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Quantenphysik: Verschmolzene Quantenexotik

Physiker sind zu beneiden: Seit zehn Jahren haben sie mit dem Bose-Einstein-Kondensat ein neues Spielzeug, das herrlich seltsame Effekte zu bieten hat. Was könnte man damit nicht alles machen ... wenn man denn endlich die passenden Probleme zu den Lösungen finden würde.
Bose-Einstein- Kondensat
Braut oder Bräutigam? Verzeihung: Welle oder Teilchen? – Das kommt drauf an, geben Atome in den Laboratorien der Physik zur Antwort. In den meisten Fällen handeln sie wie harte Kerle, die mit Aufenthaltsort und Impuls recht gut zu beschreiben sind, sich gerne zu größeren Ansammlungen vereinen und in Teilchenbeschleunigern einander die Köpfe einrennen. Aber sie haben auch ihre weiche, wellige Seite. Dann verschmieren sie ihre Anwesenheit und überlagern sich zu hübschen Interferenzmustern. Es kommt eben drauf an, und zwar auf das jeweilige Experiment, an dem die Atome gerade teilnehmen.

Eine der neuesten Versionen sieht so aus, dass viele Atom-Individuen bis knapp über den absoluten Nullpunkt der Temperaturskala abgekühlt und auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Unter diesen Bedingungen ist Schluss mit der Individualität und dem Teilchen-Dasein: Die Atome verschmelzen zu einer einzigen quantenmechanischen Welle – dem Bose-Einstein-Kondensat. Theoretisch kannten Wissenschaftler diesen fünften Aggregatzustand (nach fest, flüssig, gasförmig und Plasma) schon lange, doch so richtig in die experimentelle Realität konnten sie ihn erst 1995 zwingen. Seitdem erforschen sie begeistert die Eigenschaften des Kondensats, denn schließlich verhält es sich trotz seiner Größe quantenmechanisch und damit faszinierend seltsam.

Da wäre zum Beispiel die Phaseneigenschaft des Kondensats. Als Welle hat es seine Aufs und Abs – alle Atome gemeinsam, was Physiker als kohärent bezeichnen. Nur: Wie einigen sich die Atome beim Zusammenschluss auf eine Phase? Jedes Kondensat scheint an einem zufälligen Punkt zu starten, und bislang ist keine Kraft gefunden, mit der sich diese Startphase bestimmen ließe. Mehr noch: Bei einer festgelegten Anzahl teilnehmender Atome sollte es theoretisch gar nicht so etwas wie eine Phase geben. – Für den Laien verwirrend, für den Physiker unbefriedigend. Da muss etwas getan, sprich: experimentiert, werden!

Beim Stichwort "Phase" assoziiert der Forscher automatisch "Interferenz", also Überlagerung. Wenn es sich bei den Kondensaten um Wellen handelt, sollten diese wie Licht- oder Wasserwellen aufschlussreiche Muster ergeben, wenn man zwei oder mehrere an den gleichen Ort bringt. Beim Licht entstehen Streifen von hellen und dunklen Zonen, Wasser bildet Wellenberge und -täler, und Kondensate bringen Bereiche mit dichteren Regionen und solche mit geringerer atomarer Besiedlung hervor. Somit das gewünschte Resultat – allerdings mit zwei Wermutstropfen. Zum einen hängen die Interferenzmuster von den Startwerten der Kondensatphasen ab, und die sind nunmal rein zufällig. Zum anderen werden die ursprünglichen Kondensate bei der Überlagerung natürlich zerstört. Damit ist jeweils nur eine einzige Messung möglich und an ein Verfolgen der Entwicklung nicht zu denken.

Den Ausweg aus der Sackgasse haben nun Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Technology um Michele Saba gefunden. Mit einem cleveren Aufbau zapfen sie von ihren Kondensaten jeweils nur wenige Atome ab, die den Zustand ihres Mutterkondensats mit sich tragen und als kleine Probe miteinander interferieren dürfen, ohne der Gesamtheit größeren Schaden zuzufügen. In ihren Versuchen stellten die Forscher zunächst zwei ovale Bose-Einstein-Kondensate mit rund einer Million Natriumatomen Bevölkerung her. Auf diese ließen sie das Licht von zwei Lasern fallen, die in entgegengesetzte Richtungen strahlten. Einzelne Photonen davon wurden an Atom-Äquivalenten im Kondensat gestreut, wobei sie ihnen einen Impuls mitgaben. Das gestreute Photon reihte sich in den zweiten Laserstrahl ein, während das Atom sich aus dem Kondensat löste. Es entstand eine Art Atomlaser – ein dünner Strahl von Atomen. Die beiden ausgekoppelten Teilchenströme ließ die Sabas Gruppe interferieren und zeichnete das Muster mit einem dritten Laserstrahl auf. Außerdem registrierten sie die Intensität des gestreuten Laserlichts und erhielten das gleiche Muster wie bei der Interferenz der Atomstrahlen.

Mit ihrem kleinen Trick gelang es den Physikern erstmals, den relativen Phasenunterschied zweier Kondensate zeitlich zu verfolgen. Außerdem konnten sie ihn sogar einstellen: Ein erster Laserpuls zwang die Kondensate zu bestimmten Phasenlage, die mit einem zweiten Laserblitz überprüft wurden. Insgesamt also ein wunderbares neues Werkzeug, um die Rätsel der Bose-Einstein-Kondensate zu ergründen.

Doch Forschung von heute muss sich stets durch greifbare Anwendungen für neue Produkte rechtfertigen. Und so spekulieren Wissenschaftler, was sich eigentlich mit Bose-Einstein-Kondensaten "Nützliches" anstellen ließe. Als Science mit dem geringsten Anteil von Fiction fallen ihnen verbesserte Gyrometer ein – Geräte zur Messung von Drehung. Die sind nötig, wenn man genau wissen will, wo man ist und in welche Richtung die Reise geht. Flugzeuge und Satelliten sind damit ebenso ausgestattet wie Ausrüstungen zur Erdölsuche. Die besten Resultate liefern derzeit Laser-Gyroskope, doch ein Gyroskop auf Basis von Atomwellen könnte theoretisch Milliardenmal genauer sein. Als Quantensystem würde es am Rand der möglichen Auflösung arbeiten. Eine tolle Sache – die bloß noch in weiter Ferne liegt und eigentlich auch niemand so richtig braucht. Aber das hatte man Mitte des letzten Jahrhunderts auch vom Laser gedacht. Warten wir einfach ab, womit uns die Bose-Einstein-Kondensate in Zukunft überraschen werden.

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