Pyu: Versunken, aber nicht vergessen
Frauen in bunten Longyis bestellen Gemüsefelder. Auberginen, Gurken, Erdnüsse, Rettiche und Reis werden angebaut. Außer ein wenig Vogelgezwitscher ist nichts zu hören. Die Geschäftigkeit und der Lärm der nahen, 83 000 Einwohner zählenden Stadt Pyay am Ufer des mächtigen Irrawaddy dringt nicht vor bis zu den Feldern der Bauern. Hier, zwischen den großartigen historischen Bauwerken von Sri Ksetra, 290 Kilometer nördlich von Yangon, liegt ein kleines Arkadien.
Schon vor fast 2000 Jahren wurde in der alten Königstadt eine rege Landwirtschaft betrieben. Allerdings dürfte es damals mit Ruhe und Stille nicht weit her gewesen sein. Auf seinem Höhepunkt war Sri Ksetra die mächtigste und reichste Metropole unter den von Königen regierten blühenden Stadtstaaten der Pyu. Vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung existierte diese Kultur in Zentralbirma.
Eine mächtige, runde, 13 Kilometer lange und 4,5 Meter hohe Mauer umgab die 1400 Hektar große Stadt Sri Ksetra. Im Innern standen Paläste und Tempel. Götterstatuen an den Stadttoren hatten ein wachsames Auge auf die zahllosen Besucher und Händler, die es in die antike birmanische Metropole zog. Ein raffiniertes Kanalsystem sorgte für die Wasserversorgung von Stadt und Feldern.
Buddhistische Transformation
Die Pyu-Städte, so erklärt die Dokumentation der UNESCO, "zeugten von der Einführung des Buddhismus in Südostasien vor rund 2000 Jahren und der Übernahme der aus Indien kommenden Religion, die zu tief greifenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen führte" – aus denen schließlich mit den Pyu die ersten, größten und langlebigsten urbanen Siedlungen ihrer Zeit und Region hervorgingen. "Die Pyu schufen eine spezielle Form der Urbanisierung – die Stadt des ausgedehnten urbanen Formats – und beeinflussten damit die spätere Stadtbildung in den meisten Regionen des südostasiatischen Festlands", schreibt die UNESCO.
Hier, in den Städten der Pyu, sei außerdem der Grundstein gelegt worden für die Übertragung der literarischen, architektonischen und rituellen Traditionen des ursprünglichen Pali-Buddhismus in lokale Interpretationen, die bis auf den heutigen Tag in der Region von Bedeutung sind. All das veranlasste die UNESCO nun dazu, die drei weit auseinander liegenden Pyu-Städte als "serielle Standorte" gemeinsam zum Welterbe zu erklären. Denn: "Nur wenn man sie zusammen betrachtet, kann man die gesamte Abfolge und Reichweite dieser Transformation erfassen."
Die Pyu waren eine hoch entwickelte Zivilisation. Die Menschen konnten lesen und schreiben; sie hatten Techniken zum Bau und zur Verwaltung großer Städte und eine industrielle Methode zur Massenproduktion von Ziegelsteinen entwickelt. Dank der Nutzung von Eisenwerkzeugen und ausgeklügelten Bewässerungsmethoden blühte die Landwirtschaft. Einige der Kanäle und Wasserreservoire werden bis auf den heutigen Tag von den Bauern genutzt. Buddhistische Pilger zieht es nach wie vor zu den religiösen Bauten. Laut UNESCO ist ein Großteil der noch im Boden verborgenen Denkmäler "archäologisch intakt".
Paläste und Pagoden aus Ziegelsteinen
Zwischen den weiten Feldern ragen von Archäologen ausgegrabene und zum Teil restaurierte Stadtmauern, Paläste und Pagoden von Sri Ksetra in den blauen birmanischen Himmel. Ihre Ziegelsteinarchitektur erzählt vom technischen Knowhow der Pyu. "Der Vorteil von Ziegelsteinen liegt darin, dass man in relativ kurzer Zeit viele Gebäude bauen kann", sagt Kyaw Lat. "Nur so war es später auch möglich, die vielen tausend Tempel in Bagan zu errichten", dem späteren Zentralort des ersten burmesischen Großreichs.
Kyaw Lat, Architekt und Stadtplaner, sitzt in seinem Haus in Rangun und trinkt einen Tee. Der 72-Jährige, der in Dresden studiert und in Malaysia, Bangladesch, Indien und Deutschland gearbeitet hat, spielte auf der birmanischen Seite eine zentrale Rolle bei dem komplizierten und bürokratischen Antragsverfahren zur Aufnahme der Pyu-Städte in die Liste des Weltkulturerbes.
Wesentlicher Grund für den Aufstieg der Pyu-Städte war ihre strategisch ideale Lage an den Handelswegen zwischen Indien und China, jenen beiden Ländern, die damals wie heute wirtschaftlich, politisch, kulturell und religiös prägend für Myanmar und Südostasien sind. Im Gefolge der Händler kamen Mönche mit dem Buddhismus im Gepäck nach Birma. In Indien konnte die Lehre des in Lumbini (heute Nepal) geborenen Buddhas nie wirklich Wurzeln schlagen. Die vormals hinduistischen Pyu-Städte aber übernahmen freudig die neue Religion. "Der Buddhismus wurde als eine Art Reformation des Hinduismus gesehen, der die Menschen vom hinduistischen Kastensystem befreite", sagt Kyaw Lat. Von Pyu aus verbreitete sich im Laufe der Jahrhunderte der Buddhismus weiter in Südostasien.
Im 11. Jahrhundert war es mit der Macht der Pyu vorbei. Laut chinesischen Quellen wurden sie von den Nanzhao vernichtend geschlagen. Archäologische Beweise für einen gewaltsamen Untergang fehlen jedoch bisher. Deshalb gehen Experten wie die italienische Pyu-Forscherin Patricia Zolese nicht von einem abrupten Ende aus. Häufige Kriege hätten die Pyu so sehr geschwächt, dass die Burmesen einwandern und sie verdrängen konnten. Diese gründeten ein Königreich, zu dessen religiösem und politischem Mittelpunkt dann das 350 Kilometer weiter nördlich von Sri Ksetra gelegene Bagan aufstieg.
Berichte chinesischer Reisender
Von den Pyu selbst sind außer ein paar Inschriften an Tempeln und Königsnamen auf Gräbern keine Aufzeichnungen über ihre Geschichte bekannt. Die Forschung ist auf Berichte zeitgenössischer chinesischer Reisender angewiesen. Eine andere Quelle ist die Glaspalastchronik. Dieses im Glaspalast in der alten Königsstadt Mandalay verfasste Geschichtswerk war 1829 von König Bagyidaw in Auftrag gegeben worden. Sie beruht auf älteren birmanischen Geschichtsbüchern, ist aber auch stark mit Mythen und Legenden vermischt.
In einem kleinen Pavillon am Rand des Teichs im Garten des Mingalar Garden Resort Hotels in Pyay sitzt Patricia Zolese beim Abendessen. Zu einem guten Teil ist es auch ihr zu verdanken, dass die Pyu-Städte jetzt zum UNESCO-Welterbe gekürt wurden. Ihren Spitznamen "Lady der verlorenen Städte" trägt die Leiterin der Abteilung für Archäologie und Kultur der italienischen Stiftung C. M. Lerici nicht umsonst. Auch um die Aufnahme von Wat Phou in Südlaos, der Wiege der Khmer-Kultur, und der Tempelstadt My Son in Zentralvietnam bemühte sie sich bereits erfolgreich.
Der Geschichte der Pyu ist sie seit 2002 auf der Spur. Ihre archäologische Arbeit beruht auf nichtinvasiven Methoden zur Erhaltung des kulturellen Erbes. "Es geht auch nicht nur um alte Tempel und Religion. Wir wollen das tägliche Leben in Sri Ksetra kennen lernen", erklärt die viel, schnell und leidenschaftlich parlierende Forscherin. "Deshalb wollen wir auch die Landwirtschaft auf dem Gebiet des alten Sri Ksetra erhalten."
Im nahe gelegenen Pyay bewahrt eine Gruppe von geschichtsbegeisterten Bürgern, Geschäftsleuten, Regionalpolitikern und buddhistischen Mönchen seit Jahrzehnten mit viel Elan, hoher Motivation und bescheidenen Mitteln das Erbe der Pyu. "Schon unsere Väter und Großväter hatten sich dem Erhalt von Sri Ksetra verschrieben", erzählt Lu Win, Vorsitzender des Pyu Heritage Trust in Pyay und Besitzer des Mingalar Garden Resort.
Im Sri Kestra Archeological Museum des Trust in Pyay sind Artefakte von hohem kulturellen und historischen Wert ausgestellt. Buddhastatuen sind zu sehen wie auch Bildnisse hinduistischer Götter und Göttinnen; Eisennägel; Votivtäfelchen aus Terrakotta; Urnen aus Stein mit Pyu-Inschriften; Silbermünzen; Schmuck; kleine Figurinen von Pyu-Künstlern. Ein Prunkstück der Sammlung ist ein Goldblech mit dem ältesten bekannten buddhistischen Text Südostasiens. "Wir sind stolz auf unser Museum", sagt Museumsdirektor Than Zaw Oo schlicht.
Die Unterstützung des Museums durch die Behörden hat sich bislang in Grenzen gehalten, obgleich sowohl die britischen Kolonialherren als auch die über fünf Jahrzehnte herrschende Militärdiktatur und die Regierung von Expräsident Thein Gesetze zum Schutz des historischen Erbes erlassen haben. "Politiker stellen nie genügend Mittel für die Kultur zur Verfügung, aber sie lassen sich gerne mit den Zeugnissen alter Kulturen fotografieren", sagt Than Zaw Oo lächelnd.
Große Hoffnungen setzen die Hüter des Pyu-Schatzes in die erste zivile, frei gewählte Regierung seit Jahrzehnten. Am 1. April übernahmen die Nationale Liga für Demokratie und die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi die Macht in Myanmar. "Der Regierungswechsel wird sich für den Erhalt des Kulturerbes positiv auswirken", ist Than Zaw Oo überzeugt.
"Massentourismus könnten wir gar nicht bewältigen"
Für die nächsten fünf Jahre hat sich der Pyu Heritage Trust viel vorgenommen. "Wir verstehen uns nicht nur als Bewahrer des Kulturerbes, sondern auch als Manager der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen der Region", erklärt Trustvorsitzender Lu Win. Dazu gehöre auch die "behutsame Entwicklung" des Tourismus, um Wildwuchs und ungezügelte Kommerzialisierung des Tempeltourismus à la Bagan oder Angkor zu vermeiden. "Einen Massentourismus könnten wir noch gar nicht bewältigen. Dafür fehlt in Pyay bislang die Infrastruktur", sagt Lu Win.
Die fehlende Infrastruktur auf dem Areal von Sri Ksetra hat auch ihren Reiz. Die vielen historischen Gebäude wie die Bawbawgyi-Stupa, der Bebe-Tempel oder das Urnengrab der Königin Beikthano sind nur über staubige Feldwege zu erreichen. Auf großen Schildern werden kurz und prägnant die wesentlichen Fakten und die Bedeutung des Gebäudes erklärt. Von aufdringlichen Souvenirhändlern ist bislang erfreulicherweise (noch) keine Spur.
Für die wissenschaftliche Entwicklung der Pyu- und Sri-Ksetra-Forschung sorgt die Lerici-Stiftung mit einer Schule in Pyay. Junge Birmanen werden archäologisch ausgebildet, mit Methoden der Restaurierung und Konservierung antiker Architektur vertraut gemacht und im Management historischer Orte unterrichtet. Das ist gut so. "Bisher sind erst fünf Prozent der Stadt ausgegraben", sagt Zolese. "Hier gibt es noch für Generationen von Archäologen Arbeit."
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