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News: Umgang mit Schul-Aggression ist lernbar

Nach Meinung von Psychologen scheint es erwiesen: Falsche Konfliktlösestrategien, die von manchen Kindern aber immer wieder angewandt werden, stabilisieren nach einer Untersuchung der Universität Innsbruck aggressives Verhalten unter Schülern. Pädagogen sollten für die Wahrnehmung solcher Defizite sensibilisiert werden, um rechtzeitig Hilfestellung geben zu können.
Schüler, die andere häufig schikanieren, aber auch Kinder, die immer wieder zur Zielscheibe von Attacken werden, wenden – in der Schule und zu Hause – immer wieder dieselben, unbrauchbaren Konfliktlöse-Strategien an. Dies konnte ein Wissenschafter-Team des Instituts für Psychologie der Universität Innsbruck jetzt im Rahmen eines Forschungsprojekts an mehreren Tiroler Hauptschulen nachweisen. Die Forscher um die Psychologinnen Barbara Juen und Verena Ganzer sehen in diesem Ergebnis einen Ansatzpunkt für präventive psychologische Arbeit.

Bei der Diskussion über Gewalt in den Schulen stehe derzeit oft die Frage der Verantwortung im Mittelpunkt: "Die Schule schiebt die Schuld auf die Familie, die Familie im Gegenzug auf die Schule", konstatiert Barbara Juen, eine der Studienautorinnen, im Gespräch mit dem APA-JOURNAL Bildung. Dies sei der falsche Weg, um jugendliche Opfer und Täter von ihrem unheilvollen Weg abbringen zu können.

Feindseliges Verhalten entstehe nicht von heute auf morgen, bekräftigt Juen. Schon in der Kindergartengruppe und zu Beginn der Schulzeit zeigen einige Kinder in ihrem sozialen Verhalten einen Mangel an Problemlösungskompetenz, erkennbar zum Beispiel an provokativem Verhalten und der Unfähigkeit, auf andere Kinder zuzugehen. Diese noch unabsichtlich benutzten Verhaltensweisen können, wenn sie von Lehrern und Erziehern rechtzeitig erkannt werden, noch relativ einfach durch frühzeitige Einübung konstruktiver Verhaltensformen verändert werden. Später verfestigten sich Täter- und Opferrolle, und gegenseitige Erwartungen und Unterstellungen erschwerten die Aufarbeitung, meint die Psychologin.

Die Ergebnisse der Untersuchung an Tiroler Hauptschulen sind nach Aussage von Juen durchaus verallgemeinerbar. Sie zeigten unter anderem, daß es häufig zur Bildung von "Risikogruppen" innerhalb der Klassen kommt. In jenem Fragebogen, mit dem die Häufigkeit von Gewaltakten in der Schule erhoben wurde, geben der Studie zufolge etwa zehn Prozent der Schüler an, andere mehrmals in der Woche zu schikanieren. Ungefähr fünf Prozent werden nach ihrer eigenen Aussage im gleichen Zeitraum mehrmals zum Opfer von Attacken. Ein zweiter Bogen enthielt Fragen zum Verhalten in Konflikt- und Streßsituationen und beleuchtet die Problemlöse-Strategien der beiden Gruppen.

Die Tätergruppe bevorzugt auch in alltäglichen Konfliktsituationen in der Schule und zu Hause aggressive Strategien wie Schlagen, Schreien oder wütend werden. So zum Beispiel, wenn ein anderes Kind sich weigert, einen Bleistift herzuborgen oder wenn die Eltern bei Hausaufgaben Druck ausüben. Die zur Gruppe der Opfer gehörenden Kinder nehmen vor allem zu Rückzugs- und Vermeidungs-Strategien Zuflucht. Bei beiden Gruppen fällt eine gering ausgeprägte Fähigkeit zu problemorientierten Vorgangsweisen auf, wie beispielsweise das Erbringen von Lösungsvorschlägen oder Ausdiskutieren des Konflikts, so die Forscherin.

6,3 Prozent der Mädchen und 5,8 Prozent der Buben geben an, mehrmals pro Woche schikaniert zu werden. Bei den Tätern überwiegen männliche Schüler mit 14,5 Prozent deutlich. Nur 1,6 Prozent der Mädchen attackieren Mitschüler öfters. Bei der Gruppe der aggressiven Kinder fällt auf, daß sie Konflikten gleichgültig gegenüberstehen. Strategien zur Streßbewältigung, wie sich bei Ärger und Wut verbal Luft zu machen oder Unterstützung bei Freunden und Familie zu suchen, werden selten angewandt. Das weise auf mangelnde Fähigkeiten für erfolgreiche Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen hin, bestätigen die Psychologinnen.

Wesentlich für die Entspannung der Situation ist den Erfahrungen der Psychologinnen zufolge die Möglichkeit, die gesamte Gruppe oder Klasse in einen umfassenden Lernvorgang miteinzubeziehen. Denn während Kindern in der Opferposition durch Änderung der persönlichen Strategien geholfen werden kann, wird den Tätern weiterhin Mißtrauen entgegengebracht. Nach längerer Auffälligkeit bekommen sie unter Umständen keine Chance, neu gelerntes Verhalten durchzuhalten. In solchen Fällen sei nur noch ein Wechsel in eine neue Umgebung zielführend.

Gewalt in der Schule überhöht zu bewerten, "als ob es etwas völlig Neues wäre", findet Juen bedenklich, ebenso sie als reines Schulproblem abzustempeln. "Aggressivität hat es auch schon früher gegeben", sagt sie, und die Diskussion über Gewalt als Tabuthema in der Öffentlichkeit anzuheizen sei "eine gefährliche Tendenz, die die Stigmatisierung der Täter noch verstärke". Die Angst, bald mit ähnlichen Verhältnissen wie in den USA konfrontiert zu werden, bezeichnet sie als irrational, da in diesem Land die besonderen Lebensumstände und der verbreitete Waffenbesitz eine entscheidende Rolle bei der an Schulen beobachtbaren Gewalt spielten.

Neu gelernte Konfliktlöse-Strategien geben Tätern und Opfern die Möglichkeit, nicht nur in der Schule, sondern auch in der Familie problemorientierte Verhaltensweisen einzusetzen, ist sie sicher. Für die Täter belegten die Ergebnisse der Studie auch die Notwendigkeit der Aneignung von Entspannungstechniken in stressreichen Situationen, um Affekthandlungen vorzubeugen, betont die Wissenschaftlerin.

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