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Biochemische Warnsignale: Urinspur verrät jagende Krabben

Als Schlammkrabbe bist du besser ständig auf der Hut: Hungrige Räuber aus der entfernten Verwandtschaft wollen dich fangen und verspeisen! Zum Glück warnt ein ganz eigener Duft vor den besonders erfolgreichen Killern.
Blaukrabbe

Als leichtes Opfer lebt man besser gut versteckt und ständig auf der Hut – und so hält es auch die kleine Schlammkrabbe (Panopeus herbstii) im Angesicht der Gefahr. Sie muss verschiedene Räuber im undurchsichtigen, vom ständig aufgewirbelten Matsch trüben Meeressaum fürchten und setzt vor allem auf den Geruchssinn als Warnsensor. Der signalisiert offenbar verlässlich, wenn sich ein hungriger Jäger wie die Blaukrabbe (Callinectus sapidus) nähert – woran genau die Beutekrabbe eine Räuberkrabbe erriecht, war bisher allerdings unbekannt. Es sind zwei Bestandteile im Urin der Jäger, berichten nun Julia Kubanek vom Georgia Institute of Technology und ihre Kolleginnen in "PNAS": ein Signalduo, das zudem leichter erkennbar wird, sobald die Raubkrabben sich auf Schlammkrabben als Lieblingsnahrung spezialisieren.

Um die von der Beute wahrgenommenen Reize der Räuber zu entlarven, hatten die Forscher Verhaltensexperimente durchgeführt. Sie testeten dabei die Reaktion der Schlammkrabben auf Wasserproben, in die zuvor Blaukrabben Wasser gelassen hatten. Man wusste bereits aus früheren Studien, dass sich im Blaukrabbenurin typische Geruchssignale befinden: Dies verschreckt Schlammkrabben nachhaltig; mit Feindgeruch konfrontierte Tiere versteckten sich über längere Zeiträume und verzichteten auf ihr normales Verhaltensprogramm, das im Wesentlichen aus neugierigen Touren zur Nahrungsbeschaffung besteht.

Nun ermittelten die Wissenschaftler in verschiedenen weiteren Experimenten, welche Bestandteile des Uringemischs die Schlammkrabben zur Feindaufklärung nutzen. Am Ende stießen sie dabei auf zwei Komponenten, die in natürlichen Konzentrationen kombiniert allein ausreichen, um die Beutekrabben einzuschüchtern: Homarin und Trigonellin. Das Nicotinsäuremetabolit Trigonellin kennen Ernährungswissenschaftler schon als typischen Bestandteil des Urins menschlicher Kaffeetrinker (und als Ingredienz von Antihaarausfallmitteln mit zweifelhafter Wirksamkeit). Als Warnsignal im Meer wirkt es allerdings prima; zudem zeigte sich bei Analysen im Massenspektrometer, dass der Gehalt an den beiden Stoffen im Urin steigt, wenn Blaukrabben Schlammkrabben verspeisen: Je mehr sie gefressen hatten, desto bedrohlicher wirkte ihr Geruch – und desto länger blieben die Gejagten in ihrem Versteck, sobald sie die Urinprobe erschnuppert hatten.

Homarin und Trigonellin – beides typische Zwischenprodukte im Aminosäurestoffwechsel – sind offenbar nicht selten Wirkstoffe in marinen Ökosystemen: Man kennt sie etwa als Hormone, die die Reifung von Larven verlangsamen, und als Abwehrstoffe, die bestimmte antarktische Meeresschnecken gegen räuberische Seesterne sowie Korallen gegen Kieselalgenbewuchs in Stellung bringen. Es ist daher denkbar, dass die Furchtreaktion der Schlammkrabben gegen die beiden Stoffe ursprünglich nichts mit Blaukrabben zu tun hatte, sondern eine generelle Abwehrreaktion darstellte. In jedem Fall aber erfüllt die Reaktion einen lebenserhaltenden Zweck – der umso wichtiger wird, je mehr Blaukrabben sich auf Schlammkrabben spezialisiert haben. Dies macht die Inhaltstoffe des Blaukrabbenurins nun von einem Allerwelts- zu einem biologisch "echten" Signal, an dem die Beute das Ausmaß der Bedrohung durch einen Räuber erkennt.

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