Fluchtdistanz: Vögel achten auf Tempolimits
Städte wie Berlin beherbergen mittlerweile mehr Vogelarten als das intensiv landwirtschaftlich genutzte Umland. Doch das Leben in der Nähe des Menschen birgt nicht nur neue Möglichkeiten für die Tierwelt, sondern setzt sie auch neuen Gefahren wie dem Straßenverkehr aus: Zahlreiche Amseln, Meisen oder Bussarde finden durch Kollisionen mit Vehikeln ihr vorzeitiges Ende. Offensichtlich können sich viele Tiere jedoch im Laufe der Zeit an diese Risiken gewöhnen und sie vermeiden, wie eine sehr persönliche Studie von Pierre Legagneux von der Université de Quebec in Rimouski und Simon Ducatez von der McGill University in Montréal zeigt.
Die beiden Biologen hatten ein Jahr lang die Fluchtdistanz verschiedener Vogelarten auf ihrem Heimweg vom Labor des Centre d’Etudes Biologiques de Chizé bei Niort in Westfrankreich beobachtet und diese in Korrelation zu verschiedenen Geschwindigkeitsbeschränkungen auf der Strecke gesetzt. Ihre Route führte durch landwirtschaftliche Nutzflächen, Wälder, kleine Dörfer und städtische Siedlungen, in denen unterschiedliche Tempolimits zwischen 20 und 110 Kilometer pro Stunde gelten. Aus dem fahrenden Auto – einem weißen Peugeot 205, wie sie nicht vergessen zu erwähnen – heraus bestimmten sie die Vogelart, notierten deren Position (auf oder neben der Straße) und berechneten die Fluchtdistanz aus der Geschwindigkeit des Autos und der Zeit, die zwischen der Entdeckung des Vogels und dem Moment seines Abflugs verging. Diese Werte setzten die beiden Forscher dann in Bezug zu vorhandenen Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Tatsächlich passen die Vögel demnach ihre Fluchtdistanz an die örtlichen Begebenheiten an: Höhere Tempovorgaben veranlassten die Tiere auch dazu, zeitiger abzuheben. In Tempo-20-Zonen hingegen flogen sie erst später weg – sie ließen das Auto folglich näher an sich herankommen. Die Vögel haben also gelernt, dass sie bei durchschnittlich niedrigeren Geschwindigkeiten länger ausharren können, bevor sie fliehen und damit eventuell eine Nahrungsquelle aufgeben müssen. Dieser Zusammenhang gilt artübergreifend, wobei unterschiedliche Gewichtsklassen zu berücksichtigen sind: Relativ schwere Rabenkrähen (Corvus corone) ergriffen unabhängig vom Tempolimit jeweils eher die Flucht als die kleineren, leichteren und damit auch wendigeren Haussperlinge (Passer domesticus). Und auch die Erfahrung spielt eine Rolle: Im Frühling und Sommer ist die Fluchtdistanz den Beobachtungen zufolge durchschnittlich größer, da mehr Jungvögel unterwegs sind, die sich noch nicht richtig an den Straßenverkehr angepasst haben.
Allerdings können Krähen, Sperlinge oder Amseln – die drei häufigsten Arten der Studie – nicht die tatsächliche Geschwindigkeit eines Autos antizipieren: Fuhren die Forscher schneller als erlaubt, so beeinflusste dies das Fluchtverhalten nicht nachweisbar. Erhöhtes Tempo in einer Tempo-20-Zone beispielsweise führte nicht zu veränderten Vermeidungsstrategien. Von strengeren Geschwindigkeitskontrollen könnten also auch Vögel profitieren.
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