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Sprache: Und morgen kommt der Erdbeerschorsch

Wie Sprache im Gehirn verarbeitet wird, was Sprache für das soziale Leben bedeutet, ob auch Tiere richtige Sprachen beherrschen oder nur der Mensch, wie Babys während ihrer Entwicklung sprechen lernen, welche Auswirkungen Hirnschädigungen auf die verschiedenen Elemente von Sprache haben, das alles diskutierten Experten und Publikum am Wochenende in Nürnberg.
"Neuronen im Gespräch"
Die Meinung, dass Sprache allein den Menschen auszeichnet, gilt bei Wissenschaftlern längst als überholt. Denn auch Menschenaffen lernen Wörter und einfache Sätze. "Aber die Grammatik, also das komplizierte 'Regelwerk' für für die Bildung von Wortformen und ihre Funktion im Satz, hat sich offenbar nur beim Menschen entwickelt", ist Angela Friederici überzeugt. Die Leiterin des Fachbereichs Neuropsychologie am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften hat das gut besuchte Symposium "Neuronen im Gespräch – Sprache und Gehirn" des Nürnberger Wissensmuseums "turm der sinne" mitorganisiert: Forschung meets Öffentlichkeit.

Bedeutsame Aussetzer

Podiumsdiskussion | Gut besucht war das Symposium "Neuronen im Gespräch – Sprache und Gehirn" des Nürnberger Wissensmuseums "turm der sinne": Wissenschaftler erklärten interessierten Besuchern Grundlagen und Neuigkeiten aus ihrem Forschungsfeld.
Dass Sprache ein komplizierter Vorgang ist, dass das Aussprechen eines Wortes der Ablauf mehrerer Teilschritte ist, das beobachtete im 19. Jahrhundert zum ersten Mal der französische Forscher Paul Broca, erzählte Museumsleiter Rainer Rosenzweig. Ein Patient konnte nach einem Schlaganfall nur noch eine einzige Silbe aussprechen, obwohl sein Verstand weiterhin funktionierte. Viele Patienten mit derartigen Schäden im "Broca-Areal" sprechen nur im Telegrammstil. Diese Beobachtung war ein wichtiger Schritt in der Hirnforschung, denn sie erlaubte die Schlussfolgerung, dass die Fähigkeit, nach Grammatikregeln zu denken, in einer ganz bestimmten Hirnregion angesiedelt ist. Schäden in anderen Hrnarealen führen zum Beispiel zu Störungen der Aussprache, wie der Neurolinguist Walter Huber von der Technischen Hochschule in Aachen mit Videobeispielen anschaulich machte. Spannend ist dabei der Vorgang, wie nach einem Schlaganfall andere Hirnteile die Aufgaben des geschädigten Gewebes übernehmen können, sei es durch den normalen Heilungsprozess, sei es durch intensives Training.

Kleine sprachliche Fehlleistungen – für die Hirnforscher aber durchaus aufschlussreich – sind auch Versprecher oder "Verhörer", "Mondegreens" genannt, wie der Psychologe Werner Deutsch von der TH Braunschweig sehr humorig in Szene setzte: In einem alten englischen Lied wurde einst die Phrase "and layed him on the green" missverstanden, daraus entstand die "Lady Mondegreen". Axel Hacke nutzte ein anderes Beispiel für den Titel seines Buches "Der weiße Neger Wumbaba" – ursprünglich nach der Zeile "der weiße Nebel wunderbar" aus dem Lied "Der Mond ist aufgegangen". Hieraus las Deutsch einen Abschnitt vor: Ein kleines Mädchen kam aus der Schule und erzählte seiner Mutter, am nächsten Tag müsse es sich fein anziehen, der "Erdbeerschorsch" käme in die Schule. Auf Nachfrage erklärte die Schule, nein, es sei natürlich der "Erzbischof".

Neuland Sprache

Wie auch bei diesem Beispiel betonten etliche Referenten, dass das Erforschen von Schäden und Fehlern viel dazu beitrage, mehr über normale Hirnfunktionen zu erfahren – eine Grundvoraussetzung für Therapien, zum Beispiel für Schlaganfallpatienten. Andersherum erkunden Wissenschaftler, wie Tricia Striano, Manuela Friedrich und Stephanie Höhl vom Leipziger Max-Planck-Institut, wie Säuglinge, die sich problemlos entwickeln, Sprache und Kommunikation lernen. Die Arbeitsgruppe kann auf diese Weise vergleichen und Schlüsse ziehen, was zum Beispiel bei autistischen Kindern fehlerhaft abläuft.
"Dann haben wir ein soziales Problem"
(Matthias Schlesewsky)
So reagieren diese nicht auf Blickkontakt, der eine entscheidende Voraussetzung für Kommunikation, für Lernen und für "geteilte Aufmerksamkeit" ist. Babys brauchen für ihre Entwicklung die Teilnahme und Wertung von Erwachsenen, um sich in dem "Neuland" ihrer Welt orientieren zu können. "Wenn Sie in ein fremdes Land kommen, beobachten Sie, wie die Menschen sich dort verhalten und orientieren sich daran", verdeutlichte Stephanie Höhl diesen Prozess.

Kinderleicht? | Kinderleicht? Um richtig sprechen zu lernen, brauchen Babys die Teilnahme und Wertung von Erwachsenen. Nur dann können sie sich in diesem "Neuland" ihrer Welt orientieren.
Diese Beobachtungen und Ergebnisse bestätigen Erfahrungen von Eltern, die zwar nicht neu, aber gesellschaftlich weit reichend sind: "Die frühkindliche Entwicklung vollzieht sich stehts im sozialen Kontext", betonten die Referentinnen. Mit acht bis zehn Monaten verstehen Kinder die ersten Wörter, um den ersten Geburtstag sprechen sie zum ersten Mal selbst Wörter aus. Vorher erlernen sie aber vielfältige Fähigkeiten. Wenn nun Erzieherinnen in Kindergärten berichten, dass Dreijährige zwar mühelos im Telegrammstil die Funktion eines Videorekorders erklären, aber nur unvollständige Sätze mit einem kleinen Wortschatz sprechen, "dann haben wir ein soziales Problem, denn die Kinder können eigentlich reden", stellt der Neurolinguist Matthias Schlesewsky von der Universität Marburg fest.

Wie das menschliche Gehirn mit einer immer gleichen Bauart mehrere tausend verschiedene Sprachen lernen kann, erforschen Ina Bornkessel von dem Leipziger Max-Planck-Institut und Matthias Schlesewsky, die zu diesem Zweck das neue Forschungsfeld der "Neurotypologie" gründeten. Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim Sprachverständnis spiegeln sich auch in der Hirnaktivität wider, die in Labors mit bildgebenden Verfahren sichtbar gemacht wird.

Mentales Lexikon

Lesen ist die zentrale Basis für das Leben in einer Informationsgesellschaft, doch viele Menschen beherrschen es nicht. Wie sich die Kulturtechnik Lesen entwickelte, wie sich das Gehirn darauf einrichtete und warum viele Kinder Probleme dabei haben, erkundet Arthur Jacobs von der Freien Universität Berlin. Eines seiner Ziele ist, die Hirnprozesse beim Lesen zu klären, um Störungen frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Am besten verstanden sei der Vorgang, bei dem der Lesende einzelne Wörter erkennt. Nach einer Zehntelsekunde aktiviert das Gehirn nacheinander die Regionen, die das Schriftbild, Laute und Sprachbedeutung wahrnehmen und verarbeiten. Faszinierend ist dabei "der Zugriff auf das mentale Lexikon, durch den all das, was wir über ein Wort wissen, schlagartig ins Bewusstsein gelangt", wie Jacobs erklärte.

Überraschend für viele Nicht-Experten war offenbar, dass Gebärdensprache eine vollständige natürliche Sprache mit einer kompletten Grammatik ist.
"Es hat mich überrascht, wie stark sich doch die Kommunikation bei Mensch und Tier unterscheidet"
(Julia Fischer)
Sie habe gegenüber der gesprochenen Sprache sogar den Vorteil, dass sich damit mehrere Information gleichzeitig ausdrücken lassen, wie Markus Steinbach von der Universität Mainz erklärte.

Ebenso auf Erstaunen stieß, dass die Verarbeitung von Musik im Gehirn ählich abläuft wie die von Sprache. Der studierte Musiker und Psychologe Stefan Kölsch, ebenfalls am Leipziger MPI, zeigte die Parallelen der Verarbeitung von Musik und Sprache im Gehirn auf. Wie Musikunterricht die sprachliche Entwicklung von Kindern fördert, erklärt sich so auf einmal ganz einfach: Wer in musikalischer Syntax trainiert ist, erkennt Ungereimtheiten in einer Akkordfolge ebenso leicht wie Fehler in einem Text.

Sprache: typisch menschlich?

Tiere, selbst nicht menschliche Primaten, sind zu einer so komplizierten Sprachverarbeitung nicht in der Lage. Das bestätigten auch die Studien der Primatenforscherin Julia Fischer von der Universität Göttingen. "Es hat mich überrascht, wie stark sich doch die Kommunikation bei Mensch und Tier unterscheidet", so ihre Erkenntnis.

Einer der führenden deutschen Sprachwissenschaftler, Manfred Bierwisch, brachte es auf den Punkt: "Was als Sprachfähigkeit beim Erbgut des Menschen hinzukam, ist Fähigkeit, Symbole zu kombinieren, also Signale, die mit Konzepten verknüpft werden." Diese Leistung schaffe kein anderes Lebewesen in dieser Form. Das machen den Menschen aber keineswegs zur "Krone der Schöpfung" – darüber waren sich die Referenten in der abschließenden Diskussion einig.

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