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Bewusstsein: Vermeintlich bewusstloser Wachkomapatient kommuniziert über Hirnscanner

Ein 22-jähriger Wachkomapatient, der sich laut klinischer Diagnose in einem vegetativen Zustand befindet, hat jetzt mit Wissenschaftlern kommuniziert, indem er korrekt auf einfache Ja/Nein-Fragen antwortete. Die Antworten las das Forscherteam dabei aus den Daten eines Hirnscanners heraus. Den untersuchenden Wissenschaftlern zufolge seien die Diagnosekriterien, mit denen Patienten eingestuft werden, die am so genannten apallischen Syndrom leiden, möglicherweise nicht ausreichend.

Insgesamt 54 Patienten, die infolge einer schweren Hirnverletzung nach außen hin keinerlei oder kaum Anzeichen von Bewusstsein und Körperkontrolle mehr zeigten, wurden in die Untersuchung einbezogen. Bei fünf von ihnen war an der Gehirnaktivität erkennbar, dass sie auf mündliche Anweisung der Wissenschaftler reagieren konnten, schreiben die Forscher um Adrian Owen von der Cognition and Brain Sciences Unit des britischen Medical Research Councils in Cambridge. Die Diagnose, in welchem Zustand sich ein Mensch befindet, wird durch standardisierte Tests gestellt. Dabei sind die behandelnden Ärzte in erster Linie darauf angewiesen, sichtbare Zeichen und Reaktionen zu deuten.

Owen und Kollegen wiesen ihre Patienten an, sich entweder vorzustellen, wie sie Tennis spielen oder wie sie durch ihr Haus laufen. Beide Vorstellungen erzeugen bei der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) verhältnismäßig klar unterscheidbare Aktivierungsmuster in jeweils eigenen Hirnregionen, die rund eine halbe Minute anhalten. Im Umkehrschluss lässt sich dann allein anhand der Messdaten bestimmen, woran ein Patient gerade denkt.

"Heißt Ihr Vater 'Thomas'?"

Diesen Zusammenhang nutzten die Wissenschaftler für ein Kommunikationsexperiment mit dem Probanden, der zuvor die deutlichsten Ergebnisse geliefert hatte: Weil die Auflösung des fMRT zu grob ist, um ein gedachtes "Ja" und ein gedachtes "Nein" auseinanderzuhalten, wurde der Proband instruiert, für eine bejahende Antwort an Tennis zu denken und für eine verneinende an das Haus. Auf fünf der sechs biografischen Fragen, die ihm Owen und Kollegen stellten, konnte der 22-Jährige eine korrekte Antwort geben, bei der sechsten Frage war in den entsprechenden Regionen keine Hirnaktivität feststellbar. Möglicherweise sei der Patient eingeschlafen, in einen unbewussten Zustand zurückgefallen oder habe keine Antwort geben wollen, so die Forscher.

Owen hatte bereits im Jahr 2006 mit einer ähnlichen Studie Aufsehen erregt, als er eine einzelne Patientin dem gleichen Testverfahren unterzogen hatte und dabei feststellte, dass die scheinbar völlig bewusstlose Frau ihre Hirnaktivität kontrollieren konnte. Kritiker wie Lionel Naccache vom Hôpital de la Salpêtrière in Paris hatten ihm damals entgegengehalten, dass die gemessene Hirnaktivität ebenso gut ein unbewusster Reflex auf das gehörte Wort "Tennis" oder "Haus" sein könnte.

"Eindeutiger Nachweis für Bewusstsein"

Dem Online-Nachrichtendienst der Zeitschrift "Nature" erklärte Naccache nun, die neue Untersuchung habe ihn vom Gegenteil überzeugt. Das Team um Owen habe einen eindeutigen Beweis für Bewusstsein bei den Wachkomapatienten erbracht. "Wer bei Bewusstsein ist, kann einen willkürlich gewählten Kode verwenden, um zu kommunizieren." Das habe der Patient demonstriert, indem er den von den Forschern vorgeschlagenen Kode übernommen habe, so Naccache.

Der 22-jährige Patient befand sich laut den behandelnden Ärzten seit Jahren im so genannten persistierenden vegetativen Zustand, bei dem lediglich bestimmte Hirnbereiche die grundlegenden Körperfunktionen aufrechterhalten. Eine nachfolgende, noch genauere Untersuchung nach der gängigen Vorgehensweise erbrachte allerdings leichte, wenn auch widersprüchliche Anzeichen von gelegentlichem Bewusstsein. Vier der fünf Patienten, die die Imaginationsaufgabe der Wissenschaftler erfüllen konnten, sollten sich laut der gängigen Kriterien ebenfalls im vegetativen Zustand befinden, der fünfte war als "minimal bewusst" eingestuft worden.

Keinerlei Aussagen trifft die Studie des Teams um Owen darüber, wie weit die kognitiven Fähigkeiten der Patienten reichten – etwa ob sie bei ähnlich klarem Verstand sind wie Menschen, die vom so genannten Locked-in-Syndrom betroffen sind, anders als diese aber überhaupt keine willentliche Kontrolle über ihre Körperbewegungen haben. Die Fragen, die das Team dem 22-Jährigen stellte ("Heißt Ihr Vater Thomas?", "Haben Sie Brüder?" etc.), waren verhältnismäßig leicht zu beantworten.

Die Untersuchung in einem Hirnscanner ist zu aufwändig, um Patienten dauerhaft eine Möglichkeit zur Kommunikation zu geben, sollte aber nach Meinung der Forscher systematisch in die Einstufung des Bewusstheitsgrads einbezogen werden. Sollte sich herausstellen, dass die Antworten zuverlässig gegeben werden, könnte sich das Verfahren außerdem als nützlich erweisen, um Patienten beispielsweise danach zu fragen, ob sie Schmerzmittel benötigen. (jd)
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