Vektorimpfstoffe: Wird Adenovirus-DNA ins Genom eingebaut?
Die Skepsis bezüglich der neuen Corona-Impfstoffe war schneller da als deren Zulassung. Genveränderungen, so machte es bei Impfskeptikern und -gegnern die Runde, könnten die neuen Vakzine verursachen. Bei den ersten zugelassenen Impfstoffen ließen sich diese Befürchtungen einfach zerstreuen, dafür genügen grundlegende Kenntnisse der Biologie. Beim dritten in der EU zugelassenen Impfstoff, dem von AstraZeneca, ist die Lage allerdings keineswegs so eindeutig.
Das liegt an einem grundsätzlichen Unterschied zwischen diesen Vakzinen. Die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna enthalten mRNA, die im Zellplasma in ein Protein übersetzt wird – so wie gleichzeitig tausende andere mRNAs. In den Zellkern, wo unser eigenes Genom lagert, gelangt die mRNA nicht. Sie ist wie der papierene Ausdruck eines Bauplans, der auf einer Baustelle kursiert, während im Computer des Architekten das Original als Datei liegt. Wie diese sind Impf-mRNA und menschliche Chromosomen voneinander getrennt. Nach allem, was wir wissen, gibt es zwischen ihnen keine Interaktion.
Anders beim AstraZeneca-Impfstoff wie auch bei den Kandidaten der Unternehmen Johnson&Johnson/Janssen und dem russischen Impfstoff Sputnik V. Bei ihnen handelt es sich um Vektorimpfstoffe auf der Basis von Adenoviren, denen Wissenschaftler die Gene entfernt haben, die für ihre Vermehrung notwendig sind. Bei AstraZeneca ist dies ein Erreger, der natürlicherweise bei Schimpansen vorkommt (genannt Y25), beim Johnson&Johnson-Impfstoff humanes Adenovirus 26.
Adenovirus-Impfstoffe gelangen in den Zellkern
Dieses ist auch Grundlage für den Vektor des russischen Impfstoffs Sputnik V bei dessen erster Dosis; bei der zweiten wird das ebenfalls humane Adenovirus 5 verwendet. Sie alle enthalten das in DNA übersetzte Gen für das Spike-Protein des Coronavirus in ihrem Erbgut – Adenoviren haben anders als Coronaviren ein DNA-Genom. Das und ihre Unfähigkeit, sich zu vermehren, machen sie zu einer Art Genfähre.
Die Viren infizieren Zellen und bringen sie dazu, das fremde Spike-Protein herzustellen, so dass sich eine erlernte Immunreaktion entwickelt – ganz wie bei einem mRNA-Impfstoff. Der entscheidende Unterschied: Um in mRNA für die Proteinproduktion umgeschrieben zu werden, muss die Virus-Erbsubstanz in den Zellkern gelangen. Nur dort sind die entsprechenden Enzyme vorhanden. Zwar integrieren Adenoviren sich während ihres Vermehrungszyklus, anders als etwa Retroviren wie HIV, nicht ins Genom. Aber ihre DNA liegt definitiv im Zellkern vor. »Mich macht das ein bisschen nervös«, sagt Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich.
»Mich macht das ein bisschen nervös«Christian Münz
Es gibt noch keinen einzigen Impfstoff auf Basis der Adenovirus-Technik, der in vielen Menschen verimpft wurde. Lediglich ein Ebola- und ein Dengue-Vakzin sind zugelassen, allerdings noch kaum angewendet. Dass Virus-Erbsubstanz in den Zellkern gelangt, ist für zugelassene Impfstoffe zudem ungewöhnlich. Totimpfstoffe kommen gar nicht erst in die Zelle hinein. Lebendimpfstoffe, bestehend aus abgeschwächten Erregern, die folglich Erbsubstanz enthalten, treten zwar in die Zelle ein, richten sich aber meistens gegen RNA-Viren wie etwa Mumps, Masern und Röteln und brauchen folglich kein Umschreiben ihrer Erbsubstanz im Zellkern.
Der Pockenimpfstoff enthält zwar DNA, bringt jedoch die Maschinerie zum Umschreiben in RNA mit. Er vermehrt sich dementsprechend im Zellplasma und muss nicht in den Zellkern gelangen. Einzig der Windpockenimpfstoff enthält DNA, die in den Zellkern wandert. Jedoch besitzen diese Erreger natürlicherweise einen Mechanismus, der eine Integration des Virus-Genoms in die Wirts-DNA verhindert.
Auf der Suche nach belastbaren Daten
DNA, die im Zellkern außerhalb der Chromosomen vorliegt, kann in das Genom eingebaut werden – ein zufälliger Prozess, die so genannte heterologe Rekombination. »Diese Integration passiert leider nicht ganz so selten, wie man es sich erhoffen würde«, sagt Christian Münz. »In Mäusen wird eines von einer Million injizierten Viren in die Wirts-DNA integriert – und beim AstraZeneca-Impfstoff werden je nach Dosierung 25 bis 50 Milliarden Viren gespritzt.« Daraus ergebe sich verglichen mit dem RNA-Impfstoff ein höheres Risiko für Langzeitschäden. Krebs könnte die Folge sein, so wie er bei frühen Gentherapien aufgetreten ist. »Da hat man allerdings Retro- und Lentiviren verwendet, die sehr viel häufiger integrieren«, sagt Münz. »Bei Adenoviren ist das Risiko wesentlich geringer.«
In den aktuell laufenden Studien zu den Vektorimpfstoffen würden Komplikationen durch Virus-DNA-Integration jedenfalls kaum auffallen. Betroffen wären zunächst einzelne Zellen, die Folgen könnten sich erst Jahre später zeigen. Doch wie wahrscheinlich sind solche Integrationen? Und wie kann man überhaupt herausfinden, wie oft sie stattfinden? »In Zellkulturen ist das vergleichsweise einfach«, sagt Stefan Kochanek, Direktor der Abteilung Gentherapie am Uniklinikum Ulm. »Aber diese Zellen sind außerhalb des Körpers generell gestresst, deshalb ist die Rate der Integration von Virus-DNA ins Genom nicht aussagekräftig.«
Um Daten über Vorgänge im Körper zu bekommen, arbeitete Kochanek mit seinem Team deswegen an Mäusen – und zwar an Tieren, bei denen genetisch bedingt die Leber einen massiven Defekt hatte. Dann injizierten die Wissenschaftler den Mäusen intravenös Adenovirus-Vektoren, die ein Gen zur Reparatur dieses Defekts enthielten. In der Leber konnten die Wissenschaftler daraufhin Zell-Klone erkennen, in denen der Defekt geheilt worden war. Jeder Spot aus gesundeten Zellen stand für einen Einbau eines Adenovirus-Vektors ins Genom, denn nur Zellen, in denen dieser stabil eingebaut worden war, konnten sich vermehren und unterschieden sich optisch vom umgebenden Gewebe. Ergebnis: Bei rund sieben von 100 000 Zellen passierte eine solche Integration.
Sehr geringe Wahrscheinlichkeiten
»Aber spontan auftretende Mutationen, durch die ein Gen funktionsuntüchtig wird, kommen in gesunden Zellen gar nicht so selten vor – und diese natürlichen Veränderungen sind 1000-fach häufiger als eine solche Integration der DNA eines Adenovirus in eine Säugetier- DNA«, sagt der Molekularmediziner Kochanek. Diese Angaben beziehen sich allerdings auf Leberzellen von Mäusen, während die Vektorimpfstoffe beim Menschen in den Oberarmmuskel injiziert werden. »Am liebsten würden wir jetzt natürlich wissen, wie Muskelzellen reagieren, doch dort ist es quasi unmöglich, Integrationen quantitativ festzustellen – erst recht nicht beim Menschen«, sagt Kochanek.
»Ich sehe in den Corona-Impfstoffen auf Basis von Adenoviren keine langfristige Gefahr«Stefan Kochanek
»Der Muskel ist aber ein quasi ruhendes Gewebe mit geringer Zellteilungsrate, deshalb gehe ich davon aus, dass die Integrationsrate dort noch mal deutlich niedriger ist als in der Leber.« Krebs in Muskelzellen – so genannte Myosarkome – sind denn auch sehr selten. »Außerdem würde das Immunsystem Zellen, in denen ein Adenovirus-Vektor sich ins Genom integriert hätte, sehr wahrscheinlich spätestens nach wenigen Wochen abgetötet haben«, sagt Kochanek. »Ich sehe deshalb in den Corona-Impfstoffen auf Basis von Adenoviren keine langfristige Gefahr.«
Auch Virologen sehen keine Risiken. »Wir Menschen haben regelmäßig Adenovirus-Infektionen«, sagt Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Gießen. »Sie verursachen Erkältungssymptome, Augenentzündungen oder Magen-Darm-Probleme, aber Spätfolgen wie Tumorerkrankungen kennen wir nicht – trotz intensiver Forschung über Jahrzehnte.« Nach eigener Aussage würde er sich ohne Bedenken mit dem AstraZeneca-Impfstoff immunisieren lassen.
Allerdings benutzt dieser ein Virus, das sonst nur bei Schimpansen vorkommt. Von Hamstern ist bekannt, dass sie Tumoren entwickeln können, wenn sie mit menschlichen Adenoviren vom Typ 12 infiziert werden. »Mensch und Schimpanse sind sich aber genetisch so ähnlich, dass ich nicht davon ausgehe, dass beim Menschen Zellen durch den Vektor entarten«, sagt Friedemann Weber. »Vor allem: Den Impfvektoren fehlen Gene, die normalerweise den Zellzyklus manipulieren, deshalb können sie sich ja auch nicht vermehren.«
Haben wir wirklich eine Wahl?
Doch auch die Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs bleibt mit 62 Prozent weit hinter den etwa 95 Prozent der RNA-Impfstoffe zurück – und für ältere Menschen gibt es bislang so wenige veröffentlichte Daten, dass die deutsche Ständige Impfkommission den Impfstoff nicht für Menschen über 64 empfiehlt. In den USA und der Schweiz ist der Impfstoff wegen der fehlenden Studiendaten noch gar nicht zugelassen.
»Die Hoffnung ist, dass die Impfung der jüngeren Erwachsenen die Übertragung auf Risikopersonen verlangsamt«, sagt Christian Münz. »Vermutlich müsste dafür ein hoher Prozentsatz der jüngeren Bevölkerung geimpft werden. Dies erscheint bei den augenblicklichen Lieferengpässen von AstraZeneca unrealistisch.« Und andererseits müssten besonders jüngere Menschen noch lange mit möglichen Spätfolgen leben.
»Die Gefahr einer malignen Transformation durch Integration an der falschen Stelle des Genoms wird nicht hoch eingeschätzt, denn in der Regel bedarf es mehrerer genetischer Veränderungen, damit ein Tumor entsteht«, sagt Christian Münz. »Aber im Vergleich zu einem potenteren RNA-Impfstoff, bei dem diese Gefahr deutlich geringer ist und der höhere Effizienz gegen Sars-CoV-2 zeigt, ist dann plötzlich nicht mehr einzusehen, weswegen man den rekombinanten Adenovirusimpfstoff verwenden sollte.«
In Deutschland und der gesamten EU könnte es schon einen Grund geben – Impfstoffmangel. »100-prozentige Sicherheit gibt es bei einem Impfstoff nun mal nicht«, sagt Friedemann Weber. »Doch die Wahrscheinlichkeit, durch den AstraZeneca-Impfstoff zu Schaden zu kommen, ist extrem gering verglichen mit dem Risiko, durch Covid-19 dauerhafte Schäden davonzutragen.«
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