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News: Viel Aufwand für wenig Kerne

Die Elementarteilchenphysik bietet einen regelrechten Zoo bizarrer Teilchen, wobei viele nur bei hochenergetischen Kollisionen in Beschleunigern entstehen und Sekundenbruchteile später wieder vergehen. Nun gelang es Physikern zum ersten Mal, eine große Zahl besonderer Atomkerne zu erzeugen - nämlich solche, die zwei so genannte Strange-Quarks beinhalten. Derartige Materie soll sonst nur noch in Neutronensternen existieren.
Neutronen, Protonen und Elektronen sind die Bausteine aller Materie – zumindest derjenigen, die wir kennen. Während die Elektronen in einer diffusen Wolke um den Atomkern herumschwirren, bilden Neutronen und Protonen eben jenen Kern im Zentrum des Atoms. Die beiden Physiker Murray Gell-Mann und George Zweig stellten aber bereits in den sechziger Jahren fest, dass dies noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Sie entwickelten ein Schema, in dem bestimmte Teilchen wie Neutronen und Protonen wiederum aus kleineren Bestandteilen aufgebaut sind – den Quarks.

Das ursprünglich rein theoretische Konstrukt war ungemein erfolgreich, und alle sechs verschiedenen Quarkfamilien ließen sich mittlerweile auch im Experiment nachweisen. Quarks kommen aber anders als Neutronen oder Protonen nie einzeln in der Natur vor – zumindest ist das heute so. Kurz nach dem Urknall, als sich aus reiner Energie die Materie bildete, entstanden wohl zunächst auch freie Quarks. Gegenwärtig treten sie jedoch nur noch paarweise oder zu dritt auf: So besteht ein Proton aus zwei Up-Quarks und einem Down-Quark, ein Neutron hingegen aus einem Up und zwei Downs.

Das Standardmodell der Elementarteilchen bietet aber mehr als diese beiden Quarks. So gibt es unter anderem auch das so genannte Strange-Quark. Und dieses konnten Teilchenphysiker nun mit enormem Aufwand gleich in zweifacher Ausführung in einen Atomkern zwingen. Zwar gab es in den letzten 40 Jahren bereits Experimente, bei denen Wissenschaftler diese "seltsame" Materieform entdeckt haben wollten. Jedoch handelte es sich stets um einzelne Ereignisse, die schwierig nachzuvollziehen waren.

Nun scheint es aber einem Team aus 50 Forschern von 15 Instituten aus sechs Ländern gelungen zu sein, eine große Zahl dieser doppelt "seltsamen" Kerne zu erzeugen. Beteiligt waren an den Experimenten, die im Wesentlichen im Brookhaven National Laboratory durchgeführt wurden, auch deutsche Forscher von der Universität Freiburg. Bei den Versuchen zielte der intensivste Protonenstrahl der Welt aus dem Alternating Gradient Synchrotron auf eine Wolframprobe. Aus dem reichhaltigen Spektrum der Teilchen, die bei dieser Kollision frei wurden, separierten die Wissenschaftler einen intensiven Strahl negativ geladener Kaonen. Dabei handelt es sich um Teilchen, die aus einem Strange-Quark und einem Up-Antiquark aufgebaut sind. Diesen Strahl leiteten die Forscher nun auf ein Beryllium-Ziel, wo die Kaonen mit den dort ansässigen Protonen reagierten.

Ein Teil der Energie wurde dabei für die Bildung eines Paares aus Strange-Quark und Strange-Antiquark aufgewendet. Die Quarks ordneten sich neu an, bildeten wiederum eine Reihe von Teilchen und manchmal auch einen Atomkern, der aus einem Neutron, einem Proton und zwei Lambda-Teilchen besteht, wobei letztere je aus einem Up-, einem Down- und eben einem Strange-Quark aufgebaut sind.

Nun war es gar nicht so einfach, diesen besonderen Aufbau der Kerne nachzuweisen. Zum einen entstanden bei all den Kollision auch Unmengen weiterer Teilchen, zum anderen konnten die Wissenschaftler die doppelte Lambda-Struktur nicht direkt beobachten. Stattdessen hielten sie nach so genannten Pionen Ausschau – subatomaren Teilchen, die emittiert werden, wenn Lambda-Teilchen zerfallen. Um nun sicher zu gehen, dass zwei Pionen-Signale auch wirklich von einem Kern kamen, mussten die beiden Teilchen eine ähnliche Energiesignatur aufweisen.

Schließlich mussten Computer dabei helfen, aus der Datenmasse von rund 100 Millionen potenziell interessanten Ereignissen die 30 bis 40 herauszufischen, bei denen tatsächlich zwei Strange-Quarks für einen flüchtigen Moment innerhalb desselben Kerns existierten. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Wechselwirkung zwischen den beiden Lambda-Teilchen offensichtlich recht schwach ist. Vermutlich viel zu schwach, um Teilchen aus sechs Quarks zu bilden, wie man sie teilweise vorausgesagt hatte. Doch ist es noch zu früh, die Bildung dieser so genannten H-Teilchen sicher auszuschließen.

Aber wozu der ganze Aufwand? Wofür braucht die Menschheit derart exotische Atomkerne, die noch dazu sehr kurzlebig sind? Und warum ist es wichtig, ob es H-Teilchen gibt oder nicht?

Diese sonderbaren Kerne könnten Aufschluss über die so genannte strange matter geben – Materie, wie sie in stabiler Form vermutlich nur noch in Neutronensternen existiert. Damit ließen sich auf der Erde weitere Erkenntnisse über diese hochdichten Sternenreste gewinnen. Wissenschaftler vermuten außerdem, dass das frühe Universum von einem derartigen Stoff angefüllt war, und so könnten die Experimente in Brookhaven vielleicht dabei helfen, die Frage zu klären, was in den ersten paar Sekunden und Minuten des Universums passierte.

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