Granulare Materie: Verblüffendes Experiment testet Sandsturm-Physik
Was passiert während eines Sandsturms? Wie ergeht es Eiskörnchen in einer Lawine? Und wie mischen sich die Staubpartikel in den Ringen des Saturn? Das klingt zunächst nach Fragen des 18. und 19. Jahrhunderts, als Physiker die Theorie von Gasen entwickelten. Schließlich befasst sich die so genannte Thermodynamik mit dem Verhalten großer Gruppen ständig aneinanderstoßender Atome. Durcheinanderwirbelnde Körner müssten sich eigentlich mit denselben Formeln beschreiben lassen, könnte man meinen.
In Wahrheit kann die jahrhundertealte Gastheorie die Dynamik wild umherfliegender Kugeln nur näherungsweise beschreiben. Im Detail ergeben sich Abweichungen, unter anderem, weil makroskopische Körner aneinanderreiben. Erst seit den 1990er Jahren ist es möglich, das Verhalten solcher "granularer Materie" am Computer zu simulieren. Dabei ist es jedoch eine veritable Herausforderung, die dabei auftauchenden Abweichungen von der Theorie klassischer Gase im Labor zu überprüfen.
Nun ist es deutschen Forschern geglückt, eine zentrale Vorhersage der Theorie granularer Materie experimentell zu bestätigen. Die Formeln sagen voraus, dass es in einem Ensemble zufällig kollidierender Körnchen etwas mehr Teilchen mit vergleichsweise hohen Geschwindigkeiten geben sollte, als die so genannte Maxwell-Boltzmann-Verteilung der Gastheorie besagt. Diese kleine Minderheit der Körnchen erfährt etwas seltener abbremsende Stöße als vergleichbare Atome in einer Gaswolke.
Diese Eigenart von Körnchen konnten Christian Scholz und Thorsten Pöschel von der Universität Erlangen-Nürnberg nun bestätigen. Die Physiker nutzten dazu ein kurioses Experiment. Sie packten bis zu 479 winzige, mit einem 3-D-Drucker hergestellte Mini-Zylinder auf einen vibrierenden Labortisch. Die Forscher versahen die 1,5 Zentimeter großen "Vibrots" – so der Name der Körnchen-Attrappen – mit jeweils sieben schräg angebrachten, federnden Beinen. Diese wandelten die ständigen Stöße der Tischplatte in eine Drehbewegung um, die Vibrots rotierten deshalb bis zu sechsmal pro Sekunde um ihre eigene Achse. Die Erlanger Physiker filmten die Bewegungen der Zylinder und konnten so die Vorhersage der Computersimulationen für granulare Materie bestätigen, wie die Forscher im Fachmagazin "Physical Review Letters" beschreiben.
Mit ihrem Versuchsaufbau umgingen die Wissenschaftler ein Problem früherer Experimente. In ihnen hatten Forscher unter anderem Perlen auf vibrierenden Tischen platziert, in der Hoffnung, so die Dynamik eines Sandsturms in zwei Dimensionen nachstellen zu können. Das Problem war jedoch, dass die Kügelchen zum Teil aus der Ebene gestoßen wurden oder in manchen Bereichen des Tisches stärker angestupst wurden als anderswo. Die Kügelchen bildeten dadurch rasch Häufchen, was die Simulation zum Erliegen brachte.
Der Versuchsaufbau von Scholz und Pöschel hatte dieses Problem nicht. Die rasch rotierenden Vibrots blieben auf Grund ihres Designs in der Ebene und breiteten sich im Großen und Ganzen gleichmäßig in alle Himmelsrichtungen aus. Sobald die Vibrots auf einen anderen Mini-Zylinder stießen, trieb ein Teil der Drehenergie eine Bewegung in horizontaler Richtung an. Auf diese Weise erreichten die schnellsten der Vibrots Geschwindigkeiten von mehr als zehn Zentimetern pro Sekunde. Der Großteil kroch dagegen mit eher beschaulichen ein oder zwei Zentimetern pro Sekunde über den Tisch.
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