Hydrogeologie: Venedig versinkt weiter
Vier- bis fünfmal pro Jahr heißt es für die Bewohner und Besucher Venedigs "Acqua alta": Die Flut drückt dann direkt in die Straßen und Plätze der Stadt und zwingt die Menschen in Gummistiefel und auf extra errichtete Hochwege. Doch nicht allein der steigende Meeresspiegel in der Adria verursacht dieses Hochwasser, die Kulturmetropole selbst und ihre umliegenden Inseln versinken immer tiefer im Untergrund – gegenwärtig mit einer Rate von zwei bis vier Millimetern pro Jahr, wie Yehuda Bock von der University of California in San Diego und sein Team gemessen haben.
Sie widerlegen damit frühere Studien, die zu dem Schluss gekommen waren, dass der Niedergang Venedigs seit der Jahrtausendwende eigentlich gestoppt sei. Doch diese maßen womöglich nicht genau genug, so Bock: Erst die Kombination von bodengestützten GPS-Daten und Radarmessungen aus dem All konnte die subtilen jährlichen Veränderungen exakt erfassen. Das GPS lieferte absolute Höhenangaben vor Ort, während die Radarabtastungen diese in Bezug zu anderen Bezugspunkten setzten. Die einzelnen Gebiete des venezianischen Großraums sinken dabei mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ab, denn im nördlichen Abschnitt der Lagune beträgt sie mit zwei Millimetern pro Jahr nur halb so viel wie im südlichen Bereich. Gleichzeitig kippt die Region leicht nach Osten, was die Abwärtsbewegung für die Stadt Venedig selbst zumindest etwas abschwächt, denn sie liegt im Westen.
Schuld an dieser Bewegung ist gegenwärtig vor allem die Plattentektonik: Die Adriaplatte – eine Mikroplatte im nördlichen Mittelmeerraum, auf der Venedig liegt – taucht unter den italienischen Apenninen unter die Eurasische Platte ab und zieht dabei langsam auch die Stadt nach unten. Dazu kommt das Eigengewicht der Gebäude, das die unterlagernden Sedimente in der Lagune immer weiter verdichtet, und die Erosion, die unter anderem die Nehrung des Lido di Venezia betrifft. Dieser schmale Landstreifen grenzt die Lagune zur offenen Adria hin ab.
Immerhin scheint die Situation mittlerweile etwas stabiler zu sein als während des 20. Jahrhunderts: Die Wasserbehörden Venedigs entnahmen bis zur Jahrtausendwende große Mengen Grundwasser aus den Aquiferen direkt unter ihrer Stadt, was zum Absacken der darüberlagernden Erdschichten und damit auch der Metropole selbst führt. Gleichzeitig stieg der Meeresspiegel an, so dass sich die Distanz zwischen Festland und mittlerem Wasserstand innerhalb weniger Jahrzehnte um 23 Zentimeter verringerte – häufigere Überschwemmungen der Stadt waren die Folge. Nun sollen in den nächsten 20 Jahren weitere acht Zentimeter Höhenverlust allein wegen der Tektonik hinzukommen; außerdem steigt weiterhin der Meeresspiegel der Adria an.
Um Venedig vor den Wasserschäden zu schützen, hat die italienische Regierung das Projekt MO.S.E. (Modulo Sperimentale eletromeccanico) ins Leben gerufen: mächtige Sperrwerke, die die Lagune abriegeln sollen, wenn die Flut eine Marke von 1,1 Meter Höhe über dem Durchschnitt überschreitet. Mit der jetzt gemessenen Absinkgeschwindigkeit kämen diese Fluttore noch zurecht, sie müssten nur öfter geschlossen werden, weil das potenzielle Gefahrenniveau häufiger erreicht würde. Bis 2014 soll der Bau von MO.S.E abgeschlossen sein; die Baukosten belaufen sich auf bis zu sechs Milliarden Euro.
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