Direkt zum Inhalt

Verschwörungsglaube: Die Metapher vom Kaninchenbau-Syndrom

Das Kinderbuch »Alice im Wunderland« hält so manche Weisheit parat. Eine bekannte Szene dient Psychologen als Metapher dafür, wie Menschen immer tiefer in der Welt der Verschwörungstheorien versinken.
Zeichnung von einem weißen Kaninchen, das in einen Tunnel springt
Stilisierte Szene aus Lewis Carrolls Kinderbuch »Alice im Wunderland«: Ein weißes Kaninchen springt in ein Loch und verschwindet darin. (Symbolbild)

Die Erde ist eine Scheibe, das Coronavirus gibt es gar nicht: Über solche Verschwörungstheorien können viele Menschen schmunzeln. Doch ein paar wenige nehmen das für bare Münze: Sie scheinen in einer alternativen Wirklichkeit gefangen zu sein. Wie kommt das? Der Psychologe Robbie Sutton und seine Kollegin Karen Douglas von der University of Kent beschreiben die Entwicklung als »Rabbit Hole Syndrome«.

Mit der Metapher vom Kaninchenbau spielen sie auf eine Szene in Lewis Carrolls Kinderbuch »Alice im Wunderland« an: Neugierig folgt die kleine Alice einem Kaninchen in einen Tunnel, ohne darüber nachzudenken, wie sie jemals wieder herauskommt. Und bevor sie es sich anders überlegen kann, beginnt sie zu fallen – und sie fällt und fällt, immer tiefer.

Wie Sutton und Douglas in der Fachzeitschrift »Current Opinion in Psychology« schildern, entwickelt sich auch der Verschwörungsglaube derart ungeplant. Anfangs verlaufe der Prozess eher langsam; die Theorien wecken vielleicht ein wenig Neugierde. Aber je mehr man sich mit den Theorien beschäftige, desto mehr verändern sich die eigenen Überzeugungen, zunächst langsam, dann immer schneller, und zugleich wachsen Frust, Unsicherheit und das Bedürfnis nach Erklärungen – eine sich selbst verstärkende Dynamik.

Dass der Weg zurück immer schwieriger wird, liege auch daran, dass Gleichgesinnte das Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit erfüllen. Der Austausch mit ihnen nimmt zu, während andere Kontakte abnehmen. Und mit dem neuen sozialen Netzwerk wandelt sich auch die soziale Identität zu der eines Querdenkers.

»Wenn sie sich erst einmal in diesem Labyrinth von alternativen Fakten befinden, ist es schwierig, einen Ausweg zu finden«Karen Douglas, Psychologin

In der finalen Phase festigen sich die Überzeugungen. Der Prozess sei nun kaum mehr umkehrbar, schreiben die britischen Psychologen: Der Gläubige hat sich tief im Bau eingegraben. Je stärker sein Glaube, desto mehr meint er in diesem Licht vermeintliche Muster und Kausalitäten zu erkennen – alles scheint irgendwie mit der großen Verschwörung zusammenzuhängen. Dieses Denken könne eine mystische Dimension annehmen, geprägt von radikaler Skepsis gegenüber der Realität.

Unklar ist laut Sutton und Douglas jedoch, warum nur eine Minderheit im Kaninchenbau verschwindet. Was hält die große Mehrheit davon ab? Intelligenz bewahre jedenfalls nicht davor: Wenn die Umstände stimmen, sei jede und jeder anfällig dafür, an Verschwörungstheorien zu glauben, sagte Autorin Karen Douglas im Rahmen eines Vortrags Ende Oktober 2022 an der Universität Basel. »Menschen können ganz zufällig in Verschwörungstheorien hineingezogen werden, und wenn sie sich erst einmal in diesem Labyrinth von alternativen Fakten befinden, ist es schwierig, einen Ausweg zu finden.« Die Entwicklung könne aber aufgehalten werden – indem man respektvoll ins Gespräch geht und dazu ermutigt, analytisch über ein Problem nachzudenken.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.