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Kosmologische Weltbilder: Universaler Größen-Schlagabtausch, nächste Runde

Konstant ist zumindest eines: das Hickhack. Es geht um die Zahl 0,00729735, in gut gerundeter Kurz-Schreibweise – sie steht im Zentrum eines galaktische Theoriegebäude erschütternden Wissenschaftler-Meinungswettkampfes. Hat sich der Wert in den vergangenen gut dreizehn Milliarden Jahren nun um etwa ein Hunderttausendstel verändert – oder ist er seit Anbeginn aller Zeiten völlig gleich geblieben?

Der Streit sei entschieden, die Konkurrenzmeinungen aus dem Feld geprügelt, meinte gerade vor guter Wochenfrist die australische Ringecke um Michael Murphy, derzeit an der Universität Cambridge: Ihre neuesten Messungen von alpha, der oben bezifferten so genannten Feinstrukturkonstante, belegten nun mit unerreichter Genauigkeit, dass diese überhaupt keine Konstante ist. Sondern eine Variable. Nach den Analysen von Lichtspektren aus 143 weit entfernten Quasaren, die mit dem Keck-Teleskop beobachtet wurden, ist der fälschlich als konstant eingestufte Wert seit dem Urknall tatsächlich um ein Tausendstel Prozent größer geworden.

So, so. Na und? Und einiges: Damit wäre etwa die Lichtgeschwindigkeit und einiges andere ebenfalls nicht konstant, und allerlei physikalisch geheiligte Theoriebastionen stünden offen, um völlig geschleift zu werden. Die umstrittene Feinstrukturkonstante, pardon, -variable, beschreibt Wechselwirkungen zwischen Licht und Materie und deren elektromagnetischen Zusammenhalt – fällt sie, so bröckelt das Einstein'sche Theoriegemälde unseres Kosmos rapide dahin.

Nichts sei entschieden, meinen nun aber lauthals die Gegner von Murphy und schicken sich an, die jüngste Attacke auf die universale Konstante auszupendeln. Und gleich einmal kräftig zu kontern: Aus der Ringecke um Jeffrey Newman vom Lawrence Berkeley National Laboratory der Universität von Kalifornien wird kolportiert, dass Murphys Mannschaft die derzeit einzige sei, die mit ihrer Messmethode zu den ketzerischen Ergebnissen einer Variabilität in der Alpha-Konstanz komme. Andere hätten, ganz wie der australische Astronomie-Champ, die Absorptionslinien ferner, schwach aus der Vergangenheit zu uns hereinschimmernder Quasare untersucht. Und dabei keine Schwankung der angeblichen Feinstruktur"variablen" bemerkt.

Um Argumente nachzulegen, wählten die Wissenschaftler – selbst seit langem Verfechter einer konstanten Konstante – nun eine neue Messvariante, die sie auf Daten des für eine ganze Reihe anderer Zwecke initiierten Deep2-Projektes anwendeten. In dieser über fünf Jahre währenden Mammutbeobachtung wurden bislang 40 000 Galaxien in sieben bis acht Milliarden Lichtjahren Distanz untersucht. Bei 300 dieser Galaxien, zwischen vier und sieben Milliarden Lichtjahren entfernt, analysierten die Sterngucker nun die Wellenlängen der Emission ionisierten Sauerstoffs. Und siehe da: Der umkämpfte Feinstrukturwert – der sich für jedes Objekt durch ein wenig Rechenarbeit aus den Beobachtungen herausrechnen lässt – ist bei allen Lichtquellen unterschiedlicher Entfernung gleich groß. Und somit konstant.

Also doch? Emissionslinien zu messen, mag nicht ebenso genau sein wie Absorptionslinien zu bestimmen, geben die Forscher zwar zu – dafür aber könne man sehr viel weniger Fehler in das Ergebnis hineinhudeln. Um mehr als ein Dreißigtausendstel jedenfalls – so die errechnete Genauigkeit der nun durchgeführten Emissionslinienbestimmung – könne sich Alpha niemals geändert haben. Einsteins Ehre und die Lichtgeschwindigkeit seien innerhalb dieser Genauigkeitsgrenzen jedenfalls vorerst gerettet. Gong zum Rundenende.

Geben wir Murphy doch ein wenig Zeit, sich in der Ringecke verarzten zu lassen. Irgendetwas lässt da fest an ein Comeback glauben – es wäre nicht das erste Mal.

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