Urbane Wälder: »Die Natur allein schafft das nicht«
Wald und Stadt, das klingt wie ein Widerspruch. Nicht aber für die Forstwissenschaftlerin Rita Sousa-Silva. An der Universität Freiburg erforscht sie alle Arten »urbaner Wälder«. Dazu zählt sie nicht nur die großen Parks, sondern auch jeden einzelnen Baum in einer Stadt, egal ob er am Straßenrand steht oder in einem privaten Garten. Wie beeinflussen die Grünflächen das Leben der Stadtbewohner? Und welche Bäume sind den Herausforderungen der Zukunft gewachsen? Im Interview erklärt sie, warum auf viele solcher Fragen Vielfalt die Antwort ist.
Warum sind Bäume in der Stadt so wichtig?
Durch den Klimawandel heizen sich Städte immer mehr auf. Das wird für viele Menschen zunehmend zum Problem. Im Sommer treten verstärkt Kreislaufprobleme und Hitzschläge auf, manche Menschen sterben sogar an den Folgen. Umgekehrt zeigen Untersuchungen, dass Bäume durch Verdunstung und Schattenwurf die Temperaturen um bis zu zwölf Grad senken können.
So viel?
Im Extremfall. Schauen wir uns zum Beispiel eine große, asphaltierte Fläche wie einen Parkplatz an. Gibt es keine Häuser oder Bäume, die Schatten spenden, heizt er sich wie ein Backofen auf. Bäume könnten die Temperaturen dort also stark senken. Insgesamt bewegen sich die Werte zwischen drei und zwölf Grad.
Damit dieses Ziel gelingt, müssen nicht nur viele, sondern vor allem die richtigen Bäume gepflanzt werden …
Genau. In meinem Forschungsprojekt untersuche ich, welche Bäume am besten geeignet sind und wie diese sich auf das Wohlbefinden auswirken. Das fängt mit ganz banalen Fragen an: Welchen Baum mögen die Menschen und warum? Soll er vor allem zur Zierde dienen, zum Schattenwurf oder als Obstlieferant? Und worauf soll sich die Stadtplanung konzentrieren: viele einzelne Bäume vor der Haustür oder lieber eine große Ansammlung als Park?
Zu welcher Variante würden Sie raten?
Das lässt sich nicht verallgemeinern. Es gibt Unterschiede von Stadt zu Stadt, von Wohnviertel zu Wohnviertel. Die Vorlieben gehen stark auseinander. Deshalb würde ich vor allem dazu raten, die Anwohnerinnen und Anwohner von vornherein bei den Planungen einzubinden.
Und was passiert, wenn alle nur Bäume wollen, die mit der zunehmenden Trockenheit nicht klarkommen?
Es nützt nichts, das Ziel auszugeben »Wir wollen eine Million Bäume pflanzen«, wenn die Hälfte davon wieder eingeht. Man muss den Leuten die Vor- und Nachteile verschiedener Baumarten präsentieren. In meiner Forschung beschäftige ich mich mit der Diversifizierung, also warum es so wichtig ist, nicht nur eine Baumart zu pflanzen. Städte schneiden dabei übrigens oft deutlich besser ab als die Monokulturen im »echten« Wald. In Quebec zum Beispiel, wo ich nach meiner Promotion gearbeitet habe, gibt es rund 40 Baumarten im Wald – und 400 in der Stadt.
Welche Baumarten sind denn geeignet, dem Klimawandel zu trotzen?
Auch das hängt vom jeweiligen Land ab und davon, wie sich das Klima dort verändert. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht ein Problem durch ein neues ersetzen. In Nordamerika etwa sind viele Ulmen durch Krankheiten eingegangen. Danach wurden sie massenhaft durch Eschen ersetzt. Diese sind aber wiederum anfällig für bestimmte Schädlinge. Es ist also unheimlich wichtig, in die Breite zu gehen und nicht nur eine Baumart zu pflanzen.
Ist diese Botschaft in den Städten schon angekommen?
Das Bewusstsein steigt, aber die Optik steht für viele Menschen noch immer im Mittelpunkt. Das sieht man auch ganz aktuell hier in Freiburg. Bei dem neuen Stadtviertel Dietenbach, das in den nächsten Jahren gebaut wird, zeigen die Modelle überall ein und dieselben Bäume.
Also ist die Stadt Freiburg, die sich selbst als »Green City« vermarktet, eher ein abschreckendes Beispiel?
Ich wohne noch nicht lange hier, weshalb ich dazu kein Urteil fällen kann. Aber mir sind viele positive Dinge aufgefallen. In Freiburg sieht man überall Bäume, auch in den weniger privilegierten Vierteln. Das ist längst nicht in jeder Stadt so, vor allem in Nordamerika nicht. Hier dominieren bestimmte Baumarten. In gewisser Hinsicht kann ich das sogar verstehen. Trockenheit, Verschmutzung, Versiegelung – all das setzt Bäumen zu. Wenn sich dann eine Art herauskristallisiert, die gut damit klarkommt, möchte man die natürlich nehmen.
In Deutschland gehen derzeit vor allem Nadelbäume ein. Warum leiden sie so stark unter dem Klimawandel?
Die meisten Bäume können sich anpassen, wenn sich ihre Umgebung allmählich verändert. Aber aktuell passieren die Veränderungen so schnell, dass dafür kaum Zeit bleibt. Eine einzelne Dürre können Bäume wegstecken. Problematisch sind lange, dauerhafte Trockenphasen. Dann sind Bäume deutlich anfälliger für Schädlinge. Und diese wiederum sterben im Winter oft nicht mehr ab, weil es weniger Frost gibt.
Der Bestsellerautor und Förster Peter Wohlleben plädiert dafür, der Natur ihren Lauf zu lassen, statt aufzuforsten. Dann würden sich die geeignetsten Bäume von selbst durchsetzen. Wie sehen Sie das?
Die Natur allein wird es nicht schaffen. Gerade in Städten funktioniert das nicht. Wenn an den großen Hauptstraßen ein Baum gefällt wird, wächst im Asphalt nicht mal eben etwas nach. Das geht nur in Extremfällen, wenn der Mensch komplett verschwindet. In Tschernobyl kehrt die Natur gerade auf beachtliche Weise zurück. Aber das ist in bewohnten Großstädten natürlich keine Option. Da können wir Bäume nicht einfach sterben lassen. Was, wenn jemandem ein Ast auf den Kopf fällt?
Sie haben an verschiedenen Universitäten in Europa und Nordamerika geforscht. Wo funktionieren die urbanen Wälder am besten?
Es gibt einige grundsätzliche Unterschiede. In Nordamerika ist traditionell viel mehr Platz, so dass vielerorts große Parks und sogar Wälder mitten in den Städten liegen. In Europa ist das weniger der Fall, wobei es natürlich auch Ausnahmen gibt – den Grüngürtel in Paris zum Beispiel. In Deutschland wiederum dürfen in vielen Städten Bäume wegen der Baumschutzsatzungen nicht einfach so gefällt werden. Hier genießen Bäume einen hohen Stellenwert.
In welcher Stadt funktionieren die urbanen Wälder am besten?
New York gibt sich große Mühe. Die »High Line« [ein bepflanzter Weg auf einer ehemaligen Bahnstrecke, d. Red.] ist ein Beispiel dafür. Allerdings führt auch das oft zu negativen Verwerfungen wie der so genannten grünen Gentrifizierung: In New York mussten viele Menschen aus den Vierteln entlang der High Line wegziehen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten konnten. Auch das ist eine Auswirkung, die man bei solchen Projekten im Hinterkopf behalten sollte.
Und dann wären da noch die Allergien, die durch Bäume ausgelöst werden. Auch dazu haben Sie schon ein Paper veröffentlicht.
Vor allem Birken lösen bei vielen Menschen allergische Reaktionen aus. Andererseits reagiert jeder anders. Wenn man wirklich alle Allergien unterbinden wollte, müsste man die Auslöser komplett entfernen – aber wer möchte schon alle Bäume in einer Stadt fällen? Die Lösung kann daher nur sein, vielfältiger zu sein. Wir müssen davon wegkommen, eine einzige Baumart massenhaft anzupflanzen. Es macht einen großen Unterschied, ob an einer Straße zwei Birken stehen oder 50.
Was würden Sie Privatpersonen raten, die im Garten einen Baum pflanzen wollen?
Wenn es darum geht, Städte grüner und lebenswerter zu machen, sind gerade Privatpersonen wichtig. Eine Kommune allein hat gar nicht die Mittel, so viele Bäume zu pflanzen, wie wir brauchen. Ich würde mir vorab Gedanken machen, wofür genau ich den Baum haben möchte. Wenn er hauptsächlich der Ästhetik dienen soll, ist das auch okay. Es lässt sich nie mit Sicherheit vorhersagen, wie gut ein junger Baum mit den Klimaveränderungen klarkommen wird. Aber es gibt Anhaltspunkte.
Wo findet man fundierte Informationen?
Ich würde mich in einem Gartencenter beraten lassen. Die Leute dort kennen sich aus mit Bäumen, die vor Ort wachsen. Außerdem vorab schon mal in die »Citree«-Datenbank der TU Dresden schauen. Sie listet Bäume nach verschiedenen Kriterien auf, die für den städtischen Raum geeignet sind.
Welcher ist Ihr Lieblingsbaum?
Der Ginkgo! Er kommt aus China und mag kein einheimischer Baum sein, aber er wächst wirklich überall – auch hier in Freiburg hinter meinem Büro. Dieser Baum wächst nicht zu hoch und hält einfach alles aus: Salz, Hitze, Verschmutzung. Er hat sogar die Atombomben in Japan im Zweiten Weltkrieg überlebt. Für Städte ist er also gut geeignet. Und schön sieht er auch noch aus.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.