Evolution: Unerwünschter Lotus-Effekt
"Wer am besten angepasst ist, der überlebt", so lautet stark verkürzt eine der Kernaussagen von Darwins Evolutionstheorie. Wo aber der Mensch unkontrolliert im Sinne einer Profitsteigerung eingreift, hilft auch die beste Anpassung nicht - da wächst häufig bald gar kein Gras mehr.
Um Irrtümer von vornherein auszuschließen: Die Schnee-Lotusblumen der Gattung Saussurea haben gar nichts mit dem für seinen wasser- und schmutzabweisenden Effekt bekannten Lotus (Nelumbo nucifera), dem ostasiatischen Symbol der Reinheit, gemein. Denn rein botanisch sind sie überhaupt nicht mit dem echten Lotus – einer Wasserpflanze – verwandt; sie gehören stattdessen zur Familie der so genannten Korbblütler, zu denen etwa der heimische Löwenzahn oder das Gänseblümchen zählen. Und schließlich wachsen sie auch nicht in lieblichen Zierteichen von Klöstern oder chinesischen Gärten, sondern in der rauen Bergluft des Himalaja Tibets und Yunnans in Höhen über 4000 Meter.
Zu diesem schon gewaltigen Marktpotenzial kommt zusätzlich das etwas kuriose Äußere der beiden Arten, das sie für kommerzielle Nutzung noch attraktiver macht: Beide blühen nur einmal in ihrem langen Leben, dann aber gewaltig – sie treiben einen relativ großen und je nach Art weiß- oder rotfilzigen Blütenstand aus, bilden Samen und sterben.
Und genau hier beginnen die Probleme für die Pflanzen, wie jetzt eine Studie von Wayne Law und Jan Salick vom Botanischen Garten von Missouri in Saint Louis nachweisen konnte. Die beiden Botaniker widmeten sich dem Einfluss menschlicher Sammelleidenschaft auf das Größenwachstum der beiden Saussurea-Arten aus den Höhen des Himalajas und wie es sich im Laufe der Zeit veränderte. Dabei profitierten die Wissenschaftler von zahlreichen historischen Quellen, denn die beiden Asterngewächse waren schon im 18. und 19. Jahrhundert gesuchte Zielobjekte für Botaniker – sie zieren zahlreiche Herbarien auf der ganzen Welt. Diese getrockneten und gepressten Belege dienten ihnen folglich als Vergleichsmaterial für die frischen Exemplare, die es heute zuhauf auf traditionellen tibetischen Märkten zu kaufen gibt.
Und tatsächlich konnten die beiden Botaniker über die Jahrhunderte eine abnehmende Durchschnittsgröße von Saussurea laniceps belegen: Die nachkommenden Individuen der Spezies büßten im Vergleich zu ihren Vorfahren innerhalb von nur 130 Jahren ein Drittel ihrer einstigen Dimension ein.
Das gleiche Bild zeigte sich beim Vergleich von Pflanzen aus stark besammelten Gebieten und des Khawa Karpo, einem der heiligsten Berge der Tibeter, wo derartige Tätigkeiten strikt reglementiert sind: Auch hier neigten die ungeschützt abgegrasten Schnee-Lotus zu Kümmerwuchs und waren gute neun Zentimeter kürzer als ihre protegierten Pendants – ein Phänomen, das so ähnlich bereits bei Meeresfischen nachgewiesen werden konnte.
Bei Saussurea medusa dagegen lässt sich ein derartiger Schrumpfungsprozess – noch – nicht erkennen, denn solange ihre weiß blühende Verwandte, verkleinert zwar, aber in ausreichender Zahl auf die Märkte kommt, entgeht sie einem übermäßig gesteigerten Nutzungsdruck. Außerdem erfreut sie sich einer weiteren Verbreitung als Saussurea laniceps, die nur in einem relativ kleinen Gebiet wächst, und kann folglich lokale Verluste eher kompensieren.
Welche langfristigen Folgen der Minimierungseffekt für den weißfilzigen Schnee-Lotus Saussurea laniceps hat, bleibt vorerst dahingestellt. Doch die Aussichten sind schlecht: So entwickeln die mickrigeren Exemplare nicht nur weniger Samen, sie sind zudem auch noch weniger attraktiv für Bestäuber, die sie zugunsten anderer Blütenangebote links liegen lassen. Wenn dann auch noch der Mensch mangels Großer auf die Kleinen zurückgreift, könnte der Schnee-Lotus bald Geschichte sein.
Allerdings schätzen Einheimische und zunehmend auch Touristen diese Gewächse ebenfalls, denn schließlich erfreut sich neben der Bionik und ihrem Vorzeige-Lotus in den letzten Jahren auch die traditionelle chinesische Medizin steigender Beliebtheit als vorgeblich sanfte und naturverbundene Heilmethode. Und hierbei werden sowohl der rotfilzigen Saussurea medusa und deutlich mehr noch der weißfilzigen Saussurea laniceps heilende Kräfte bei allerlei Zipperlein wie Kopfschmerz, Bluthochdruck oder Menstruationsbeschwerden zugeschrieben.
Zu diesem schon gewaltigen Marktpotenzial kommt zusätzlich das etwas kuriose Äußere der beiden Arten, das sie für kommerzielle Nutzung noch attraktiver macht: Beide blühen nur einmal in ihrem langen Leben, dann aber gewaltig – sie treiben einen relativ großen und je nach Art weiß- oder rotfilzigen Blütenstand aus, bilden Samen und sterben.
Und genau hier beginnen die Probleme für die Pflanzen, wie jetzt eine Studie von Wayne Law und Jan Salick vom Botanischen Garten von Missouri in Saint Louis nachweisen konnte. Die beiden Botaniker widmeten sich dem Einfluss menschlicher Sammelleidenschaft auf das Größenwachstum der beiden Saussurea-Arten aus den Höhen des Himalajas und wie es sich im Laufe der Zeit veränderte. Dabei profitierten die Wissenschaftler von zahlreichen historischen Quellen, denn die beiden Asterngewächse waren schon im 18. und 19. Jahrhundert gesuchte Zielobjekte für Botaniker – sie zieren zahlreiche Herbarien auf der ganzen Welt. Diese getrockneten und gepressten Belege dienten ihnen folglich als Vergleichsmaterial für die frischen Exemplare, die es heute zuhauf auf traditionellen tibetischen Märkten zu kaufen gibt.
Dummerweise soll sich die maximale heilende Wirkung, so die Meinung der Kräuterkundler, erst bei maximaler Größe entfalten – nach Ausbildung der Blüte also. Unerbittlich folgt daher die Ernte, ohne dass die Pflanzen zuvor eine Chance hatten, zum Erhalt ihrer Sippschaft beizutragen, denn bis zur Samenbildung kommen sie gar nicht mehr. Wenn aber die Großen mit ihren entsprechenden Genen dem Reproduktionszyklus entzogen werden, bleiben auf Dauer nur die Kleinen übrig, die dem Selektionsdruck nicht unterliegen und so indirekt gefördert werden.
Und tatsächlich konnten die beiden Botaniker über die Jahrhunderte eine abnehmende Durchschnittsgröße von Saussurea laniceps belegen: Die nachkommenden Individuen der Spezies büßten im Vergleich zu ihren Vorfahren innerhalb von nur 130 Jahren ein Drittel ihrer einstigen Dimension ein.
Das gleiche Bild zeigte sich beim Vergleich von Pflanzen aus stark besammelten Gebieten und des Khawa Karpo, einem der heiligsten Berge der Tibeter, wo derartige Tätigkeiten strikt reglementiert sind: Auch hier neigten die ungeschützt abgegrasten Schnee-Lotus zu Kümmerwuchs und waren gute neun Zentimeter kürzer als ihre protegierten Pendants – ein Phänomen, das so ähnlich bereits bei Meeresfischen nachgewiesen werden konnte.
Bei Saussurea medusa dagegen lässt sich ein derartiger Schrumpfungsprozess – noch – nicht erkennen, denn solange ihre weiß blühende Verwandte, verkleinert zwar, aber in ausreichender Zahl auf die Märkte kommt, entgeht sie einem übermäßig gesteigerten Nutzungsdruck. Außerdem erfreut sie sich einer weiteren Verbreitung als Saussurea laniceps, die nur in einem relativ kleinen Gebiet wächst, und kann folglich lokale Verluste eher kompensieren.
Welche langfristigen Folgen der Minimierungseffekt für den weißfilzigen Schnee-Lotus Saussurea laniceps hat, bleibt vorerst dahingestellt. Doch die Aussichten sind schlecht: So entwickeln die mickrigeren Exemplare nicht nur weniger Samen, sie sind zudem auch noch weniger attraktiv für Bestäuber, die sie zugunsten anderer Blütenangebote links liegen lassen. Wenn dann auch noch der Mensch mangels Großer auf die Kleinen zurückgreift, könnte der Schnee-Lotus bald Geschichte sein.
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