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News: Verzweigung in neue Richtungen

Das Unvermögen ausgewachsener Nerven, nach einer Verletzung wieder nachzuwachsen, stellt ein schwerwiegendes klinisches Problem dar. Wissenschaftler haben in Versuchen mit Ratten beobachtet, daß unter bestimmten Umständen andere Neuronen die Aufgaben übernehmen können. Aber sie warnen vor übereilten Rückschlüssen auf das menschliche Nervensystem.
Michaela Thallmair und ihren Kollegen von der Universität Zürich ist es gelungen, ein Vorderbein in Ratten wieder voll funktionsfähig zu machen, nachdem sie eine bestimmte Nervenbahn im Rückenmark durchtrennt hatten (Nature Neuroscience im Juni 1998). Obwohl immer noch ein langer Weg zurückzulegen ist, bevor Rückenmarksverletzungen bei Menschen repariert werden können, zeigt die Methode vielversprechende Ansätze für die Behandlung bestimmter Arten von Schäden, die durch einen Schlaganfall hervorgerufen werden.

Amphibien und andere "niedere" Wirbeltiere können vollständige, neue, komplett mit Nerven ausgestattete Gliedmaßen nachwachsen lassen. Säugetiere sind dagegen nicht in der Lage, beschädigte Nerven nachzubilden. Eine Zeitlang wurde die Vernarbung der durchtrennten Nervenenden für diesen Nachteil verantwortlich gemacht. Vor kurzem wurden jedoch spezifische Inhibitoren entdeckt, die das Nervenwachstum hemmen.

Diese Inhibitoren werden von der äußeren Schicht der Nervenaxone erzeugt, der sogenannten Mark- oder Myelinscheide . Sie sollen wahrscheinlich fortwährende Veränderungen der Nerven vermeiden, sobald Verbindungen aufgebaut wurden. Die Inhibitoren tragen die Namen NI-35 und NI-250. In früheren Studien gelang es dem Team aus Zürich, deren Wirkung zu blockieren. Dies half den Ratten, nach einer Schädigung des Rückenmarks den Gebrauch von Gliedmaßen wiederzuerlangen.

Ein genauerer Blick auf die beschädigten Nerven zeigte jedoch, daß die abgetrennten Enden sich nicht einfach neu verbunden hatten. Wie fand also die Reparatur statt? Hatten die Ratten gelernt, andere Steuersysteme zu benutzen? Thallmair und ihre Kollegen wollten diese Frage klären. Dazu erzeugten sie eine sehr spezifische Rückenmarksverletzung in Ratten, indem sie die Nerven des kortikospinalen Traktes – einer Region des Rückgrats, die bestimmte "zielgerichtete" Bewegungen steuert – durchtrennten, anstatt die Gliedmaßen komplett zu lähmen. Sie implantierten eine Gruppe von Zellen, die einen Blocker produzierten (einen Antikörper mit Namen IN-1), in das Gehirn und verfolgten dann das schnelle Wachstum neuer Nervenenden.

Statt den alten Kontakt wiederherzustellen, erzeugten die Nerven auf der anderen Seite des Rückenmarks viele winzige Zweige, die sich quer mit der Seite der abgetrennten Nerven verbanden. Auch im Gehirn verzweigten sich die beschädigten und mehr noch die intakten Zellen in der betreffenden Region. Es scheint, als ob andere Nerven neue Verbindungen geknüpft hätten, um den Schaden zu umgehen.

Die Behandlung ermöglichte den Ratten, normale Laufbewegungen, Schrittlänge und Zehenspreizung durchzuführen und gab ihnen die Fähigkeit zurück, an Seilen hochzuklettern, ohne abzurutschen, sich nach Futterkügelchen auszustrecken und Klebeband von ihren Tatzen zu entfernen.

Die Ergebnisse lassen sich nicht direkt auf Menschen übertragen – der spezifische Schaden mag wohl für die Genesung der Ratten wichtig gewesen sein, aber derselbe Nervenschaden hätte bei Menschen viel schwerwiegendere Schädigungen zur Folge gehabt. Doch die Möglichkeit, den Körper zu ermutigen, kompensatorische Verbindungen um beschädigte Nerven anzulegen, verspricht neue Behandlungsmöglichkeiten bei Schlaganfall, der oft nur Schäden auf einer Seite des Gehirns hervorruft.

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