Hirnforschung: Unser Sehzentrum reift noch bis ins mittlere Lebensalter
Lange nahmen Wissenschaftler an, unsere Hirnstrukturen wären bereits vor der Geburt statisch angelegt und würden sich bis zum Tod nicht mehr verändern. Heute wissen wir, dass diese Annahme falsch ist: Das Gehirn bleibt auch im Erwachsenenalter formbar und kann Verbindungen zwischen Nervenzellen auf- und ab- und sogar ganze Hirnregionen umbauen. Je nach Areal nimmt diese neuronale Plastizität allerdings mit dem Alter ab. So entwickelt sich die Sehrinde, die für die visuelle Wahrnehmung verantwortlich ist, unter normalen Umständen etwa nur bis zum fünften oder sechsten Lebensjahr und lernt in dieser Zeit, die entsprechenden Sinneseindrücke zu verarbeiten. Nun fand ein Team um Kathryn Murphy von der McMaster University in Hamilton, Kanada, jedoch Hinweise darauf, dass auch diese Annahme falsch zu sein scheint: Tatsächlich verändert sich unser Sehzentrum noch bis zum 40. Lebensjahr, schreiben die Forscher im "Journal of Neuroscience".
Murphy und ihre Kollegen untersuchten das Gehirn von Personen, die im Alter von 20 Tagen bis 80 Jahren gestorben waren. Dabei konzentrierten sie sich vor allem auf verschiedene postsynaptische Proteine, die mit der Wandelbarkeit von Nervenzellverbindungen in Verbindung stehen. Die Ergebnisse zeigen: Die Reifung der primären Sehrinde – auch primärer visueller Kortex genannt – ist im Schnitt erst mit 36 plus/minus 4,5 Jahren abgeschlossen. "Es klaffen immer noch große Lücken in unserem Verständnis davon, wie unser Gehirn funktioniert", so Murphy. "Die Idee, sensorische Areale würden sich nur in der Kindheit verändern und dann statisch bleiben, ist Teil des Problems. Das ist falsch." Obwohl ihre Untersuchung sich nur auf den visuellen Kortex beschränke, sei es durchaus möglich, dass auch andere Bereiche des Gehirns noch viel länger plastisch bleiben, als Experten annehmen, glaubt die Forscherin.
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