Planetenforschung: Venusberge erzeugen Wellenzüge
Ein Forscherteam um Arianna Piccialli vom Laboratoire Atmosphères, Millieux, Observations Spatiales (LATMOS) im französischen Guyancourt stieß in den Bildern der europäischen Raumsonde Venus Express auf atmosphärische Wellen, die durch die Topografie der festen Venusoberfläche erzeugt werden. Sie zeigen sich als Wellenzüge von mehreren 100 Kilometern Länge, wobei die einzelnen Wellenberge zwischen 3 und 21 Kilometer voneinander getrennt sind. Diese Wellenzüge treten bevorzugt in hohen nördlichen Breiten oberhalb der Hochebene Ishtar Terra und dem angrenzenden Gebirgszug der Maxwell Montes auf. Ishtar Terra hat etwa die Größe von Australien und die Maxwell Montes sind mit bis zu elf Kilometer Höhe die höchsten Erhebungen auf unserem Nachbarplaneten.
Die Venus ist von einer sehr dichten, überwiegend aus Kohlendioxid bestehenden Atmosphäre umgeben. In ihr befindet sich eine im sichtbaren Licht undurchdringliche permanente Wolkendecke aus feinen Schwefelsäuretröpfchen, die niemals aufreißt. Ihre Obergrenze liegt im Mittel zwischen 62 und 70 Kilometer oberhalb der festen Oberfläche. Somit ist es sehr erstaunlich, dass topografische Strukturen Einfluss auf das Fließverhalten in der Atmosphäre in solch großen Höhen nehmen. Die Forscher um Piccialli vergleichen die dichte Venusatmosphäre mit einem Ozean aus heißem Gas, dessen Oberfläche von der permanenten Wolkendecke gebildet wird. Auch auf der Erde erzeugen von Wasser überströmte Erhebungen auf dem Meeresboden Wellen an der Oberfläche, die sich beispielsweise mit Radarsatelliten nachweisen lassen. Im sichtbaren Licht erscheint die Wolkendecke der Venus praktisch strukturlos, aber im nahen Infraroten und im Ultravioletten lassen sich konkrete Wolkengebilde erkennen, die Aufschluss über das Strömungsverhalten und die Windsysteme in der Venusatmosphäre geben. Die Aufnahmen entstanden mit der Venus Monitoring Camera (VMC).
Die Forscher um Piccialli nehmen an, dass die von ihnen beobachteten Strukturen so genannte Schwerewellen sind. Diese entstehen als Wellenstörung in einer stabil geschichteten Atmosphäre, wenn beispielsweise eine horizontale Gasschicht ruhig über ein topografisches Hindernis hinwegstreicht. Sie zeigen sich als regelmäßige Wolkenstrukturen oder quasiperiodische Störungen eines atmosphärischen Temperaturprofils. Zwei klassische Beispiele sind die häufig im Hochgebirge sichtbaren Lee-Wolken im Windschatten von Bergen und stehende Wasserwellen in einem Fluss hinter einem Felsblock im Flussbett. Diese durch Strömungen verursachte Schwerewellen haben im Übrigen nichts mit Gravitationswellen zu tun, die manchmal ebenso genannt werden.
Die Planetenforscher stießen auf insgesamt vier Klassen von Schwerewellen, die sie nach Form und Größe einteilen: • Lange Wellen zeigen sich als schmale gerade Strukturen, die sich über mehrere 100 Kilometer Breite erstrecken. Ihre Wellenberge liegen zwischen 7 und 17 Kilometer auseinander. • Mittlere Wellen zeichnen sich durch unregelmäßige Wellenfronten aus, die sich über mehr als 100 Kilometer ausbreiten. Sie haben Wellenlängen zwischen 8 und 21 Kilometer. • Kurze Wellen dagegen breiten sich nur über wenige Dutzend Kilometer aus, ihre Wellenzüge ziehen sich dafür mehrere 100 Kilometer in die Länge. Die Wellenlängen betragen zwischen 3 und 16 Kilometer. • Die letzte Kategorie sind irreguläre Wellenfelder, die auf Wechselwirkungen der drei zuvor genannten Wellenklassen untereinander zurückgehen. Die Wellenhöhe oder Amplitude ist bei all diesen Schwerewellen erstaunlich gering, sie liegt zwischen 3 und 70 Meter, und ist bei flacher Beleuchtung durch die Sonne am auffälligsten.
Bei der systematischen Durchmusterung der VMC-Aufnahmen nach Schwerewellen fiel den Forschern um Piccialli auf, dass sie auf der Nordhalbkugel stark gehäuft im Bereich von Ishtar Terra und den Maxwell Montes auftreten, während sie sich sonst eher rar machen. Die Schwerewellen finden sich hauptsächlich zwischen 60 bis 80 Grad nördlicher Breite und Längen von 250 bis 330 Grad Ost. Die Südhalbkugel kann wegen der stark elliptischen Bahn von Venus Express nicht mit der für die Suche nach Schwerewellen notwendigen Auflösung untersucht werden. Allerdings fehlen hier mit Ishtar Terra vergleichbare topografische Hindernisse. Piccialli und ihre Koautoren betonen, dass die Untersuchungen noch ganz am Anfang sind und noch weiterer Arbeit unter Hinzuziehung weiterer Datenquellen bedürfen. Sie möchten unter anderem eindeutig klären, wie die Schwerewellen oberhalb der Hochlandregionen im Detail entstehen.
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