Invasive Arten: Verfemte Auswanderer als letzte Chance?
Ein schmackhaftes Hühnerei vor der Nase – das war wohl das Letzte, was das Hermelin im Kahurangi-Nationalpark auf Neuseelands Südinsel erblickte. Auf dem Weg zur fetten Beute streifte das Tier einen Hebel, der unerbittlich den Mechanismus einer tödlichen Schlagfalle auslöste: Klappe zu, Marder tot. Die Ranger der neuseeländischen Naturschutzbehörde Neuseelands DoC (Department of Conservation) haben wieder einen winzigen Erfolg erzielt.
Denn Hermeline sind für sie eine Art Staatsfeind. Ende des 19. Jahrhunderts hatten Farmer diese kleinen Raubtiere in ihr Land geholt: Sie sollten mit einer Kaninchenplage aufräumen. Die Rechnung ging leider nicht auf, die Hermeline verlegten sich lieber auf Eier und dezimieren seither nicht die Hasenverwandtschaft, sondern die einzigartige einheimische Vogelwelt. Seit Jahrzehnten versuchen daher Ökologen mit Schlagfallen und vergifteten Ködern die Plage einzudämmen und zu retten, was noch zu retten ist.
Auf der anderen Seite des Erdballs haben Naturschützer auf den Britischen Inseln mit den dort heimischen Hermelinen praktisch das gegenteilige Problem: Sie fürchten um die Marder, weil deren Erbgut nicht wie natürlich sehr vielfältig, sondern extrem einheitlich ist. Alle Hermeline auf den Inseln haben den gleichen Erbguttyp, den Genetiker als Haplotyp 1 bezeichnen, wie Andrew Veale von der University of Auckland in Neuseeland, Robbie McDonald von der University of Exeter in England und Kollegen in der Zeitschrift "Molecular Biology" darlegen. Der Grund dieser Monotonie: Sowohl in Neuseeland als auch in Großbritannien lebten ursprünglich keine Kaninchen; diese kleinere Verwandtschaft des Feldhasen wurde jeweils erst von Züchtern auf die Inseln gebracht. In England machten sich die Pflanzenfresser im 12. Jahrhundert selbstständig und wurden zum landwirtschaftlichen Problemfall, in Neuseeland passierte im 19. Jahrhundert Ähnliches, als die Kaninchen eingeführt und ausgesetzt wurden.
Die Kettenreaktion beginnt
Als dann 1953 das ursprünglich aus Südamerika stammende Myxomatosevirus Großbritannien erreichte, kam das der Regierung in London gerade recht. Sie unterstützte die Verbreitung des Verwandten des Pockenerregers, der praktisch nur Kaninchen befällt. Damit sollte die Population eingedämmt und der Kahlfraß von Wiesen und Weiden verringert werden. Diese "biologische Kontrolle" war ein durchschlagender Erfolg – mit nicht geahnten Nebenwirkungen: Bis 1955 waren zwar mehr als 99 Prozent aller Kaninchen an der Myxomatoseepidemie verendet. "Allerdings hatten verschiedene einheimische Raubtiere längst die Tiere in ihre Speisekarte integriert, für Hermeline waren sie sogar zum Grundnahrungsmittel geworden", fasst Robbie McDonald zusammen. Kaninchen machten vier Fünftel ihrer Beute aus, die plötzlich verschwanden. Die Folgen waren verheerend: Die Weibchen bekamen keinen Nachwuchs mehr, und die wenigen verbliebenen Jungen verhungerten bald.
Nach den Kaninchen brach daher auch der Hermelinbestand zusammen. "Einige Jahre lang muss es in Großbritannien nur noch wenige hundert Weibchen mit Nachwuchs gegeben haben", schätzt McDonald aus einer Erbgutanalyse. In einigen Regionen waren die kleinen Marder offensichtlich ganz verschwunden – und mit ihnen auch der lokale Erbguttyp. Am Ende überlebten die Hermeline diese Hungersnot, ihre einstige genetische Vielfalt aber ist Vergangenheit: Heute finden die Forscher in Großbritannien nur noch den Haplotyp 1. Die Hermeline waren durch einen "genetischen Flaschenhals" gegangen, beschreiben Molekularbiologen solche Ereignisse plastisch.
In Neuseeland wehrten sich die Farmer schon viel früher gegen den Kahlfraß ihrer Felder – indem sie die Kaninchen eben mit Hermelinen bekämpfen wollten, die sie aus Großbritannien holten. "1884 kamen die ersten Hermeline dort an, zwei Jahre später waren bereits mindestens 224 von ihnen in Neuseeland unterwegs", schildert Robbie McDonald die damalige Situation. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren wohl einige tausend Hermeline frei gelassen worden, hatten längst beide Hauptinseln erobert und begannen, die Vogelwelt erheblich zu dezimieren. Heute schleichen vermutlich einige Millionen der kleinen Raubtiere durch die südpazifische Landschaft.
Reimport der exportierten Hermeline?
Doch ist es möglich, dass diese Marder das verarmte Erbgut ihrer britischen Verwandten wieder auffrischen? Schließlich könnten sie ebenfalls durch einen genetischen Flaschenhals gegangen sein, weil im 19. Jahrhundert ja nur relativ wenige Tiere gefangen, nach Neuseeland verschifft und dort auch noch bei guter Gesundheit frei gelassen wurden. Gingen sie also ebenfalls durch diesen Engpass? Das lässt sich anhand der zahlreichen erlegten Hermeline überprüfen, denen die DoC-Mitarbeiter vor allem in den Naturschutzgebieten mit einer ausgeklügelten Schlagfallenstrategie praktisch pausenlos nachstellen. Aus 16 verschiedenen Reservaten von der Spitze der Nordinsel bis zum Fjordland-Nationalpark ganz im Süden analysierten die Forscher das Erbgut von jeweils fünf erlegten Hermelinen. Über das Ergebnis staunten sie nicht schlecht: Neben dem einzigen noch in Großbritannien vorkommenden Haplotypen 1 fanden sie vier weitere Haplotypen, die sie von 2 bis 5 durchnummerierten.
Offensichtlich waren Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Regionen Großbritanniens Hermeline mit der damals typischen Erbgutvielfalt gefangen und in Neuseeland wieder freigelassen worden. Normalerweise müssen sich solche Neuankömmlinge erst einmal an ihre neue Heimat anpassen. Das dauert oft Jahrzehnte, in denen jeweils nur wenige Tiere überleben. In dieser Zeit geht daher normalerweise ein großer Teil der Vielfalt im Erbgut verloren. Die verschifften Hermeline fanden sich dagegen in einer Art Paradies für Marder wieder: Überall brüteten Vögel, die ihre Eier und Küken kaum zu schützen wussten, weil räuberische Säugetiere seit Jahrmillionen in ihrer Heimat unbekannt waren. Die Hermeline konnten sich beinahe explosionsartig vermehren und so ihre diversen Genome bewahren. "Neuseeland entpuppt sich damit als die Arche Noah für Hermeline", meint McDonald.
Die einstigen Auswanderer könnten also heute nach Großbritannien zurückgeholt werden, um die verarmte Population dort wieder aufzupäppeln. "Zurzeit gibt es jedoch keine Pläne dafür", berichtet der Forscher. "Einen Versuch aber wäre es wert. Den Erfolg einer solchen Aktion könnte man allerdings erst nach etlichen Hermelingenerationen sehen. Leider werde ich bis dahin bereits in Pension sein."
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