Umweltschutz: "Die Meere sind am Ende"
Spektrum.de: Herr Pörtner, wie geht es unseren Ozeanen?
Hans-Otto Pörtner: Kurz gesagt – zunehmend schlechter! Wir beobachten physikalische, chemische und biologische Veränderungen im Meer, die durch den Klimawandel und den immer noch steigenden Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre ausgelöst werden. Um diese Prozesse zu stoppen, brauchen die Weltmeere eine sofortige und umfassende Reduktion der Treibhausgasemissionen durch den Menschen. Anderenfalls können weiträumige und größtenteils unumkehrbare Schäden im Lebensraum Meer eintreten, von deren Folgen vor allem die Entwicklungsländer betroffen sein werden.
Was sind für Sie die wichtigsten Veränderungen?
Da ist zunächst einmal die Erwärmung der Ozeane zu nennen. Seit den 1970er Jahren haben die Ozeane rund 93 Prozent der durch den verstärkten Treibhauseffekt von der Erde zusätzlich aufgenommenen Wärme gespeichert und damit die Aufheizung des Planeten verlangsamt. Schon die Untersuchungen des fünften IPCC-Reports zeigten, dass es bis in Wassertiefen von 700 Metern eine relative Erhöhung der Temperatur gibt. Dass so etwas nicht ohne Folgen für die Meeresbewohner bleiben konnte, liegt auf der Hand. Viele der dort ehemals heimischen Arten wanderten innerhalb nur eines Jahrzehnts bis zu 400 Kilometer weiter ab, was zunehmend zu einer Mischung der Ökosysteme führt und sie aus dem Takt bringt.
Stichwort Ozeanversauerung
Beim Gasaustausch zwischen Atmosphäre und Ozean nimmt das Meerwasser zusammen mit den anderen Gasen der Luft auch Kohlendioxid auf, das im Meerwasser zu Kohlensäure reagiert. Sie senkt den pH-Wert ab und lässt die Ozeane zunehmend versauern. Die Forscher unterscheiden bei der Ozeanversauerung zwei Reaktionen: Wenn Wasser mit Kohlendioxid zu Kohlensäure reagiert, werden Hydrogenkarbonationen und Wasserstoffionen freigesetzt, die zur Absenkung des pH-Werts, also zu einer Steigerung des Säuregrads führen. Ein Teil der freigesetzten Wasserstoffionen reagiert mit den in Meerwasser reichlich vorhandenen Karbonationen zu Hydrogenkarbonat. Ähnliche Reaktionen finden auch in den Körperflüssigkeiten der Organismen statt. Zwar puffert die Bildung des Hydrogenkarbonats in beiden Reaktionen zwar einerseits die Ansäuerung ab, andererseits entzieht sie dem Wasser beziehungsweise den Körperflüssigkeiten dabei aber auch erhebliche Mengen der Karbonationen. Meeresorganismen wie Algen und Plankton, Muscheln, Schnecken, Seeigel oder Korallen benötigen diese, um ihr Kalkskelett intern aufzubauen.
Dramatische Veränderungen sind zudem für die Tiefsee zu erwarten, da die dichte- und temperaturabhängige Tiefenwasserbildung sich zu verlangsamen scheint. Als Folge wird die Versorgung der Tiefsee mit Sauerstoff schlechter. Gleichzeitig wird sich die Schichtung warmer und kalter Wasserschichten verstärken, was deren Durchmischung verhindert. Dadurch werden sich die bereits existierenden Sauerstoffminimumzonen (Anm. d. Red.: allgemein als Todeszonen bekannt) ausweiten – und sich durch zunehmende Nährstoffzufuhr an den Küsten ständig neue bilden. Weitere Aspekte der Erwärmung sind, dass das Abschmelzen der Eismassen in Grönland und der Westantarktis zum globalen Meeresspiegelanstieg beiträgt und die Lösungsfähigkeit für Gase aus der Luft sinkt. So verlieren die Ozeane auch zunehmend ihre Funktion als Kohlendioxidsenke.
Kohlendioxid ist ein gutes Stichwort: Was passiert damit im Meer?
Zwischen Luft und Ozean findet ein permanenter Gasaustausch statt. Steigt der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre, nimmt auch die Konzentration des Gases in den oberflächennahen Schichten des Ozeans entsprechend zu. Haben die Weltmeere bisher als gigantischer Speicher und damit als "Senke" gedient, so führt der Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Luft von 278 parts per million (ppm) aus vorindustrieller Zeit auf heutige etwa 400 ppm dazu, das in den Ozeanen grundlegende chemische und biochemische Veränderungen in Gang gesetzt wurden.
Ein wesentlicher Prozess ist die so genannte Ozeanversauerung. Im Meerwasser löst sich Kohlendioxid zu Kohlensäure und senkt dadurch messbar den pH-Wert der Ozeane. Mit dramatischen Folgen für ihre Bewohner: Es stört den Stoffwechsel von Organismen, die Kalkschalen bilden, wie Korallen, Muscheln und Planktonorganismen, die im saureren Wasser ihre Kalkskelette schlechter ausbilden können. Neben den unmittelbaren Folgen für die betroffenen Arten wirkt sich das letztlich auf die gesamten ozeanischen Nahrungsketten bis hin zu uns aus.
In der neuen Studie haben Sie zwei mögliche Szenarien für die Zukunft der Meere entwickelt. Wie sehen diese aus?
Wir haben die Kernaussagen des fünften Weltklimaberichts sowie aktuelle Fachliteratur zusammengefasst und in Hinblick auf die physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse im Ozean neu bewertet. Dazu berücksichtigten wir die regionale Belastung der Ökosysteme durch menschliche Aktivitäten. Bei den Prognosen haben wir uns auf zwei Emissionsentwicklungen beschränkt: Szenario eins lautet "Wir bleiben unter zwei Grad Celsius Erwärmung" – mit allen nötigen Konsequenzen zur Emissionsminderung –, während wir im zweiten Fall weitermachen würden wie bisher.
Was leiten Sie aus den Szenarien ab?
Wenn es der Menschheit gelingt, den Anstieg der Lufttemperatur bis zum Jahr 2100 auf unter zwei Grad Celsius zu beschränken, steigt das Risiko trotzdem für tropische Korallen sowie Muscheln in niedrigen bis mittleren Breiten auf ein kritisches Niveau, da sie dennoch mit den steigenden Temperaturen kaum noch zurechtkommen werden. Andere Probleme bleiben in diesem Fall eher moderat. Für diese bestmögliche Option müssen wir jedoch schnell und umfassend den Kohlendioxidausstoß senken. Bleiben die Emissionen dagegen auf dem Stand von 2013 mit 36 Gigatonnen pro Jahr oder steigen weiter, wird sich die Situation der Meere dramatisch verschärfen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden die Veränderungen bis zum Ende dieses Jahrhunderts nahezu alle Ökosysteme der Ozeane betreffen und den Meereslebewesen nachhaltig Schaden zufügen. Dies wiederum hätte gravierende Auswirkungen auf alle Bereiche, in denen der Mensch den Ozean nutzt – sei es in der Fischerei, im Tourismus oder beim Küstenschutz.
Was möchten Sie den Delegierten zur Pariser Weltklimakonferenz im Herbst (COP21) mit auf den Weg geben?
Unsere Studie zeigt sehr deutlich, dass jegliches Kohlendioxid, das wir heute ausstoßen, unser Erdsystem für künftige Generationen verändert. Da das System träge ist, werden die Kohlenstoffmenge, der Grad der Versauerung, die aufgenommene Wärme und der Meeresspiegel für viele Jahre weiter steigen – selbst nachdem wir den Ausstoß stabilisiert haben. Wir müssen wissen, dass irreversible Veränderungen im Ozean mit steigenden Emissionen zunehmend wahrscheinlicher werden. Das unterstreicht, wie wichtig rasches Handeln ist. Den Delegierten, die nach Paris fahren, würde ich daher drei Dinge mit auf den Weg geben: Erstens, mit jedem weiteren Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre verringern sich die Chancen zum Schutz, zur Anpassung und zur Regeneration der Meere. Zweitens liefert allein schon der gegenwärtige Zustand der Weltmeere überzeugende Argumente zum Klimaschutz. Und drittens ist jede neue politische Klimavereinbarung, die das Schicksal der Ozeane außer Acht lässt, von vornherein unzureichend.
Neben allen schlechten Nachrichten gilt aber auch, dass wir derzeit die Möglichkeit haben, die Folgen des Klimawandels abzumildern, indem wir den Ausstoß von Treibhausgasen massiv einschränken. Noch ist, bildlich gesprochen, die Tür zum Handeln einen Spalt weit geöffnet – nur schließt er sich bei weiterem Nichtstun umso schneller. Jedes "eingesparte" zehntel Grad Celsius unterhalb des "Zwei-Grad-Ziels" hilft dem Meer – und damit der Menschheit!
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