Unbewusste Einstellungen: Männer halten wir eher für genial als Frauen
Professuren, Nobelpreise, Spitzenpositionen: Über Jahrzehnte gingen sie mehrheitlich an Männer. Und noch heute sind Frauen in Wissenschaft und Technologie unterrepräsentiert, wenn es um prestigeträchtige Posten und Auszeichnungen geht. Eine Studie im »Journal of Experimental Social Psychology« untersuchte nun, ob dahinter ein Stereotyp stecken könnte: Assoziieren wir »Genie« mehr mit Männern als mit Frauen? Anders gesagt: Sprechen wir Männern eher herausragende Fähigkeiten zu?
Fragt man direkt danach, so verneinen Versuchspersonen überwiegend, berichtet das Team aus zwei Psychologinnen und zwei Psychologen. »Wenn, dann behaupten die Leute, dass sie Frauen mit Brillanz assoziieren. Doch die impliziten Maße erzählen eine andere Geschichte«, sagt Tessa Charlesworth von der Harvard University in einer Pressemitteilung.
Um unbewusste Einstellungen zu ergründen, griff das Team zum so genannten Impliziten Assoziationstest (IAT). Dabei sortierten die Versuchspersonen unter Zeitdruck Begriffe und Bilder am Computer: Sie sollten immer dann dieselbe Taste drücken, wenn entweder ein Begriff (»brillant«) oder eine bestimmte Art von Bild auftauchte – mal das Bild eines Mannes, mal das einer Frau. Die Logik dahinter: Je schneller wir reagieren, desto leichter fällt uns die Aufgabe, und das lässt darauf schließen, dass die beiden Konzepte im Kopf eng miteinander verbunden sind.
Bei mehr als 3600 Versuchspersonen aus knapp 80 Ländern verglich die Gruppe mit dieser Methode die unbewussten Assoziationen zwischen Mann beziehungsweise Frau und sechs Eigenschaften. Verglichen etwa mit Eigenschaften wie »kreativ« und »lustig« reagierten die Versuchspersonen schneller auf die Kombination von »brillant« mit einem Mann (und nicht mit einer Frau). Allein die Eigenschaft »stark« war noch enger mit dem männlichen Geschlecht verbunden. Und das galt für männliche und weibliche Versuchspersonen, für Erwachsene und Kinder, wie die Forschungsgruppe schreibt: Sie alle assoziierten Brillanz enger mit einem Mann als mit einer Frau, und zwar ebenso sehr wie Mann und Karriere beziehungsweise Frau und Familie.
Solche Stereotype und unbewussten Einstellungen beeinflussen, wie wir Informationen suchen und verarbeiten – bevorzugt jene, die unsere vorgefassten Meinungen bestätigen. Und sie entwickeln sich schon sehr früh, wie Koautor Andrei Cimpian 2017 gemeinsam mit anderen Kollegen beobachtet hatte: Mit fünf Jahren unterschieden Kinder noch nicht zwischen Jungen und Mädchen, wenn es um die Eigenschaft »sehr klug« ging. Doch mit sechs Jahren änderte sich das: In diesem Alter sprachen Mädchen das Merkmal seltener ihrem eigenen Geschlecht zu, als Jungen das umgekehrt für sich taten. Und zu dieser Zeit begannen die Mädchen auch, Aktivitäten zu meiden, die vermeintlich nur für »sehr kluge« Kinder geeignet waren. Daraus schlossen Cimpian und sein Team, dass sich das veränderte Konzept unmittelbar auf die Interessen auswirkt. Die aktuelle Studie legt nahe, dass sich das bis ins Erwachsenenalter fortsetzt, wie die Autoren folgern: »Die implizite Assoziation hält Frauen von prestigeträchtigen Berufen fern.«
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