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Raumfahrt: Vier Orte, die sich mehr lohnen als der Mars

Schon wieder eine Marssonde? Im Sonnensystem gibt es noch so viele andere spannende Ziele. Venus etwa. Oder Titan. Zeit, ihnen eine Chance zu geben.
Saturnmond Titan

Diesen Juli ist das Marsfieber ausgebrochen: Gleich drei Nationen haben in den vergangenen Tagen und Wochen Raumsonden in Richtung unseres Nachbarplaneten geschossen. Die Vereinigten Arabischen Emirate wollen einen Satelliten im Orbit platzieren. China plant, ein kleines Gefährt auf der Oberfläche abzusetzen. Und die USA haben mit »Perseverance« einen Zwilling ihres kleinwagengroßen Rovers Curiosity auf den Weg geschickt.

Man kann die Fixierung auf den Roten Planeten fragwürdig finden. Denn letztlich ist jede Marsmission auch eine versäumte Chance, einen anderen Himmelskörper im Sonnensystem zu besuchen. Einige von ihnen sind aus wissenschaftlicher Sicht mindestens genauso spannend, haben aber schon lange keinen Besuch mehr erhalten – auch weil die Raumfahrtnationen ihre Anstrengungen seit Jahrzehnten auf den Mars konzentrieren.

Venus im Ultravioletten und Infraroten

1. Venus

Wer in den Weiten des Alls nach einer zweiten Erde sucht, braucht nicht in die Ferne zu blicken: Gleich vor unserer kosmischen Haustür zieht ein Zwilling seine Bahnen. Die Venus ist genauso groß wie die Erde und hat vermutlich eine ganz ähnliche chemische Zusammensetzung. In der Vergangenheit könnte es auf ihr möglicherweise Ozeane gegeben haben und vielleicht sogar ähnliche Bedingungen wie auf unserem Planeten.

Aber während sich die Erde zu einer Wiege des Lebens entwickelte, ging auf der Venus etwas schief: Vor vermutlich rund einer Milliarde Jahre setzte dort ein sich selbst verstärkender Treibhauseffekt ein, der sämtliches Wasser verdampfen ließ. So konnte sich das Kohlendioxid, das durch geologische Prozesse kontinuierlich in die Atmosphäre gelangte, nirgends mehr lösen – und sammelt sich seitdem in der Venusluft.

Heute besteht die Gashülle der Venus zu 95 Prozent aus CO2, einigen Prozent Stickstoff und unangenehmen Mengen an Schwefelsäure. Der Atmosphärendruck auf der Oberfläche entspricht dem 90-Fachen des irdischen, vergleichbar ist er mit dem Wasserdruck unter einem Kilometer irdischer Ozeane. Das Thermometer erreicht überall auf der Venus mehr als 400 Grad Celsius. Kurzum: Für Astronauten kommt ein Trip zur Oberfläche garantiert nicht in Frage.

Menschen könnten wohl am ehesten in Habitaten über den Wolken leben – womöglich besser und leichter als an jedem anderen Punkt im Sonnensystem abseits der Erde. 50 Kilometer über der Venusoberfläche beträgt die Temperatur nur 30 Grad und der Atmosphärendruck ist mit dem auf der Erde vergleichbar. Rechnungen zeigen, dass ein mit Sauerstoff und Stickstoff gefüllter Ballon dort schweben würde. Das könnte Menschen eines Tages einen einigermaßen komfortablen Lebensraum bieten, Wolkenpanorama inklusive.

Fürs Erste sind solche Gedankenspiele natürlich Sciencefiction. Aber sie zeigen: Die Venus ist vielseitiger, als man vermuten würde. Schon jetzt ist sie für Raumsonden und Roboter ein lohnendes Ziel, finden viele Planetenforscher. Schließlich könnte man mit ihnen ergründen, wann und warum die Venus falsch abgebogen ist in ihrer Entwicklung. Das wiederum dürfte maßgeblich dabei helfen, ferne Exoplaneten besser zu charakterisieren.

Bisher gelten diese Welten in anderen Sternsystemen bereits dann als lebensfreundlich, wenn sie einen ähnlichen Durchmesser und eine ähnliche Masse wie die Erde haben und außerdem ähnlich viel Sonnenlicht abkriegen. Die Venus zeigt, dass diese Rahmenbedingungen zu wenig sein könnten für ein dauerhaft stabiles Ökosystem: Schließlich lag sie selbst wohl für mehrere Milliarden Jahre in der »habitablen Zone«, die im Lauf der Zeit wegen der zunehmenden Leuchtkraft der Sonne immer weiter nach außen gewandert ist.

Eine Landung auf der Venus ist schwierig, aber möglich, wie mehrere sowjetische Missionen in den 1970er und 1980er Jahren gezeigt haben. Die Roboter müssen dazu völlig anders aussehen und robuster gebaut werden als Mars-Rover. Dafür könnten sie wohl ein kleines Windrad nutzen, um Strom zu gewinnen. So sehen es zumindest Entwürfe von Ingenieuren vor.

Entwurf für einen Venus-Rover

Die Chancen, dass solch ein Gerät in nächster Zeit auf der Venus aufsetzt, sind allerdings klein. Die NASA hat in sechs Jahrzehnten Raumfahrt erst drei Sonden dorthin geschickt, zuletzt einen Satelliten namens »Magellan« Anfang der 1990er Jahre. Dem gegenüber stehen 21 Missionen zum Mars. In letzter Zeit sind nur ein europäischer (»Venus Express«) und ein japanischer Orbiter (»Akatsuki«) in eine Umlaufbahn um die Venus eingeschwenkt.

In den USA zogen vergleichbare Missionen etliche Male den Kürzeren gegenüber anderen Weltraumvorhaben. Anfang 2020 fand immerhin ein Wettbewerb statt, bei dem interessierte Internetnutzer einen Venus-Rover designen und dabei 15 000 US-Dollar gewinnen konnten. Die aktuelle Marsmission lässt sich die NASA hingegen rund 2,7 Milliarden Dollar kosten.

2. Europa

Der vielleicht spannendste Himmelskörper im ganzen Sonnensystem zieht seine Bahnen um den Jupiter. Europa ist der zweitinnerste Mond des Gasriesen und damit der Nachbar der Vulkanwelt Io und des Mondgiganten Ganymed. Europa ist von einer dicken Eiskruste bedeckt, unter der Planetenforscher einen ausgedehnten Ozean aus flüssigem Wasser vermuten.

Die auf Bildern sichtbaren Furchen gehen wahrscheinlich auf Gezeiteneffekte zurück, welche die Kruste aufbrechen. Dabei entstehen Geysire, die immer wieder Wasserdampf ins All pusten, angetrieben von heißen Quellen in der Tiefe. Mit der Zeit haben Minerale die Gräben rötlich verfärbt, was Europa sein besonderes Aussehen verleiht.

Jupitermond Europa

Exobiologen halten die Thermalquellen unter dem Eis für ein mögliches Habitat außerirdischer Mikroben. Entsprechend hoch steht Europa auf der Prioritätenliste der NASA: Sie will Mitte der 2020er Jahre eine neue, milliardenschwere Sonde zu dem Jupitermond schicken, den »Europa Clipper«. Er soll große Ellipsen um den Jupiter ziehen und dabei alle paar Wochen in geringem Abstand an Europa vorbeifliegen.

Aus Sicht von Planetologen hätte die Mission ruhig noch etwas ambitionierter ausfallen dürfen: So waren immer wieder auch Sonden im Gespräch, die in eine Umlaufbahn um den Mond einschwenken. Das würde die Mission jedoch deutlich aufwändiger machen. Denn im Magnetfeld des Jupiters sausen große Mengen geladener Teilchen umher. Sie erfordern daher besonders robuste Elektronik und eine schlaue Missionsplanung, wenn man dauerhaft in der Nähe des Gasriesen bleiben will, was für einen Europa-Orbiter nötig wäre. Eine Sonde, die lang gezogene Ellipsen um Jupiter fliegt, lässt sich dagegen einfacher realisieren.

Manche Wissenschaftler träumen auch von einem Landemodul. Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte die ESA solch einen kleinen Roboter zu Europa Clipper beisteuern. Um diesen Plan ist es mittlerweile jedoch still geworden. Stattdessen erwägt die NASA nun eine Folgemission, bei der die Landung auf Europa im Mittelpunkt steht. Das Vorhaben scheint jedoch keine hohe Priorität zu haben. Zuletzt hat es die NASA auf die lange Bank geschoben. Wohl auch deshalb, weil die Entwicklung am federführenden Jet Propulsion Laboratory in Pasadena mit den Arbeiten am neuen Mars-Rover konkurriert hätte.

3. Titan

Eine der Sternstunden der europäischen Raumfahrt fiel auf den 14. Januar 2005: Die Cassini-Begleitsonde »Huygens« setzte sanft auf dem Saturnmond Titan auf und funkte bald darauf Bilder und Messdaten zur Erde. Sie zeigen eine bizarre Welt, die in Sachen Exotik wohl ihresgleichen sucht im Sonnensystem.

Titan hat eine stattliche Atmosphäre, die zu 98 Prozent aus Stickstoff besteht. Daneben ist Methan allgegenwärtig. Wegen der extrem niedrigen Temperaturen kondensiert das Gas zu einer Flüssigkeit. Entsprechend ist Titan der einzige bekannte Himmelskörper abseits der Erde, auf dem es regnet. Daneben gibt es Methanseen und Methanflüsse, die in Senken aus steinfestem Wassereis vor sich hin schwappen. Möglicherweise existiert unter der eisigen Oberfläche sogar flüssiges Wasser.

Im Anflug auf die Titanoberfläche | Während des Abstiegs durch die dichte Atmosphäre des Saturnmonds Titan konnte die europäische Landesonde Huygens zahlreiche Bilder der Oberfläche aufnehmen. Sie wurden hier zu einem Fisheye-Bild verarbeitet. Die hellen Gebiete bestehen aus steinhartem Wassereis, in den dunklen Regionen haben sich organische Verbindungen angesammelt.

Entsprechend regt der Himmelskörper seit Langem die Fantasie von Ingenieuren an. Geradezu legendär ist der Vorschlag, ein kleines Boot auf einem der Methanseen auszusetzen. Am Ende war das wohl doch zu riskant – oder zu teuer. Die Mission, die ebenfalls einen Besuch beim Eismond Enceladus vorgesehen hätte, wurde 2009 aufs Abstellgleis geschoben. Stattdessen wählte die NASA eine ambitionierte Jupitermission aus, die bald darauf in überschaubarere Vorhaben zerfiel: Neben Europa Clipper ist daraus auch die Jupitersonde JUICE der ESA hervorgegangen.

Immerhin will die NASA nun Ende der 2020er Jahre eine kleinere Mission zum Titan schicken: »Dragonfly« wird im Wesentlichen aus einem Quadrocopter bestehen, der den Mond nach der Landung aus der Luft erkunden soll.

Enceladus | Die bewegte Oberfläche des Saturnmonds deutet darauf hin, dass er eine heftige geologische Vergangenheit und vielleicht eine ebensolche Gegenwart hat.

4. Uranus und Neptun

Weit hinter Jupiter und Saturn ziehen zwei eisige Gaskugeln ihre Bahnen. Aus Sicht von Wissenschaftlern zählen Uranus und Neptun zu einer eigenen Planetenklasse: den Eisriesen, die im Inneren vor allem aus Wasser, Methan und Ammoniak bestehen. Allzu viel weiß man nicht über sie – dabei sind etwas kleinere Eisriesen, so genannte Mini-Neptune, vermutlich die häufigste Planetenspezies im Weltall.

Bisher hat erst eine einzige Raumsonde Uranus und Neptun aus der Nähe gesehen: Voyager 2 raste Ende der 1980er Jahre mit großer Geschwindigkeit an den beiden Planeten vorbei. Forscher werben seit Langem für einen oder zwei getrennte Orbiter, die sich die beiden bläulichen Kugeln aus der Nähe anschauen, über einen längeren Zeitraum hinweg und mit modernen wissenschaftlichen Instrumenten. Teil einer solchen Mission könnte sein, eine Art Boje in der Atmosphäre der Eisriesen zu versenken. So ließe sich vielleicht ergründen, wie es in ihrem Inneren aussieht. Denkbar sind hier so exotische Sachen wie vom Himmel fallende Diamanten und eine neue molekulare Struktur von gefrorenem Eis.

Uranus im sichtbaren Licht

Bisher gibt es jedoch keine definitiven Pläne für eine derartige Mission. Sollte sie irgendwann Realität werden, gäbe es noch einen schönen Bonus: Die Sonde könnte immer wieder am Neptunmond Triton vorbeifliegen, einem der faszinierendsten Himmelskörper des äußeren Sonnensystems. Er ist größer als Pluto und von einer zerklüfteten Eiskruste überzogen, die vielerorts von geologischen Kräften und Meteoriteneinschlägen aufgesprengt wurde.

Wie Europa und Enceladus scheint Triton durch Geysire immer wieder Stickstoff ins All zu pusten. Triton ist noch in anderer Hinsicht besonders: Er umrundet Neptun entgegen dessen Drehrichtung. Forscher vermuten daher, dass es sich um einen Himmelskörper aus dem frostigen Kuipergürtel handelt, den Neptun irgendwann in ferner Vergangenheit eingefangen hat.

Fotomosaik von Triton | Diese Ansicht des größten Neptunmonds Triton wurde aus den besten Bildern der US-Raumsonde Voyager 2 zusammengesetzt. Sie zeigt die ungewöhnliche Oberfläche des 2600 Kilometer großen Monds, auf der Stickstoff in gefrorener Form auftritt.

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