US-Wissenschaft: Klimaforschung ist keine Esoterik
Die Klimaforschung ist in den USA in den letzten Jahrzehnten massiv politisiert worden. Trumps Wahlsieg und sein Kabinett aus teils Ölmilliardären und Vertretern ultrarechter Organisationen, die sich auch als Wissenschaftsverweigerer einen Namen machten, bedrohen die Forschung nun aber in einem Maß, gegen das die Angriffe der Bush-Ära verblassen. Wissenschaftler sehen sich mit zwei Forderungen konfrontiert: Sie müssen den Fortgang ihrer Arbeit sichern, und sie müssen sich überlegen, wie sie die Öffentlichkeit noch besser über die Ergebnisse informieren.
Diese Themen bestimmten das Jahrestreffen der American Geophysical Union (AGU) Mitte Dezember in San Francisco, eines der größten Wissenschaftstreffen der Welt. Während der vier Tage tauschten sich die 25 000 Teilnehmer nicht nur über neue Erkenntnisse in Astronomie, Atmosphärenchemie und Geowissenschaften aus. Viele sorgten sich über Mittelstreichungen und Zensur, berichtet Lauren Kurtz, Geschäftsführerin des Climate Science Legal Defense Fund. Der CSLDF hilft Wissenschaftlern bei Verleumdung, Schikane und juristischen Angriffen. Gegründet wurde die Organisation von Forschern und Aktivisten, um den Klimaforscher Michael Mann vor Gericht zu verteidigen. Seine Hockeyschläger-Grafik zur globalen Temperaturentwicklung der letzten 1000 Jahre aus einer Studie von 1999 trug dem Wissenschaftler eine Einladung zur Mitarbeit im International Panel on Climate Change (IPCC) ein – aber auch ein Dutzend Untersuchungsverfahren wegen angeblichen Betrugs sowie zahllose Morddrohungen. Am Ende wurde er in allen Fällen entlastet und die Angriffe ebbten mit der Zeit ab.
Doch der CSLDF hat mehr Arbeit denn je. Mit nach San Francisco brachte Kurtz deshalb eine "Anleitung für Wissenschaftler zum Umgang mit Schikanen", die unter anderem hilft, Fehler zu vermeiden, wenn eine Klage ansteht. Und für akute Fälle – laut Kurtz dieses Jahr doppelt so viele wie 2015 – bot der CSLDF am Rand des AGU-Treffens Termine mit Anwälten an. Viele Forscher habe auch interessiert, ob es sinnvoll sei, zu privaten Gesellschaften zu wechseln oder eigene zu gründen, um sich und die Forschung zu schützen, berichtet Kurtz. Bei alledem hielten sich die meisten an die britische Maxime "Keep Calm and Carry on" aus dem Zweiten Weltkrieg.
Und auch politisch stehen die Wissenschaftler nicht allein. So gab es in San Francisco Rückendeckung, aber auch Direktiven vom kalifornischen Gouverneur. In einer aufrüttelnden Rede versicherte Jerry Brown dem Auditorium für den Fall, dass "irgendjemand in Washington anfängt, auf Forschern herumzuhacken", die Freundschaft des kalifornischen Generalstaatsanwalts und rief zur Verteidigung der Wahrheit auf. Einige hundert Wissenschaftler demonstrierten gleich vor den Toren des Konferenzzentrums für die Wissenschaft; 4500 hatten schon Ende November einen offenen Brief der Union of Concerned Scientists (UCS) an Trump unterzeichnet.Wissenschaftler sollen das Tollhaus der Leugner verlassen
"Wir brauchen Forscher, die sich auf die Wissenschaft konzentrieren", sagte die Klima- und Politikwissenschaftlerin Katharine Hayhoe auf dem AGU-Treffen. "Und wir brauchen Wissenschaftler, die öffentlich darüber sprechen." Für die Art und Weise biete sich ein breites Spektrum: Öffentlichkeitsarbeit ist nicht jeden Forschers Sache, doch populärwissenschaftliche Bücher, Vorträge und Artikel in der Fach- und Tagespresse sind verbreitet. Manche schreiben in Blogs, viele in sozialen Netzwerken. Ob es sich lohne, Artikel zu korrigieren, die Wissenschaftlichkeit vorgeben, aber nur eine politische Ideologie repräsentieren, fragt Phil Williamson von der University of East Anglia in Großbritannien in einer Kolumne im Wissenschaftsblatt "Nature". Er meint ja, denn Lügen stehen zu lassen, helfe der Sache nicht.
Gezielte Fehlinformation beeinflusst indes nicht nur die öffentliche Meinung, sondern bindet auch Kräfte von Wissenschaftlern auf Nebenschauplätzen und hält sie so gekonnt von der Forschung ab. Deshalb empfehlen der Klimaforscher Michael Mann und der Karikaturist Tom Tole von der "Washington Post", das "Tollhaus" der Leugner zu verlassen. Ihre satirische Analyse der Strategien und Motive berufsmäßiger Wissenschaftsverweigerer, erschienen im Oktober unter dem Titel "The Madhouse Effect", rät davon ab, mit solchen Leuten zu diskutieren. Gemeinsam mit seinem Kollegen Lee Kump, Klimaforscher und Professor für Geowissenschaften an der Pennsylvania State University, schrieb Mann außerdem eine reich illustrierte Kurzfassung der Berichte des IPCC: "Dire Predictions" (Düstere Prognosen) liefert Durchschnittslesern leicht zugängliche, solide Information zum Klimawandel. So etwas sei hilfreich, meint sein Koautor. Noch wichtiger finde er aber, Gespräche mit den Verursachern zu führen.
"Die Mehrheit der Texaner glaubt, Klimaforschung habe noch weniger reale Basis als etwa Astrologie"Katharine Hayhoe
Der direkte Draht zur Öl- und Gasindustrie gehöre zu seinem Job, erklärt Kump, denn die sei nicht nur der größte Arbeitgeber seiner Studienabgänger, sondern sponsere auch einen großen Teil der studentischen Programme. Als Leiter der Abteilung Geologie ist Kump zuständig für Absolventenvermittlung und Drittmittelakquise. "Die Verhandlungen sind ein Balanceakt", sagt er, "denn natürlich sind wir bekannt für unsere Klimaforschung." Obwohl einige dieser heutigen Führungskräfte in Öl- und Gasunternehmen sogar einst an der Penn State studiert hätten, führten Belehrungen über den Klimawandel meist zu Ärger. Er folge deshalb dem Ansatz seines Kollegen, des Meteorologen und Ökonomen Klaus Keller. Der rede mit den Partnern über ihre praktische Arbeit und richte den Fokus auf die Themen Risikoabschätzung und -management, die darin eine zentrale Rolle spielen. "Damit wird auf einmal vieles möglich: die Fortsetzung der Studienförderung, aber auch Analysen von Meeresspiegelanstieg, Kosten und Lösungen." Dabei müsse man sich klarmachen, dass die meisten großen Ölfirmen, einschließlich ExxonMobil, BP und Shell sowohl das Pariser Klimaabkommen als auch eine Kohlendioxidsteuer unterstützten. Man dürfe zwar skeptisch bezüglich der Motive dieser Unternehmen sein; sicher sei indes, dass sie auch noch 2050 zu den größten Energieversorgern der Welt zählen wollen.
Katharine Hayhoe, Leiterin des Klimaforschungszentrums der Texas Tech University in Lubbock, spricht ebenfalls mit der Ölindustrie, obwohl auch sie von deren vorgeschobenen Frontgruppen juristisch schikaniert wurde. Hayhoe entwickelt Szenarien der lokalen und regionalen Klimaentwicklung und berät Planer, die diese zum Beispiel beim Entwurf von Infrastrukturen berücksichtigen. Vorträge in Schulen und Gemeindezentren, aber auch vor Ölbohringenieuren gehören zur Öffentlichkeitsarbeit, neben Forschung und Lehre ihrem größten Arbeitsfeld. Die Mehrheit der Texaner glaube, Klimaforschung habe noch weniger reale Basis als etwa Astrologie, erklärt sie. "Nicht über Klimawandel reden kann ich also nicht."
Der Wahlausgang hat auch etwas Gutes: Er mobilisiert
Seit September führt Hayhoe auf Youtube durch die Serie "Global Weirding". Die kurzen und leicht verständlichen Animationsfilme beleuchten das sonderbare (englisch: weird) Phänomen Klimawandel und seine Hintergründe. Jede Episode gehe auf eine typische Frage des Zweifels ein, sagt Hayhoe, Fragen, die man ihr während ihrer Vorträge immer wieder stelle. Mit der Neugierde und Begeisterung eines Peter Lustig erklärt sie die seltsamen Naturereignisse, die heute jeden treffen können und liefert inspirierende Lösungen gleich mit. "'Global Weirding' soll das Gespräch in Gang bringen", sagt sie. Die Videos würden 100-mal mehr Menschen sehen, als sie auf Reisen erreiche. Die Zahl der Hass-E-Mails und Schmähkommentare habe sich freilich auch vervielfacht. Das bremst Hayhoe aber nicht. Abgesehen von einer kleinen Gruppe lautstarker Leugner hätten die Menschen kein Problem mit der Wissenschaft, sagt sie. "Sie zieht sich durch unser aller Leben, lässt Autos fahren und Flugzeuge fliegen."
Allerdings genügen Informationen zu den Fakten aus ihrer Sicht nicht. "Die Fakten haben die meisten Menschen im Kopf. Sie sind aber nicht mit dem Herzen dabei. Der Klimawandel war bislang nicht ihr Problem. Er war eine Aufgabe für die Regierung oder etwas Unaufhaltsames, dem man machtlos gegenüberstand." Wenn es keine Hoffnung gebe, bliebe nur, das Problem zu verdrängen. Was empfiehlt sie also? "Wir brauchen Geschichten, die die Menschen persönlich betreffen", sagt sie. "Journalisten und Wissenschaftler müssen zeigen, was Klimawandel heute schon in der eigenen Region bedeutet. Will ich das Thema effektiv kommunizieren, muss ich herausfinden, was dem Gegenüber am Herzen liegt und Sorgen ansprechen, die wir beide teilen. Und dann muss ich über Lösungen reden, die schon jetzt funktionieren." Niemand wolle sich von der Regierung vorschreiben lassen, was er zu tun habe. Aber Nachrichten über attraktive Lösungen begeisterten die meisten: "Solardachziegel sind heute zum gleichen Preis zu haben wie normale. Die US-Army stellt ihren größten Stützpunkt auf alternative Energien um, weil es Unmengen an Steuergeld spart. Das lieben die Leute, egal wo sie herkommen." Für den Erfolg ihres Rezepts sprechen zehntausende Follower in sozialen Netzwerken und der Wissenschaftskommunikationspreis der American Geophysical Union, den Hayhoe 2014 erhielt.
Die Prognosen für das Klima seien düster, dennoch sehen Katharine Hayhoe wie auch Lee Kump Grund zum Optimismus. Der Wahlausgang hätte sogar sein Gutes, meint Kump: "Er hat zu einer unglaublichen Mobilisierung geführt. Am Tag danach gründeten unsere Masterstudenten eine Organisation namens We are for Science. Sie diskutieren Strategien zur Finanzierung der Forschung und überlegen, wie man am besten mit den Menschen und der Politik spricht. Die Apathie ist verschwunden. Es ist, als sei etwas vom Geist der 1968er Jahre zurück, als man auf dem Campus ständig wegen irgendetwas außer sich war." Auch Hayhoe hat das beobachtet. "In den paar Wochen seit der Wahl ist das Level der Betroffenheit unter den Menschen enorm gestiegen. Allen ist plötzlich klar, dass die Regierung nicht handeln wird. Nun reden die Leute über den Klimawandel und wollen wissen, was sie selbst tun können. Das gibt mir Hoffnung." Gouverneur Jerry Brown drückte es so aus: "Manche Leute brauchen einen Herzanfall, um mit dem Rauchen aufzuhören. Vielleicht hatten wir gerade unseren Herzanfall."
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