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Physiologie: Vielzeller verzichtet ganz auf Sauerstoffatmung

Die Tiergruppe der Loricifera ist nur eingefleischten Zoologen ein Begriff, aber selbst diese stecken die kleinen Vielzeller des Meeresbodens seit Jahrzehnten nur unentschlossen in wechselnde Verwandtschaftsschubladen. Gerade an solchen schlecht untersuchen Lebewesen gibt es aber immer wieder aufregendes Neues zu entdecken: Drei neu entdeckte Arten der Loricifera aus der Tiefsee des Mittelmeers verzichten ganz auf die Möglichkeit, Sauerstoff zu veratmen und so Energie zu gewinnen. Bisher kannte man keinen Vielzeller, dem dies in sämtlichen Phasen seines Lebens gelingt.

Roberto Danovaro von der Università Politecnica delle Marche im italienischen Ancona und seine Kollegen stießen auf die submillimetergroßen Stoffwechselkünstler in Tiefsee-Sedimentproben, die sie im L'Atalante-Becken westlich von Kreta unterhalb von so genannten hypersalinen Wässern genommen hatten. Hier lagern sich permanent und ohne Durchmischung schwerere salzhaltige Wasserschichten über Senken im Meeresboden und schließen diesen dauerhaft von jeder Sauerstoffzufuhr ab. Der sauerstofffreie Grund wird von allerlei anaeroben Bakterien und Archäen besiedelt, bislang war aber ausgeschlossen worden, dass auch vielzellige Organismen hier auf Dauer überleben können.

Es geht auch ohne Sauerstoff: Anaerobe Loricifera | Einige der unscheinbaren Loricifera des Meeresbodens können offenbar auch ganz ohne Sauerstoffatmung auskommen. Ihre Mitochondrien haben sich im Lauf der Evolution zu Hydrogenosomen umgewandelt: Diesen Organellen fehlen die Atmungskettenenzyme. Stattdessen gewinnen die Zellen der Tiere nun Energie durch anaerobe Oxidationsprozesse, bei denen zum Beispiel Pyruvate zu Acetaten decarboxyliert und Protonen zu Wasserstoffmolekülen werden; dabei entsteht letztlich auch ATP.

Loricifera gehören in die Großgruppe, zu denen auch Insekten und Fadenwürmer zählen, zu den Häutungstieren. Die nächsten Verwandten der Loricifera oder Korsetttierchen sind wahrscheinlich die Hakenrüssler (Kinorhyncha) und Priapswürmer (Priapulida).
Den neu entdeckten Loricifera-Spezies gelingt es dennoch, ermittelten die Wissenschaftler: Ihren Zellen fehlen Mitochondrien und damit die Möglichkeit, aufgenommene Nahrungsbestandteile mit Sauerstoff unter großem Energiegewinn zu verbrennen – also zu atmen. Stattdessen finden sich in den Tieren endosymbiontische Bakterien sowie spezialisierte, von anaeroben Pilzen, Geißel- und Wimperntierchen bekannte Organellen, die Hydrogenosomen. Sie entwickelten sich im Lauf der Evolution wahrscheinlich aus Mitochondrien. Hydrogenosomen produzieren Energie in Form von ATP, indem Kohlenhydrate anaerob zu energieärmeren Endprodukten wie Kohlendioxid oxidiert werden.

Derzeit gruppieren Systematiker die unscheinbaren, zu den Urmundtieren zählenden Loricifera mit allerlei ebenso unbekannten Wurmähnlichen zu der größeren Gruppe der Häutungstiere. Zu ihnen gehören zum Beispiel auch Insekten und Fadenwürmer, die alle ihre äußere Hülle aus organischen Materialien beim Wachstum abstreifen und erneuern können. Die Herkunft der Loricifera ist noch ebenso unbekannt wie die Wege, die ihnen ihr ungewöhnliches anaerobes Habitat eröffnet hat. Womöglich sind die Tiere Überbleibsel aus präkambrischen Urozeanen vor der Entstehung großer Vielzeller und der stärkeren Anreicherung des Meeres mit Sauerstoff. (jo)

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