Bürgerwissenschaft: Verloren geglaubte Pflanzenarten dank des Internets wiederentdeckt
Wenn man seltene Pflanzen untersuchen will, musste man bisher meist entweder eine beschwerliche Expedition unternehmen oder auf die wenigen Exemplare zurückgreifen, die irgendwann einmal gesammelt und in einem Herbarium konserviert wurden. Dann erfährt man aber nur wenig darüber, ob und wo die Art heute noch natürlicherweise vorkommt – wichtige Informationen nicht nur für die wissenschaftliche Beschreibung, sondern auch für den Schutz bedrohter Arten. Nun hat eine Forschungsgruppe sich die Arbeit erleichtert und vermeintlich verlorene Pflanzen wiederentdeckt, indem sie die Vorzüge des Internets genutzt hat.
Im Netz gibt es nicht bloß immer mehr digitalisierte Herbarien, sondern außerdem massenhaft naturbegeisterte Laien. Man muss nicht mehr wie der Universalgelehrte Alexander von Humboldt mühsam durch die Tropen stapfen, sondern kann von den Menschen profitieren, die das freiwillig tun und ihre Beobachtungen verschiedenster Lebewesen dokumentieren.
Die Plattform iNaturalist sammelt zahllose Sichtungen, die Personen auf der ganzen Welt mittels einer App von mitunter seltenen Exemplaren aus dem Tier- und Pflanzenreich machen. Ein Team um Tilo Henning vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg sowie Maximilian Weigend von der Universität Bonn hat jetzt gemeinsam mit Kollegen aus Costa Rica, Ecuador und Peru mit Hilfe der iNaturalist-Daten sechs Arten aus der Pflanzengattung Nasa gefunden, die scheinbar verschwunden waren. Nasa-Arten sind in Zentral- und Südamerika verbreitet, doch manche von ihnen sind nur an wenigen Orten zu finden, etwa auf einzelnen Berghängen. Die überraschenden Wiederentdeckungen zeigen erneut das Potenzial von Citizen-Science-Projekten für den Naturschutz.
Vor allem, wenn eine Art seit Jahrzehnten nicht mehr in freier Wildbahn gesehen wurde und auch bei gezielten Expeditionen in ihrem ursprünglich beschriebenen Lebensraum nicht mehr aufzufinden war, liegt – besonders angesichts des weltweit dramatischen Verlusts der Biodiversität – die Annahme nahe, sie sei ausgestorben. Manche derartige Befürchtung hat sich nach glücklichen Wiederentdeckungen als unbegründet erwiesen. Es gibt zahlreiche Beispiele wiederaufgetauchter Arten.
Jetzt zeigte sich auch bei den wiederentdeckten Nasa-Arten, dass Berichte über ihr Ableben stark übertrieben waren. Der Nachweis gelang durch eine Kombination von gezielten Suchkampagnen vor Ort und einem Austausch sowie der Auswertung von Beobachtungsdaten über die iNaturalist-Plattform. Beispielsweise wurde die Art Nasa colanii nur ein einziges Mal 1978 dokumentiert – bis das Team um Henning sie auf einem 2019 angefertigten iNaturalist-Foto erkannte. Sie wächst auf rund 2600 Meter Höhe in einer extrem unzugänglichen und regnerischen Region.
Die Art Nasa ferox blieb sogar 130 Jahre lang verschollen, bis 2022 bei iNaturalist Fotos hochgeladen wurden. 162 Jahre waren es bis zu dem Fund der Unterart Nasa humboldtiana subsp. humboldtiana, der Xavier Cornejo von der Universidad de Guayaquil in Ecuador 2021 gelang. Zuletzt wurde die Pflanze 1859 vom englischen Botaniker Richard Spruce in ein Herbarium überführt. Ein Mitglied des Forschungsteams, Paúl Gonzáles von der peruanischen Universidad Nacional Mayor de San Marcos, hat inzwischen eine Reihe von Fotos der besonders schönen Art Nasa solaria bei iNaturalist hochgeladen – nachdem Koautor Weigend und ein Kollege sie bereits 2003 für in freier Wildbahn ausgestorben hielten. Das Forschungsteam hofft darauf, dass in Zukunft weitere vermeintlich verlorene Arten wiederentdeckt werden, sobald sich noch mehr Menschen an vergleichbaren Datensammlungen mittels Citizen Science beteiligen.
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