Gamma-Astronomie: Vier Hundertschaften gegen M87
Manche Galaxien schleudern Unmengen an Energie und Materie in gebündelten "Jets" ins All. Wo die besonders energiereiche Gammastrahlung erzeugt wird, haben jetzt vier Observatorien zugleich herausgefunden.
Aktive Galaxien kennen Astronomen in vielfältigen Ausprägungen: einige senden vor allem Radiowellen aus, andere überdecken einen weiten Teil des elektromagnetischen Spektrums, zeigen aber ganz charakteristische Emissionslinien. Ihnen allen ist gemein, dass ihre zentrale Maschine durch die Gravitationskraft eines supermassereichen Schwarzen Lochs und das Magnetfeld der umgebenden Gas- und Staubscheibe angetrieben wird. Dieser gigantische Motor erzeugt mehr Strahlung, als alle Sterne der Galaxie zusammengenommen. Bei so genannten Quasaren ist der Strahlungskegel ziemlich genau auf die Erde gerichtet, daher sehen wir ihr Licht besonders hell – und aus extrem weiter Entfernung, bis zu etlichen Milliarden Lichtjahren.
Anders als das Licht von Sternen, stammt die hier empfangene Strahlung allerdings von Elektronen. Diese werden durch die Kraft des Schwarzen Lochs zu gewaltigen Materieströmen gebündelt, den Jets, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bis zu Millionen Lichtjahre weit durchs All pflügen. Auf ihrer turbulenten Reise geben sie so genannte Synchrotronstrahlung ab. Diese konnte man lange nur im niederenergetischen Bereich des elektromagnetischen Spektrums beobachten, von Radiowellenlängen bis zu denen des sichtbaren Lichts.
Wie erhalten die Gammaphotonen so enorm viel Energie? Und wo? In der Nähe der zentralen Maschine oder viele tausend Lichtjahre entfernt, irgendwo in den Jets?
Wie sich zeigte, senden die aktiven galaktischen Kerne aber auch Lichtquanten mit Energien aus, die eine Billion mal so hoch sind wie die von Lichtteilchen im Optischen. Doch wie erhalten die Photonen überhaupt so enorm viel Energie? Und wo? In der Nähe der zentralen Maschine oder viele tausend Lichtjahre entfernt, irgendwo in den Jets? Das beschäftigt die Astronomen seit Jahrzehnten. Leider lassen sich diese Gammaphotonen nicht auf direktem Weg nachweisen, sondern nur durch so genannte Tscherenkow-Strahlung, die sie in der Erdatmosphäre verursachen. Und die für dieses schwache, blaue Licht geeigneten Teleskope erreichen bislang nicht genug Ortsauflösung. Deshalb waren die Wissenschaftler auch nicht in der Lage, zwischen den verschiedenen Modellen der Theoretiker das richtige zu ermitteln.
Doch aufgeben kommt nicht in Frage: Die neueste Generation von Teleskopen, die für die Beobachtung der Tscherenkow-Strahlung optimiert wurden, sind HESS in Namibia, MAGIC auf La Palma und VERITAS in den Vereinigten Staaten. Rund vierhundert der daran beteiligten Forscher suchten sich nun die nächstgelegene aktive Galaxie, Messier 87 im Sternbild Jungfrau für eine konzertierte Aktion aus und ersuchten um die Unterstützung der Radioastronomen. Diese konnten mit ihren zehn "Schüsseln" – die von Hawaii bis in die Karibik über die Vereinigten Staaten verteilt sind und untereinander so vernetzt sind, dass sie wie ein einziges großes Teleskop arbeiten – die nötige Ortsgenauigkeit erreichen.
Von Januar bis Mai 2008 stand M87 unter ständiger Beobachtung der Astronomen. Während dieser Zeit zeigte die Galaxie zwei starke Ausbrüche an Gammastrahlung, während die Radioemission aus der unmittelbaren Umgebung des Kerns ständig zunahm. "Dies lässt nur den Schluss zu, dass auch die energiereichen Photonen in dieser Region erzeugt werden", erklärt Robert Wagner vom Münchner Max-Planck-Institut für Physik. Dafür spreche auch, dass sich die Leuchtkraft der Quelle bei diesen Energien von einem auf den anderen Tag verdoppelt und dann ebenso schnell wieder abfällt. Das Gebiet, aus dem die Strahlung stammt, muss demnach sehr klein sein, folgern die Wissenschaftler. Denn Helligkeitsschwankungen einer größeren Region sollten sich im Durchschnitt gegenseitig aufheben; die Quelle würde in diesem Fall also nur geringe Variationen zeigen.
"Die Kampagne hat es zum ersten Mal ermöglicht, den genauen Ort des Gammastrahlungsausbruchs zu identifizieren, und damit den Ort der Teilchenbeschleunigung in M87"
(Robert Wagner)
"Diese Kampagne hat es zum ersten Mal ermöglicht, den genauen Ort des Gammastrahlungsausbruchs zu identifizieren, und damit den Ort der Teilchenbeschleunigung in M87", erläutert Wagner und fährt fort: "Für M87 gab es bestimmt ein Dutzend Modelle, wo die Gammastrahlung herkommen kann. Von direkt am Schwarzen Loch über Stoßfronten im Jet bis hin zu quasi-stationären Knoten." Damit sind Strukturen gemeint, die über einen längeren Zeitraum an gleicher Stelle erscheinen, wie Wellen oder Strudel in einem Gebirgsbach mit felsigem Bett. Die hellste von M87 heißt HST-1 und war bisher der beste Kandidat für die Gammastrahlung. "Unsere Beobachtung kann nun einige Modelle ausschließen", so Wagner. (Robert Wagner)
Die Theoretiker unter den Astrophysikern müssen die neuen Erkenntnisse jetzt bei ihren weiteren Arbeiten berücksichtigen. Denn welche Prozesse nun wirklich in der Nähe des supermassereichen Schwarzen Lochs am Werk sind, wie diese im Detail funktionieren und ob Elektronen oder doch Protonen die treibende Kraft sind, ist noch nicht geklärt. Doch auch die Beobachter ruhen nicht: Kürzlich wurde mit MAGIC II ein neues Teleskop eingeweiht und die Planungen für das ebenfalls internationale "Cherenkov Telescope Array" (CTA) – ein Instrument der nächsten Generation – laufen auf Hochtouren. Dessen Empfindlichkeit soll die der gegenwärtigen Instrumente um das Zehnfache übertreffen und es werden wieder Hundertschaften sein, die mit dem CTA den genauen Mechanismus der Gammastrahlenerzeugung bei aktiven Galaxien endgültig entschleiern wollen.
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