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Naturschutz: Unsere Wisente leben im falschen Lebensraum

Ihre letzte Zuflucht war ein wilder Wald in Polen. Und noch heute leben die meisten Wisente zwischen Bäumen - dabei gehören sie dort gar nicht hin.
Wisent im Offenland

Seit rund zwei Jahren streift wieder eine kleine Herde Wisente (Bison bonasus) durch das Rothaargebirge – ein Versuch, das hier zu Lande seit Langem ausgestorbene Wildrind wieder anzusiedeln. Doch möglicherweise muss, wie in anderen Teilen Europas, das Schutzkonzept für die Tiere völlig neu durchdacht werden: Wie Hervé Bocherens vom Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoenvironment in Frankfurt und seine Kollegen herausgefunden haben, waren die Wisente wohl nie Waldbewohner, wie man bislang gedacht hat. Schließlich hatten die Wisente nur im Urwald von Bialowieza in Polen überlebt, und historische Überlieferungen zeigten die Rinder ebenfalls im Wald.

Tatsächlich hatten aber erst die Menschen sie dorthin zurückgedrängt: durch Jagd und weil sie das offene Land zunehmend für den Ackerbau nutzten. Auf der anderen Seite breiteten sich die Wälder nach Seuchen und Kriegen immer weiter aus, so dass die Tiere von zwei Seiten in die Zange genommen wurden. Auf Dauer zogen sie sich in die Wälder zurück, um dem Veränderungsdruck zu entgehen. Zudem waren sie dort vor Nachstellungen besser geschützt. Wie Knochenanalysen von 10 000 bis 12 000 Jahre alten Wisentknochen aus Skandinavien durch Bocherens und Co zeigen, fraßen die Kolosse früher jedoch eine stark gemischte Kost aus Gräsern, Flechten und Blättern – ihre Nahrung basierte also zu einem großen Teil auf Arten aus dem Offenland, und die Lebensweise entsprach mehr dem ihrer nordamerikanischen Bisonverwandten.

Dank dieser flexiblen Ernährung konkurrierten die Wisente nicht mit den stärker spezialisierten Auerochsen – die seit Jahrhunderten ausgerottet sind – sowie Elchen und überstanden so auch harte Winter. Heute müssen Wisente im Winter dagegen zugefüttert werden, weil sie im Wald nicht ausreichend nahrhaftes Futter finden. Es gibt sogar die Theorie, dass Mitteleuropa nach dem Ende der Eiszeiten nicht zum reinen Waldland wurde, weil so genannte Megaherbivoren wie Wisente, Rothirsche, Wildpferde und andere Pflanzenfresser Bäume kurzhielten: Die Wälder waren folglich großflächig mit Lichtungen durchsetzt. "Die Schutzkonzepte für Wisente müssen daher grundlegend überarbeitet werden", fordert Bocheren.

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