Kosmologie: Universum mit Einsteins Formeln simuliert
Nach welchen Regeln formt sich das Universum? Diese Frage liegt zu Grunde, wenn Forscher etwa die Expansion des Kosmos untersuchen, die Entstehung und das Verhalten von Galaxien und Galaxienhaufen oder von noch viel größeren Strukturen wie den so genannten Filamenten und Voids, die hunderte Millionen Lichtjahre durchmessen. Filamente sind riesige fadenartige Strukturen. Sie bestehen aus Galaxienhaufen und Superhaufen. Dazwischen befinden sich enorme Lücken, in denen es keine oder nur sehr wenige Galaxien gibt, die Voids. Zusammen bilden diese beiden Strukturen ein wabenartiges Muster aus, das die weiträumigste bekannte Ordnung im Universum darstellt. Bestimmt wird ihre Form von der Wirkung der Schwerkraft zwischen ihren Bestandteilen.
Will man also eine Antwort auf die Frage nach der größeren Form des Universums geben, muss man sich zunächst auf eine Beschreibung der Schwerkraft festlegen. Unser derzeitiges Wissen über die Strukturen auf großen Skalen basiert auf Computersimulationen unter Einsatz des newtonschen Gravitationsgesetzes. Und das, obwohl es seit der Entwicklung der allgemeinen Relativitätstheorie vor bereits mehr als 100 Jahren eine bessere Alternative gäbe, die das newtonsche Gesetz als Grenzfall einschließt, dieses aber erweitert und genauer mit einigen beobachteten Messwerten übereinstimmt. Allein die relativistischen Berechnungen wären um ein Vielfaches aufwändiger. Die rechentechnischen Ressourcen sparte man daher lieber ein.
Denn bisher waren Forscher davon ausgegangen, dass die relativistischen Effekte zu klein sind, als dass man sie zur Beschreibung der großen kosmischen Strukturen berücksichtigen müsste. Doch seit der Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums, die man einer mysteriösen Dunklen Energie zuschreibt, und angesichts immer stärkerer Hinweise auf eine Dunkle Materie, die die Form und Dynamik von Galaxien beeinflusst, konnte man sich dessen nicht mehr so sicher sein. Physiker um Ruth Durrer von der Universität Genf haben nun erstmals einen Kode entwickelt, mit dem sich zumindest näherungsweise die Gesetze von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie im Computer auf große Skalen im All anwenden lassen.
Für die Forscher um Durrer war der bisherige newtonsche Ansatz der Simulationen aus zwei Gründen unbefriedigend, wie sie schreiben. Erstens steige die Qualität der Messdaten rapide. Künftige Himmelsdurchmusterungen nach Galaxien seien wohl so präzise, dass eine "naive" Behandlung der Raumzeitgeometrie nicht mehr genügen werde. Zweitens käme man Modellen jenseits des kosmologischen Standardmodells, die etwa relativistisch-schnelle oder rotierende Massen beinhalten, mit den aktuellen Simulationen nicht bei.
Die Forscher nutzten die Kapazitäten des Swiss National Supercomputing Center in Lugano, um die Gleichungen ihres Kodes für einige Beispielfälle zu lösen. Daraus konnten sie die Unterschiede zu den bisherigen newtonschen Simulationen berechnen. Das Ergebnis: Die relativistischen Effekte sind sehr klein. Im Moment kann man sie noch nicht messtechnisch nachweisen.
Was zunächst wie eine Enttäuschung klingen mag, bezeichnet der Astrophysiker Volker Springel vom Heidelberger Institut für Theoretische Studien HITS als "eine wirklich innovative, wichtige Arbeit". Springel ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Simulation kosmischer Strukturen. Er war an der Studie von Durrer und Kollegen nicht beteiligt.
"Es war immer strittig, ob der newtonsche Ansatz genau genug ist", erklärt Springel."Manche Wissenschaftler waren davon nicht überzeugt. Diese Arbeit geht genau diese Frage an." Die Forscher verwendeten zwar auch ein paar Näherungen. Diese seien aber wesentlich weniger "aggressiv" als bei der Standardmethode, so Springel. Nach diesen Ergebnissen bleibe wenig Spielraum für Spekulationen, "dass auf Grund unzureichender numerischer Rechnungen wesentliche relativistische Effekte quasi übersehen wurden".
Die Methode der Forscher aus Genf schaffe gleichzeitig die Möglichkeit, Modelle mit "exotischeren" relativistischen Materieformen jenseits des Standardmodells genauer zu berechnen. "Die Kollegen haben noch nicht gezeigt, dass es hier starke Effekte gibt", so Springel, "dies scheint mir aber durchaus plausibel."
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