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News: Und weg war das genetische Erbe

In einer funktionierenden Beziehung werden nicht nur die Rechte sondern auch die Pflichten geteilt. Wie bei den großen Tieren, so gilt es auch auf kleinen Skalen. Irgendwann zu Beginn der Evolution gingen die Cyanobakterien eine Symbiose mit den Vorläufern der heutigen Pflanzenzellen ein. Die Bakterien beschafften die Energie und wurden dafür von ihrem Partner versorgt. Der Preis: die totale Abhängigkeit. Wie Wissenschaftler unlängst feststellen konnten, hat zumindest eines dieser Cyanobakterien dabei fast seinen gesamten genetischen Code eingebüßt. Nur noch wenige eigene Gene konnten in seinem Inneren entdeckt werden, wobei erstaunlicherweise jedes auf einem eigenen Chromosom sitzt.
Als Tom Cavalier-Smith mit seinen Kollegen von der University of British Colombia in Vancouver versuchte, die Gensequenz einiger Chloroplasten zu analysieren, stieß er bei dem Dinoflagellaten Heterocapsa triquetra, einer marinen Alge, auf gerade noch zehn eigene Gene.

Chloroplasten haben eine ungewöhnliche evolutionäre Geschichte: Nach der Endosymbionten-Theorie waren sie einst eigenständige Bakterien, bevor die Vorläufer der heutigen Pflanzenzellen sie sich im warsten Sinne des Wortes "einverleibt" hatten. Im Zellinneren wurden diese Cyanobakterien jedoch nicht zersetzt, sondern gingen mit ihrem Wirt eine Symbiose ein. Sie sorgten über die Photosynthese für die Energieversorgung, während die Wirtszelle sich um fast alles weitere kümmerte. Vergleiche mit heute noch eigenständig lebenden Cyanobakterien zeigen, daß DNA-Sequenzen aus den einstigen Bakterien in den Kern der Wirtszelle wechselten. In die dortige DNA eingebaut produzieren sie nun einige der Proteine für die Chloroplasten. Die Cyanobakterien degenerierten zu einfachen Zellorganellen. Nur ein Teil ihres Erbmaterials von vielleicht ein- bis zweihundert Genen konzentriert sich noch auf einem einzigen ringförmigenChromosom. Daß es auch Pflanzen gibt, deren Chloroplasten noch weniger Gene halten konnten, war bislang nicht bekannt.

Wie Cavalier-Smith am 8. Juli 1999 in Nature veröffentlichte, konnte sein Team in den Chloroplasten von Heterocapsa triquetra weder ein Gen für die Transfer-RNA, ribosomale Proteine oder die RNA-Polymerase entdecken. Obwohl diese Gene in anderen Chloroplasten entscheidende Funktionen übernehmen, fehlen sie hier gänzlich. Der größte Teil der zehn verbliebenen Gene trägt ausschließlich die Bauanleitung einiger für die Photosynthese wichtigen Proteine.

Jedes der zehn Gene besitzt sein eigenes kleines, kreisförmiges Chromosom, jeweils eine kurze Folge von zwei- bis dreitausend Base-Paaren der DNA, deren Enden zu einem Ring verbunden sind. Nie zuvor, betont Cavalier-Smith, wurde in Chloroplasten derartig wenig Erbmaterial gefunden. Sein Kollege Jeffrey Palmer von der University of Indiana in Bloomington vermutet, daß die Koordination vieler Mini-Chromosome während der Zellteilung zu kompliziert wurde, so daß mit der Zeit einfach Informationen verloren gingen. Das war dann wohl der Preis, den die Cyanobakterien zahlen mußten: Sie wurden genetisch "enterbt".

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