Doping im E-Sport: Virtuelles Spiel, echte Drogen
Viel steht auf dem Spiel in den Finalrunden der großen Counter-Strike-Turniere. Den Teams stehen Stunden des Wettkampfs bevor, sie müssen strategisch denken und Geschick an den Tag legen. Dabei stecken ihnen noch die Kämpfe der letzten Runden in den Knochen, nicht zu vergessen das stundenlange tägliche Training zur Vorbereitung. Wenn auch nur ein Spieler die Konzentration verliert, kann es passieren, dass der Ruhm des Siegs dahin ist – und mit ihm Preisgelder und lukrative Sponsoren- und Werbeverträge. Kein Wunder, dass die Verlockung groß ist, dem eigenen Hirn auf die Sprünge zu helfen. Ritalin gibt deinen grauen Zellen den entscheidenden Kick, hört man hinter vorgehaltener Hand. Oder: Nimm lieber Adderall, das macht dich fit.
Die Spiele sind virtuell, die Drogen aber echt. Der sportliche Wettkampf in Computerspielen wie Counter-Strike oder League of Legends an PCs und Spielkonsolen hat sich in den vergangenen Jahren extrem professionalisiert. Die Preisgelder klettern in die Höhe und bewegen sich teilweise sogar im Millionenbereich. Tausende Zuschauer besuchen die Turniere, Millionen verfolgen das Geschehen weltweit gebannt vor den Bildschirmen. Und genau wie die traditionellen Sportarten hat auch die E-Sport-Szene inzwischen ein Dopingproblem.
Dopenden Spielern geht es weniger darum, den Körper zu Höchstleistungen zu zwingen, sondern um Hirndoping oder Neuroenhancement: Das Gehirn soll auf Trab gebracht, Konzentration gefördert, Müdigkeit verdrängt werden. Wie groß das Ausmaß ist, weiß derzeit niemand genau. Studien und verlässliche Zahlen sind Mangelware. Und was Dopingtests im Rahmen von Wettkämpfen angeht, hinkt der E-Sport den traditionellen Sportarten hinterher. In vielen Ländern wie etwa Deutschland ist E-Sport noch nicht einmal als Sportart anerkannt. Wie man das Thema Drogen handhabt, hängt von den einzelnen Ligen ab, in denen die Wettkämpfe stattfinden. Zumindest eine Spitzenliga, die Electronic Sports League, hat Drogen, Alkohol oder andere Leistungssteigerer streng verboten. Ein Verstoß kann den Ausschluss aus der Liga nach sich ziehen. Dass tatsächlich Drogen zum Einsatz kommen, erfährt man eher unter der Hand. Nur gelegentlich gibt es öffentliche Einlassungen einzelner Spieler dazu. Für ein großes Presseecho sorgte etwa 2015 ein Interview mit dem Counter-Strike-Spieler Kory Friesen, in dem er freimütig und lächelnd eingestand, dass er und sein Team während eines Turniers auf Adderall gewesen seien.
Mit dem gemütlichen Zocken am heimischen PC hat E-Sports kaum noch etwas gemein. In Sekundenbruchteilen müssen die Spieler Informationen auf dem Bildschirm in gezielte und koordinierte Reaktionen der Muskeln umsetzen. Nuancen muskulärer Bewegung können den Gewinner vom Verlierer unterscheiden. Zudem ist räumliches Orientierungsvermögen, Spielverständnis, taktisches Vorgehen und vorausschauendes Denken gefragt. Auch das Training ist nicht ohne: Zur Vorbereitung müssen Profis täglich viele Stunden trainieren, gegen Müdigkeit ankämpfen und sich dabei unter anderem Dutzende von Spielzügen der nächsten Gegner einprägen.
Medikamente der Wahl sind einschlägig bekannt
Von daher nimmt die Liste der Medikamente nicht wunder, zu denen Spieler dem Vernehmen nach greifen: Methylphenidat, besser bekannt unter dem Markennamen Ritalin, das zur Behandlung von ADHS eingesetzt wird; Amphetamine beziehungsweise Adderall als Gemisch verschiedener Amphetaminsalze, das ebenfalls Menschen mit der Aufmerksamkeitsstörung hilft; Modafinil, ein Stimulanz, das eigentlich bei Schlaferkrankungen wie Narkolepsie zum Einsatz kommt; und teilweise auch Antidementiva, von denen Spieler sich eine Steigerung des Gedächtnisses erhoffen, um sich etwa in der Vorbereitung Strategien und Spielzüge des Gegner zu merken. All diese Substanzen wurden zur Behandlung kranker Menschen entwickelt. Überträgt sich der förderliche Effekt überhaupt auf gesunde Menschen? »Psychostimulanzien wie Amphetamine, Modafinil oder Methylphenidat machen einen nicht klüger oder kreativer«, sagt Isabella Heuser, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. »Insofern ist auch der Ausdruck ›smart drugs‹, den die Amerikaner verwenden, irreführend. Sie können aber die Vigilanz, die Wachheit und Aufmerksamkeit, steigern.«
Die Substanzen erzielen ihre Wirkung, indem sie in die Botenstoffsysteme des Gehirns eingreifen. Sie sorgen dafür, dass Neurotransmitter wie Dopamin und Noradrenalin vermehrt im Gehirn zur Verfügung stehen. Damit lösen sie eine chemische Reaktion aus, ganz ähnlich einer Schreckreaktion, durch die man plötzlich hellwach ist.
Durch die gesteigerte Aufmerksamkeit werden die Reaktionszeiten kürzer. »So gesehen wäre Amphetamin das ideale Mittel für E-Sport«, sagt Heuser. Auch Ermüdungserscheinungen lassen sich damit hinauszögern, und das Konzentrationsniveau bleibt hoch. Und dadurch, dass man länger die Aufmerksamkeit halten kann, verbessere sich auch die Leistung des Gedächtnisses, so Heuser. Aber das funktioniert natürlich nur eine bestimmte Zeit lang: »Irgendwann bricht man erschöpft zusammen.«
Kaum Untersuchungen an Gesunden …
Anders sieht es bei den Antidementiva aus, die üblicherweise darauf abzielen, die Verfügbarkeit des Botenstoffs Acetylcholin zu erhöhen. Von diesen Medikamenten, die für Menschen mit leichter Demenz entwickelt wurden, erhoffen sich manche E-Sportler, ebenfalls ein besseres Gedächtnis zu bekommen. Doch Studien – die allerdings nicht speziell an Computerspielprofis durchgeführt wurden – geben wenig Anlass dafür: Bei gesunden Menschen haben diese Substanzen keinen eindeutigen Nutzen.
Damit stehen die Antidementiva nicht allein da. Sehr häufig finden Wissenschaftler, die das Hirndoping bei gesunden Menschen untersuchen, nur eine moderate Wirksamkeit. Das zeigt etwa eine Übersichtsarbeit von 2017, in der Forscher um Barbara Sahakian von der University of Cambridge die Literatur gesichtet haben.
Von Ritalin ist beispielsweise schon länger bekannt, dass es vor allem bei Menschen hilft, deren Ausgangsleistung eher schlecht ist. Wer vor dem Einwerfen der Medikamente eine gute Leistung zeigt, wird diese möglicherweise nicht nur nicht verbessern, sondern am Ende gar verschlechtern. Außerdem greifen die Medikamente in verschiedene Botenstoffsysteme gleichzeitig ein. Wer ein System mit der optimalen Dosis versorgen möchte, müsse womöglich ein anderes überdosieren, warnen Sahakian und Kollegen. Die komplexe Wirkweise der Substanzen im Gehirn sei eben nicht einfach zu durchschauen.
Ein Großteil der Wirkung geht zudem auf das Konto von Placeboeffekten. Denn wer diese Medikamente einnimmt, verbindet positive Erwartungen mit den Wirkstoffen. »Eine ähnliche Wirkung kann man aber auch mit Koffein erzielen«, sagt Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz. »Anders als die genannten Medikamente ist es legal und wäre wohl auch dann im Wettkampf zugelassen, wäre E-Sport als Sport anerkannt und gäbe es eine Liste verbotener Substanzen.«
… und noch weniger an gesunden E-Sportlern
All diese Kenntnisse stammen bislang nur ganz allgemein von Untersuchungen an gesunden Menschen. »Ob die Leistung selbst durch die Medikamente besser wird, lässt sich nicht leicht beantworten«, sagt Klaus Lieb. Zumindest den Leistungsabfall durch Übermüdung könnte man durch die Einnahme mancher Mittel hinauszögern. Aber auch hier fehlen Studien speziell für den Fall des E-Sports. In einer Untersuchung von 2017 konnte Lieb mit Kollegen belegen, dass Schachspieler durch Einnahme von Methylphenidat und Modafinil bessere Leistungen zeigten – zumindest, wenn sie nicht unter Zeitdruck standen. Natürlich sei das nicht ganz vergleichbar, da es beim Schach nicht um schnelle Reaktionen gehe. »Aber möglicherweise profitiert man auch bei E-Sport von den Mitteln.«
Dem zumindest nicht ganz eindeutigen Nutzen stehen eindeutige Risiken gegenüber. »Die wichtigste unerwünschte Wirkung bei den ganzen Psychostimulanzien – wohlgemerkt nicht bei erkrankten Menschen, sondern bei Gesunden – ist die Gefahr der Abhängigkeit«, sagt Isabella Heuser. Die Gefahr solle man aber nicht überschätzen. Auch nicht jeder, der Alkohol trinke, werde abhängig. Zudem können die Substanzen den Blutdruck steigern. Und Modafinil beispielsweise kann zu Herzrhythmusstörungen führen. »Aber insgesamt sind sie gut verträglich«, so Heuser.
Abhängigkeiten und Nebenwirkungen sind die größten Probleme
Klaus Lieb sieht die Einnahme von Substanzen durch gesunde E-Sportler wesentlich kritischer: »Ein Abhängigkeitspotenzial ist auf jeden Fall vorhanden.« Es werde von Modafinil über Methylphenidat bis zu den Amphetaminen immer größer. Besonders leicht wird man von Amphetaminen abhängig, wenn man sie schnupft oder sich gar spritzt. »Denn in diesem Fall steigen die Substanzen im Gehirn schnell an und sorgen für eine euphorisierende Wirkung, die eine Abhängigkeitsentwicklung begünstigt.« Nimmt man hingegen Methylphenidat über Retardtabletten mit einer verzögerten Freisetzung, kann man von den wachmachenden Effekten profitieren, die euphorisierende Wirkung bleibt aber aus. »Da ist die Gefahr der Abhängigkeit nicht ganz so groß«, so Lieb. Da E-Sport mit Fun-Sportarten vergleichbar sei, sieht er aber auch die Gefahr, dass man die Substanzen selbst noch nach dem Spielen auf Partys weiter einnimmt, was die Abhängigkeitsgefahr zusätzlich steigere.
Auch die Liste der Nebenwirkungen klingt bei Klaus Lieb dramatischer: Die Wirkstoffe könnten Schlaflosigkeit sowie Erregungs- und Unruhezustände bis hin zu Aggressivität auslösen. Eines sieht er dabei als besonders problematisch an: »Sie können psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen auslösen, wenn man eine Veranlagung dafür mitbringt.« Bei Methylphenidat habe es auch schon Todesfälle durch Herzrhythmusstörungen infolge von Überdosierungen gegeben. »Modafinil ist rezeptpflichtig und Methylphenidat- und Amphetaminpräparate sind sogar betäubungsmittelpflichtig – das alles nicht ohne Grund.«
Aus eben diesen Gründen müssen sich E-Sportler, die ihr Hirn dopen wollen, auf illegalen Wegen die Substanzen besorgen – über den Schwarzmarkt oder das Internet. Und genau wie bei allen anderen Medikamenten ist das Problem, dass man sie in diesem Fall nicht ausreichend kontrollieren kann. »Die Nutzer bekommen in dem Fall wahrscheinlich nicht die nötige Aufklärung, etwa über Gegenanzeigen«, sagt Isabella Heuser. Und sie benennt noch ein anderes Problem. »Wir wissen überhaupt nicht, wie die Folgen sind, wenn gesunde Menschen solche Medikamente über längere Zeit einnehmen: Da fehlen einfach noch die Studien.«
Und nicht zuletzt: Bestellt man die Medikamente über das Internet bei internationalen Apotheken, kann man sich ein Strafverfahren einhandeln, weil man illegal Substanzen eingeführt hat, die nicht frei verkehrsfähig sind. Es mag verlockend sein, unter dem Druck von hartem Training und nervenzerrenden Turnierkämpfen sein Gehirn auf Trab zu bringen – dass es sich als beste Siegstrategie erweist, ist mehr als fragwürdig.
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