Ukraine: Wo Homo erectus Europa betreten haben könnte
Homo erectus arbeitete sich wohl aus dem Kaukasus kommend westwärts in Richtung Europa vor. Das verraten Funde aus dem äußersten Westen der Ukraine, die ein Wissenschaftlerteam nun auf das Alter von zirka 1,4 Millionen Jahren datiert hat. Damit sind sie deutlich älter als Funde, die weiter westlich gemacht wurden, und jünger als die berühmten Homo-erectus-Funde aus dem georgischen Dmanisi, die auf ein Alter von 1,8 Millionen Jahren datiert werden.
Roman Garba von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Team haben dazu nun im Fachblatt »Nature« publiziert. Sie datierten die bereits seit den 1970er Jahren ausgegrabenen Steinwerkzeuge vom Fundplatz Korolewo mit Hilfe der Aluminium-Beryllium-Methode. Sie verrät, wann Sedimentschichten und die darin enthaltenen Funde zum letzten Mal dauerhaft unter freiem Himmel lagen. Bei frei liegendem Gestein erzeugt der ununterbrochene Teilchenschauer der kosmischen Strahlung im Material radioaktive Isotope. Wird das Gestein dann von jüngeren Schichten bedeckt, wird auch die kosmische Strahlung abgeschirmt, dadurch versiegt der Zuwachs neuer Isotope – und die radioaktive Uhr beginnt zu ticken: Im Lauf der Jahrhunderttausende zerfallen die Atomkerne von Beryllium-10 und Aluminium-26, allerdings in unterschiedlichem Tempo. Misst man ihr heutiges Mengenverhältnis und kennt das ursprüngliche Verhältnis in frei liegendem Gestein, erhält man eine Abschätzung des Alters der Probe.
Für Garba und Team fügen sich die Datierungsergebnisse der ältesten Werkzeuge hervorragend in das Gesamtbild der Ausbreitungsrouten des Homo erectus ein.
Folgt man der Gruppe um Garba bei seiner Rekonstruktion des Homo-erectus-Wanderwegs, dann gelangten erste Vertreter der archaischen Menschenart aus Afrika kommend über die östliche Mittelmeerküste zunächst in den Kaukasus und von dort entlang einer Nordroute ums Schwarze Meer in die Gegend des Donaudeltas. Dem Fluss könnten sie dann in den Westen gefolgt sein, wobei sie offenbar auch Abstecher Richtung Norden machten – etwa in jenes Gebiet der heutigen Ukraine, wo ihre Werkzeuge gefunden wurden: Korolewo liegt an der Theiß, die aus den Karpaten kommend südwärts die Donau erreicht.
Attraktives Gestein
Dass die Menschen hier über Jahrhunderttausende immer wieder hinkamen, lag wahrscheinlich in der Qualität des lokalen Gesteins begründet: Es war hervorragend geeignet, um damit Klingen und andere Werkzeuge herzustellen. In Typ und Machart entsprechen diese Geräte übrigens denen, die man auch aus dem Osten Afrikas kennt.
Die Donauroute führte Homo erectus anschließend erst nach Mitteleuropa und dann auf die Iberische Halbinsel. Dort, in der Sierra de Atapuerca, finden sich umfangreiche Spuren einer frühmenschlichen Besiedlung. Die Werkzeuge und Knochenreste sind bis zu 1,1 Millionen Jahre alt.
Möglicherweise verließ Homo erectus den Kaukasus auch über die Südroute am Schwarzen Meer und wanderte quer durch Anatolien. Dafür spricht der Fund des Schädeldachs von Kocabaş in der heutigen Türkei. Seine Datierung auf mehr als 1,1 Millionen Jahre sei allerdings nicht verlässlich genug für weitergehende Aussagen, heißt es in der Studie.
Korolewo stellt laut Garba und Team wohl zugleich die Nordgrenze des Homo-erectus-Habitats dar. Noch weiter im Norden sei es für die frühen Menschen klimatisch gesehen zu ungemütlich gewesen. Und selbst hier am Südrand der Karpaten hielten sie es wohl nur während ausgesprochen warmer Phasen aus. Drei solche Warmzeiten fallen in jene Jahrhunderttausende, in denen Steinwerkzeuge die Anwesenheit von Homo erectus belegen. Insgesamt scheinen die Vertreter der Art ein Klima, wie es entlang der Mittelmeerküsten herrschte, bevorzugt zu haben.
Noch weiter nördlich werde man auch aus einem weiteren Grund keine derart frühen Hinterlassenschaften mehr finden, schreibt das Team um Garba: Während der letzten halben Million Jahre habe sich bei mindestens zwei Gelegenheiten ein massiver Eisschild bis an die Karpaten geschoben. Alle Überbleibsel früherer Besuche seien dadurch entweder zerstört oder tief begraben worden.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.