetrieb, das beständige Verschieben von Material, Munition und Soldaten rund um den Globus. All das findet an 365 Tagen im Jahr statt und macht die Armeen der Welt zu einem der wichtigsten Treibhausgasemittenten überhaupt.

5,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen würden auf das Konto des globalen Militärsektors gehen, befanden die Autoren einer 2022 veröffentlichten Studie. Das ist knapp doppelt so viel, wie die zivile Luftfahrt ausstößt. »Würde das weltweite Militär als ein Land gezählt, wäre dieses Land selbst in Friedenszeiten der global viertgrößte Emittent nach den USA, China und Indien«, veranschaulicht Klimaforscher de Klerk die Verhältnisse.

Militär pocht auf Geheimhaltung

In den Berechnungen des globalen Treibhausgasausstoßes und in den Strategien zum Erreichen der Klimaneutralität fehlt dieser dicke Brocken aber weitgehend. Die Meldung militärischer Emissionen erfolgt im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention seit jeher nur auf freiwilliger Basis, angeblich aus Gründen von Geheimhaltung und nationaler Sicherheit.

»Aber es ist völlig klar, dass es dem Militär darum geht, sich keine Einschränkungen beim Verbrauch von Treibhausgasen auferlegen zu lassen«, meint der Londoner Forscher Neimark. »Es gibt keine verborgene Superwaffe, die erst dadurch bekannt würde, dass die Armeen ihre Treibausgasemissionen offenlegen müssten.«

Allerdings wächst der Druck, den blinden Fleck zu beseitigen. So verabschiedete das Europaparlament im Vorfeld der letzten Weltklimakonferenz COP28 in Dubai eine Entschließung, in der eine transparente Bilanzierung der militärischen Emissionen gefordert wird. Ein Interesse, dem Folge zu leisten, sieht Neimark aber nur bei den wenigsten Regierungen. Die militärischen Emissionen auszuklammern, mache es für die Länder schlicht leichter, ihre Klimaziele auf dem Papier einzuhalten.

Gut getarnte Emissionen | An der Militärübung »Iron Wolf II« auf dem litauischen Truppenübungsplatz Pabrade nahmen 2022 etwa 3500 Soldaten aus zehn NATO-Ländern und 700 Militärfahrzeuge teil. CO2--Sparksamkeit möchte sich das Militär dabei nicht auferlegen lassen.

Selbst der Weltklimarat IPCC sei zu passiv in dieser Angelegenheit, kritisiert Neimark. »Dabei ist es eine Farce anzunehmen, dass das Pariser Klimaziel einer Erderwärmung unter zwei und möglichst unter 1,5 Grad ohne den Beitrag des Militärs erreicht werden kann«, sagt der Forscher.

»Zeitenwende« mit Folgen für das Klima

»Wenn wir den Militärsektor ausklammern, werden wir die Paris-Ziele nicht erreichen können«, sagt auch Klimaforscher de Klerk. »Man käme auch nicht auf die Idee, den gesamten zivilen Luftfahrtsektor zu ignorieren.«

Der Wissenschaftler weist auf eine weitere Klimafolge des Kriegs in der Ukraine hin: Der Beitrag des Kriegs im engeren Sinn mag mit 0,2 oder 0,3 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes klein sein. Aber: »Es ist klar, dass der globale Militärsektor angesichts der politischen Lage insgesamt deutlich wachsen wird.« Ob das 100-Milliarden-Programm der Bundeswehr, der steigende Druck auf die NATO-Mitglieder, das Zwei-Prozent-Ziel für Rüstung auch wirklich zu erreichen, oder die Umstellung der russischen Industrie auf Kriegswirtschaft: All das bleibe ebenso wie die steigende Rivalität zwischen China und den USA auch für den Klimabeitrag der Armeen nicht folgenlos.

Niemand könne sagen, wie stark die steigenden Militärausgaben den Treibhausgasausstoß mit nach oben zögen. »Von 5,5 Prozent vielleicht auf zehn Prozent oder noch höher – wir wissen es nicht«, sagt de Klerk. »Aber wir wissen, dass wir am Ende auf netto Null kommen müssen.« Im militärischen Sektor werde das auch bei größter Anstrengung nicht restlos funktionieren, räumt der Klimaforscher ein. »Den Rest müssen wir dann mit Kohlenstoffsenken kompensieren.«

Naturbasierte Lösungen wie naturnahe Wiederaufforstungen seien der nahe liegende und konkreteste Weg dafür, findet de Klerk. So auch im Fall Ukraine: Veranschlagt man 185 US-Dollar als Preis für die sozialen Folgekosten einer Tonne CO2, dann summiert sich der Schaden, den Russland mit seinem Überfall vom 24. Februar 2022 auslöste, auf mehr als 32 Milliarden Dollar. Dieses Geld – sollte die Ukraine es je von Russland erhalten – könnte nach Meinung des Klimaforschers dafür ausgeben werden, um die Umweltschäden im Land zu reparieren und die Folgen für das Klima zu kompensieren.

»Wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Aber mit der Wiederaufforstung lebendiger Wälder können wir einen Teil der Schäden wiedergutmachen und dafür sorgen, dass künftig wieder Kohlenstoff gespeichert wird«, sagt de Klerk. Wenn das mit einer ökologischen Vielfalt klimaresilienter Baumarten statt mit Monokulturen aus Nadelbäumen geschehe, dann werde der Kohlenstoff sogar dauerhafter gebunden – und auch der durch den Krieg geschundenen Artenvielfalt geholfen.

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