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Venezianisches Wappentier: Der Löwe vom Markusplatz stammt aus China

Eines der bekanntesten Wahrzeichen Venedigs erweist sich als mittelalterliche Importware »made in China«: Der Löwe auf dem Markusplatz ist ein Mitbringsel aus Fernost.
Löwe auf dem Markusplatz in Venedig
Die berühmte Skulptur wurde aller Wahrscheinlichkeit nach im 13. Jahrhundert in Einzelteilen nach Venedig gebracht. Ursprünglich könnte sie ein Grab der Tang-Dynastie bewacht haben.

Der Löwe, der auf einer Säule über der Piazza San Marco von Venedig thront, stammt offenbar aus China. Das haben Fachleute der Universitäten Padua und Venedig herausgefunden. Demnach wurde das Erz für die Bronzestatue am Unterlauf des Jangtse abgebaut. Zudem verweisen stilistische Merkmale in die Zeit der chinesischen Tang-Dynastie (609–907 n. Chr.).

Damit hält die Expertengruppe das Rätsel um die Herkunft der Statue für gelöst. Zuvor hatten Fachleute angenommen, sie könne in vorchristlicher Zeit in Anatolien angefertigt worden sein. Bestimmte Stilmerkmale hatten auf einen hellenistischen Ursprung gedeutet.

Doch in Wahrheit zeige die Statue mehr Ähnlichkeiten zu einer typischen Grabwächterfigur – chinesisch: Zhènmùshòu – der Tang-Dynastie, erklärte das Forscherteam nun auf einer Konferenz am 11. September 2024 in Venedig. Allerdings sei die Skulptur nach ihrem Import an einigen Stellen angepasst worden. So schien sie ursprünglich einmal Hörner gehabt zu haben und deutlich spitzere Ohren. Insgesamt hätten die Venezianer sie damit im Vergleich zur originalen Anmutung löwenähnlicher gemacht.

Vermutlich gelangte die Staue im 13. Jahrhundert nach Venedig. Das legen historische Quellen dar. Für den Transport war sie offenbar in Einzelteile zerlegt worden, in Venedig setzte man sie wieder zusammen. Auch in den folgenden Jahrhunderten wurde sie immer wieder überarbeitet, was ihren chinesischen Ursprung weiter verschleierte. So wurden beispielsweise die Flügel im 19. Jahrhundert nachgegossen, wobei das bereits vorhandene Metall der alten Flügel recycelt wurde.

Auf die Spur nach China führte die Wissenschaftler nun die Isotopensignatur im Material, eine Art chemischer Fingerabdruck des Herkunftsgebiets. Dem Magazin »Veneziatoday« sagte der Archäologe Massimo Vidale von der Universität Padua, stilistische Vergleiche seien notorisch unzuverlässig, doch Isotopenanalyse würden praktisch eindeutige Ergebnisse liefern. Somit stehe der fernöstliche Ursprung nun »sehr, sehr wahrscheinlich« fest. Das Team bereitet derzeit eine Veröffentlichung in einem Fachmagazin vor.

Markusplatz mit Campanile und Dogenpalast | Der Löwe befindet sich auf einer der beiden Säulen auf dem ufernahen Abschnitt des Markusplatzes, genannt Piazzetta San Marco. Der geflügelte Löwe, der sich auch im Stadtwappen findet, repräsentiert den Evangelisten Markus. Die Statue auf der zweiten Säule stellt Theodorus, den zweiten Stadtheiligen, dar.

Das Resultat wirft zugleich die Frage auf, wie die Skulptur nach Venedig kam. Marco Polo, der berühmteste Chinareisende der Stadt, kommt als Importeur nicht in Betracht, da sich die Statue im Jahr 1295, als er von seiner Reise zurückkehrte, bereits auf ihrer Säule befand. Sie könnte allerdings im Zuge der ersten Reise seines Vaters Nicolò und seines Onkels Maffeo in die Lagunenstadt gekommen sein. Die beiden hatten die Seidenstraße schon zwischen 1264 und 1266 bereist und den mongolischen Hof in Peking besucht. Dort könnten sie die bereits jahrhundertealte Skulptur erhalten haben.

Nur wenige große Zhènmùshòu-Figuren der Tang-Dynastie hätten die wechselnden Herrschaftsverhältnisse in Peking bis ins 13. Jahrhundert hinein überlebt. Die meisten seien eingeschmolzen oder zerstört worden, erklärt Vidale. Entsprechend schwierig sei es, Vergleichsstücke zu finden.

Auch aus Venedig gibt es nur wenige Aufzeichnungen über die Umstände, unter denen die Statue errichtet wurde. Venedig habe den geflügelten Löwen im Zeitraum zwischen 1260 und 1270 als Symbol gewählt. Die Figur ist ein Attribut des Evangelisten Markus, des Schutzpatrons der Stadt. Bei der Wahl des Löwen als Wappentier hätten allerdings eher machtpolitische Erwägungen eine Rolle gespielt, vermutet Vidale: Der geflügelte Löwe sollte den Herrschaftsanspruch und die militärische Schlagkraft der Hafenstadt symbolisieren.

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