News: Vermeintlicher Schutzschild
In der Sprache der Militärs klingt alles so einfach: Feindliche Interkontinentalraketen werden kurz nach dem Start mit geeigneten Abfangmaßnahmen zerstört, sodass kein Teil der gefährlichen Fracht auch nur den Grenzen des angegriffenen Landes nahe kommt. Praktisch gesehen wird eine solche boost phase defense nie zufrieden stellend funktionieren, meinen Physiker.
Die Idee ist nicht neu: Bereits in den sechziger Jahren begannen die USA ein Abwehrsystem zu entwickeln, das mit nuklear bestückten Abfangraketen vor sowjetischen und chinesischen Interkontinentalraketen schützen sollte. Die Machbarkeit und Wirksamkeit von Safeguard wurde jedoch schon damals von Wissenschaftlern angezweifelt, und ein Abkommen mit der Sowjetunion über die Begrenzung der Systeme zur Abwehr ballistischer Flugkörper (ABM-Vertrag) sowie technische Probleme machten die Weiterentwicklung der Raketenabwehr in den siebziger Jahren schnell obsolet.
Auch Ronald Reagans Vision von einer Raketenabwehr im Weltraum, SDI (Strategic Defense Initiative), aus den frühen achtziger Jahren verschwand nach Zusammenbruch und Selbstauflösung des Ostblocks zunächst einmal in den Schubladen. Es dauerte jedoch nicht lang, bis neue Bedrohungsszenarien ausgemacht waren. Missliebige Nationen, "Schurkenstaaten", rückten auf den Plan von Militärstrategen. So sah sich denn Bill Clinton seit 1994 einer republikanischen Kongressmehrheit gegenüber, die mit Nachdruck das Ziel einer nationalen Raketenabwehr verfolgte. Die endgültige Entscheidung über das Projekt überließ Clinton seinem Nachfolger im Amt: George W. Bush. Spätenstens seit dieser im Dezember 2001 ankündigte, dass sich die USA aus dem fast 30 Jahre alten ABM-Vertrag zurückziehen, scheint nun der Weg frei für eine nationale Raketenabwehr (National Missile Defense) der Amerikaner.
Ein wesentlicher Bestandteil dieses Systems, das eigentlich schon in den nächsten Jahren für Schutz sorgen soll, ist die frühzeitige Zerstörung der Interkontinentalraketen direkt nach dem Start: die boost phase defense. Wissenschaftler der American Physical Society (APS) haben sich unabhängig von staatlichen Organen mit der Machbarkeit dieses Vorhabens befasst und dazu am gestrigen 15. Juli einen mehr als 400 Seiten starken Bericht vorgelegt. Dabei betrachteten die beteiligten Forscher sowohl Land-, See- und Luft-gestützte Abfangsysteme als auch Systeme im All sowie Luft-gestützte Laser. Das Ergebnis der Studie dürfte für die Verfechter einer nationalen Raketenabwehr ernüchternd sein: Ein frühzeitiges Abfangen von Raketen kurz nach dem Start kann keinen effektiven Schutz vor den wichtigsten feindlichen Raketentypen bieten.
Das Hauptproblem ist das enge Zeitfenster, in dem Gegenmaßnahmen greifen müssten. "Nur zwei bis drei Minuten stehen zur Verfügung, um eine Rakete in der Startphase abzufangen, selbst wenn man voraussetzt, dass große Fortschritte bei den Erkennungs- und Verfolgungssystemen gemacht werden", erklärt Frederick Lamb, seines Zeichens Physiker und Direktor des Center for Theoretical Astrophysics in Illinois. Abfangsysteme müssten deshalb in der Nähe eines möglichen Startplatzes einer Rakete stationiert sein, nicht weiter als 400, maximal 1000 Kilometer davon entfernt. In manchen Fällen wäre das näher, als die politische Landkarte erlaubt, so die Forscher.
Im Ernstfall müssten die Verteidiger vermutlich eine Entscheidung über den Abschuss einer Rakete treffen, noch bevor sie wüssten, ob es sich um einen echten Angriff handelt oder lediglich um eine Weltraummission, vermutet Lamb. Außerdem wären Abfangraketen nur gegen vergleichsweise lang brennende Flüssigtreibstoff-Raketen von Nutzen. Gegen die schnell brennenden Feststoffraketen hätte ein solches Abwehrsystem keine Chance. Doch eben jene Feststoffraketen könnten den als Schurkenstaaten bezeichneten üblichen Verdächtigen in zehn bis 15 Jahren zur Verfügung stehen – zumindest, wenn man amerikanischen Geheimdienstberichten Glauben schenkt. Die gleiche Zeit bräuchten die USA voraussichtlich, um überhaupt eine Raketenabwehr zu installieren, die dann aber nur einen gewissen Schutz vor den Flüssigtreibstoff-Raketen bietet. Die neuen Schnellstarter würden hingegen durchs Netz gehen.
Auch im All stationierte Abfangsysteme hätten der Studie zufolge mit dem engen Zeitfenster zu kämpfen. Es bedürfte einer Flotte tausender von Satelliten, nur um eine einzige Rakete abzufangen. Allein um all diese Satelliten ins All zu bringen, müssten die Vereinigten Staaten ihre Raumfahrt-Kapazitäten um das fünf- bis zehnfache erhöhen, so rechnen die Physiker vor.
Und auch von Luft-gestützen Lasersystemen versprechen sich die Experten keinen durchschlagenden Erfolg. Zwar könnten diese auf kurzer Entfernung gegen die Flüssigtreibstoff-Raketen durchaus etwas ausrichten, auf großen Distanzen oder gar gegen Feststoffraketen sind auch sie machtlos. Zudem seien die Laser, die beispielsweise an Bord von Flugzeugen installiert werden sollen, nicht vor Gegenmaßnahmen des jeweiligen Aggressors gefeit.
Alles in allem lässt die APS-Studie, die im Übrigen vollständig aus dem Internet herunterzuladen ist, wenig Spielraum für militärische Träumereien. William Brinkman, ehemaliger Präsident der APS, meint: "Das Ziel [dieser Studie] war, dass jeder seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen kann. Aber die Schlüsse sind ziemlich klar für jeden, der sie sehen will."
Auch Ronald Reagans Vision von einer Raketenabwehr im Weltraum, SDI (Strategic Defense Initiative), aus den frühen achtziger Jahren verschwand nach Zusammenbruch und Selbstauflösung des Ostblocks zunächst einmal in den Schubladen. Es dauerte jedoch nicht lang, bis neue Bedrohungsszenarien ausgemacht waren. Missliebige Nationen, "Schurkenstaaten", rückten auf den Plan von Militärstrategen. So sah sich denn Bill Clinton seit 1994 einer republikanischen Kongressmehrheit gegenüber, die mit Nachdruck das Ziel einer nationalen Raketenabwehr verfolgte. Die endgültige Entscheidung über das Projekt überließ Clinton seinem Nachfolger im Amt: George W. Bush. Spätenstens seit dieser im Dezember 2001 ankündigte, dass sich die USA aus dem fast 30 Jahre alten ABM-Vertrag zurückziehen, scheint nun der Weg frei für eine nationale Raketenabwehr (National Missile Defense) der Amerikaner.
Ein wesentlicher Bestandteil dieses Systems, das eigentlich schon in den nächsten Jahren für Schutz sorgen soll, ist die frühzeitige Zerstörung der Interkontinentalraketen direkt nach dem Start: die boost phase defense. Wissenschaftler der American Physical Society (APS) haben sich unabhängig von staatlichen Organen mit der Machbarkeit dieses Vorhabens befasst und dazu am gestrigen 15. Juli einen mehr als 400 Seiten starken Bericht vorgelegt. Dabei betrachteten die beteiligten Forscher sowohl Land-, See- und Luft-gestützte Abfangsysteme als auch Systeme im All sowie Luft-gestützte Laser. Das Ergebnis der Studie dürfte für die Verfechter einer nationalen Raketenabwehr ernüchternd sein: Ein frühzeitiges Abfangen von Raketen kurz nach dem Start kann keinen effektiven Schutz vor den wichtigsten feindlichen Raketentypen bieten.
Das Hauptproblem ist das enge Zeitfenster, in dem Gegenmaßnahmen greifen müssten. "Nur zwei bis drei Minuten stehen zur Verfügung, um eine Rakete in der Startphase abzufangen, selbst wenn man voraussetzt, dass große Fortschritte bei den Erkennungs- und Verfolgungssystemen gemacht werden", erklärt Frederick Lamb, seines Zeichens Physiker und Direktor des Center for Theoretical Astrophysics in Illinois. Abfangsysteme müssten deshalb in der Nähe eines möglichen Startplatzes einer Rakete stationiert sein, nicht weiter als 400, maximal 1000 Kilometer davon entfernt. In manchen Fällen wäre das näher, als die politische Landkarte erlaubt, so die Forscher.
Im Ernstfall müssten die Verteidiger vermutlich eine Entscheidung über den Abschuss einer Rakete treffen, noch bevor sie wüssten, ob es sich um einen echten Angriff handelt oder lediglich um eine Weltraummission, vermutet Lamb. Außerdem wären Abfangraketen nur gegen vergleichsweise lang brennende Flüssigtreibstoff-Raketen von Nutzen. Gegen die schnell brennenden Feststoffraketen hätte ein solches Abwehrsystem keine Chance. Doch eben jene Feststoffraketen könnten den als Schurkenstaaten bezeichneten üblichen Verdächtigen in zehn bis 15 Jahren zur Verfügung stehen – zumindest, wenn man amerikanischen Geheimdienstberichten Glauben schenkt. Die gleiche Zeit bräuchten die USA voraussichtlich, um überhaupt eine Raketenabwehr zu installieren, die dann aber nur einen gewissen Schutz vor den Flüssigtreibstoff-Raketen bietet. Die neuen Schnellstarter würden hingegen durchs Netz gehen.
Auch im All stationierte Abfangsysteme hätten der Studie zufolge mit dem engen Zeitfenster zu kämpfen. Es bedürfte einer Flotte tausender von Satelliten, nur um eine einzige Rakete abzufangen. Allein um all diese Satelliten ins All zu bringen, müssten die Vereinigten Staaten ihre Raumfahrt-Kapazitäten um das fünf- bis zehnfache erhöhen, so rechnen die Physiker vor.
Und auch von Luft-gestützen Lasersystemen versprechen sich die Experten keinen durchschlagenden Erfolg. Zwar könnten diese auf kurzer Entfernung gegen die Flüssigtreibstoff-Raketen durchaus etwas ausrichten, auf großen Distanzen oder gar gegen Feststoffraketen sind auch sie machtlos. Zudem seien die Laser, die beispielsweise an Bord von Flugzeugen installiert werden sollen, nicht vor Gegenmaßnahmen des jeweiligen Aggressors gefeit.
Alles in allem lässt die APS-Studie, die im Übrigen vollständig aus dem Internet herunterzuladen ist, wenig Spielraum für militärische Träumereien. William Brinkman, ehemaliger Präsident der APS, meint: "Das Ziel [dieser Studie] war, dass jeder seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen kann. Aber die Schlüsse sind ziemlich klar für jeden, der sie sehen will."
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