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News: Virale Anti-Virenwaffen-Sabotage

Wenn dem HI-Virus ein Protein fehlt und dieser Mangel gar nicht auffällt - ist dann dieses Eiweiß nicht eigentlich überflüssig? Vielleicht schützt es aber auch vor weniger offensichtlichen Gefahren und offenbart somit gleichzeitig eine versteckte virale Achillesferse.
Sollte es einen Preis für die bestuntersuchte DNA-Sequenz geben, dann könnte dieser gut an die des menschlichen Immunschwächevirus HIV-1 gehen. Auf der Suche nach Schwachstellen im System der tödlichen HI-Virusmaschinerie blieb denn auch kaum ein Detail unerforscht. Manche viralen Genprodukte stellen die Wissenschaftswelt aber noch immer vor ungelöste Rätsel – beispielsweise die Funktion des Vif-Proteins. Seit seiner ersten Beschreibung Mitte der achtziger Jahre versuchen Wissenschaftler vergeblich, hinter die Bedeutung dieses Eiweißbausteins für das Virus zu kommen.

Dabei ist Vif – eine Abkürzung für die vielsagend vage gehaltene Bezeichnung "virion infectivity factor" – recht verbreitet, denn in allen Immunschwäche-Viren von Primaten finden sich entsprechende Proteine. Bekannt ist aber längst nur, was Vif alles nicht leistet: Als so genanntes akzessorisches Protein erfüllt es beispielsweise weder regulatorische Aufgaben bei der Produktion neuer Viren-RNA, noch dient es etwa als Hüllmaterial-Baustoff des Virennachwuchses.

Die Funktionen mysteriöser Proteine enthüllen Forscher oft eleganterweise, indem sie Zellen beobachten, denen das betrachtete Objekt fehlt, weil es durch eine Mutation ausgeschaltet ist. Fehlt nun aber einem mutierten HI-Virusstamm das akzessorische Protein Vif, dann beobachtet man leider – in den meisten Fällen – nichts Außergewöhnliches: Die mutierten Viren vermehren sich in ihren Wirtszellen, den T-Zellen des menschlichen Immunsystems, weiter so als würde es ihnen an nichts mangeln.

In den meisten Fällen. In bestimmten Wirts-Zellkulturlinien aber produzieren mutierte HI-Viren ohne Vif-Protein keineswegs funktionierende Nachkommenschaft, sondern nur nicht infektiösen Ausschuss. Michael Malim vom King's College in London sowie Ann Sheedy und ihre Kollegen von der University of Pennsylvania School of Medicine haben sich nun genauer angesehen, was das HIV-Programm in solchen, so genannten "nicht permissiven" Zelllinien, entscheidend stört.

Am Ende einer mühsamen zellbiologisch-biochemischen Detektivarbeit entdeckten die Forscher ein Protein, welches nur in den nicht permissiven Zelllinien produziert wird: CEM15. Mehr noch, nachdem die Wissenschaftler permissiven Zelllinien ohne CEM15 die Produktion dieses Proteins ermöglichten, konnten mutierte HIV-1 ohne Vif-Protein auch in diesen, zuvor für sie problemlosen Wirtszellen keine infektiösen Nachkommen mehr herstellen. Nicht mutierte HIV-1 kümmerte das Vorhandensein oder Fehlen von CEM15 dagegen ja, wie erwähnt, sowieso nicht.

CEM15, so enthüllten die Forscher weiter, enthält bestimmte strukturelle Elemente, die sich auch an solchen Proteinen finden, welche natürlicherweise die zelluläre RNA modifizieren. Malim, Sheedy und ihre Kollegen entwickelten aus diesen Fakten eine plausible Theorie: Vielleicht modifiziert CEM15 die RNA des HIV-1 zu dessen Schaden – solange es nicht vom Virus daran gehindert wird. Den viralen CEM15-Stopper nun könnte gut das Vif-Protein spielen: Interagiert es doch, wie bereits bekannt war, auffällig mit der Virus-RNA. Offenbar also, denken die Wissenschaftler, scheint es die Aufgabe des viralen Vif zu sein, eine Sabotage der Virenproduktion durch das zelleigene CEM15 zu unterbinden. Dies kann es, logisch, nur, wenn es überhaupt vorhanden ist – wie in den nicht mutierten Virusstämmen. Fehlt CEM15 – wie in den permissiven Zelllinien, muss es dann erst gar nicht aktiv werden.

Ein Gedanke, der die Phantasie vieler Forscher beflügeln dürfte, bestätigt er doch, dass durchaus zelleigene Mechanismen in Kraft sind, welche die Infektion mit HIV zumindest behindern können. Die neuen Erkenntnisse lassen das Vif-Protein und andere akzessorische Proteine zudem als mögliche Angriffspunkte neuer Medikamente erscheinen. Zum Ziel könnte also werden, nicht direkt das Virus zu zerstören – sondern dessen Verhinderung zellulärer Gegenmaßnahmen zu verhindern.

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