Urbanisierung: Städte wachsen vor allem in die Höhe
Bis zum Ende dieser Dekade werden voraussichtlich 60 Prozent aller Menschen in Städten leben. Das ungebrochene Wachstum der Metropolen transformiert das Antlitz der Erde. Allerdings tut es dies inzwischen anders als noch vor 20 oder 30 Jahren. Das ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern um Steve Frolkin von der University of New Hampshire im US-amerikanischen Durham.
Demnach wuchsen Städte noch in den 1990er Jahren vor allem in die Breite. In den beiden folgenden Jahrzehnten setzte sich jedoch immer deutlicher ein Trend zum Höhenwachstum durch. Statt in flachen Wohnbauten wohnen Menschen folglich zusehends in mehrstöckigen Gebäuden oder gar in Hochhäusern. Das habe tief greifende Einflüsse auf die Lebensbedingungen in der Stadt, auf die Umwelt und das Mikroklima des urbanen Raums, schreibt das Autorenteam in der Fachzeitschrift »Nature Cities«.
Auf welche Weise sich die Bebauung einer Stadt verändert, studierten Frolkin und Kollegen mit Hilfe satellitengestützter Radarmessungen, die seit Jahrzehnten unter anderem für die Wettervorhersage erhoben werden. Wie die elektromagnetische Strahlung vom Boden reflektiert wird, gebe indirekt Aufschluss über die Höhe der Gebäude an der entsprechenden Stelle, so das Team um Frolkin.
Die Gruppe hat mehr als 1550 Städte in ihre Analyse einbezogen. In den 1990er Jahren erkannte sie auf durchschnittlich sieben Prozent der Stadtflächen ein Höhenwachstum. Das sei damals vor allem Megametropolen wie New York, Tokio oder Schanghai vorbehalten gewesen. Derselbe Anteil stieg in den 2000er Jahren auf neun Prozent, in der 2010er Dekade dann aber sprunghaft auf 28 Prozent.
Dem Trend zum Hochhausbau kann das Forscherteam durchaus positive Seiten abgewinnen. Wenn Menschen dicht an dicht leben, entlaste das den Verkehr, sofern auch Arbeitsplätze und Geschäfte in der Nähe angesiedelt werden. Vieles, was vorher über lange Pendelstrecken erreicht werden musste, könne nun via Bus und Bahn oder auch zu Fuß angesteuert werden. Wenn Städte in die Höhe wachsen, verringert dies zudem ihren Flächenverbrauch, der zumeist auf Kosten der Natur geht, worunter wiederum die Einwohnerinnen und Einwohner zu leiden haben: Die Versiegelung von ehemaligen Grünflächen durch neue Bebauung kann beispielsweise Überschwemmungen verstärken oder zu einem Absinken des Grundwasserspiegels führen.
In Hochhausvierteln kann sich allerdings auch leichter die Hitze stauen als in Gegenden mit flacher Bebauung. Außerdem benötigten gerade die sehr hohen Bauten viel Energie – mit negativen Folgen für das Klima durch den damit verbundenen erhöhten Ausstoß von Treibhausgasen.
Allein mit dem Bau in die Höhe scheinen viele Städte den steigenden Bedarf an Wohnraum freilich nicht decken zu können: Die anhaltende Verstädterung führe in einigen Regionen, insbesondere in Ostasien, zu einer Gleichzeitigkeit von Breiten- und Höhenwachstum. Vor allem China scheint in der 2010er Dekade auf diese Doppelstrategie gesetzt zu haben. Die Kombination von Höhen- und Breitenwachstum verzeichnen Frolkin und Team dort auf einer Gesamtfläche von 55 000 Quadratkilometern, während auf 50 000 Quadratkilometern ein reines Höhenwachstum dominierte.
Auf den Globus bezogen liegen die entsprechenden Werte bei knapp 67 000 Quadratkilometern kombiniertem Wachstum in die Breite und die Höhe sowie bei 100 000 Quadratkilometern reinem Höhenwachstum. Der markante Rückgang des Breitenwachstums zeigt sich nahezu überall, mit Ausnahme von Afrika, wo er nur schwach ausgeprägt ist, und Russland, wo sich das Breitenwachstum seit 1990 gegen den Trend vervierfacht hat.
Europa nimmt sich beim Wachstum vergleichsweise bescheiden aus: Hier liegen die Werte bei gerade einmal 100 Quadratkilometern kombiniertem Breiten- und Höhenwachstum und 1700 Quadratkilometern reinem Höhenwachstum.
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