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Vögel: Überraschend feines Näschen

Ob zur Orientierung auf dem Flug über Ozeane, bei der Brutpflege oder um Feinde in die Irre zu führen: Vögel haben einen ausgeprägten Geruchssinn und nutzen Chemosignale in einem viel größeren Ausmaß als früher angenommen.
Jungvögel und Weibchen des Wiedehopfs
Jungvögel und Weibchen des Wiedehopfs produzieren in ihren Bürzeldrüsen ein stinkendes Sekret, das Feinde vor dem Eindringen in die Bruthöhle abhalten soll.

Für Atlantische Lachse und Meeresschildkröten lautet die Devise: immer der Nase nach! Duftspuren weisen ihnen den tausende Kilometer langen Weg aus den Weltmeeren in ihre Laichgewässer oder an ihre Geburtsstrände. Und Vögel? Für sie gilt das auch – wie immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Und nicht nur zur Orientierung nutzen Vögel ihre Nase. Sie riechen Nahrung, wittern Gefahr und sie produzieren sogar Geruchsstoffe, um Partner anzulocken oder natürliche Feinde abzuschrecken und so ihren Nachwuchs zu schützen.

Lange Zeit wurde der Bedeutung ihres Geruchssinns nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das mag auch daran liegen, dass bei vielen Gefiederten andere Sinneskanäle sehr auffällig sind. Im Verhältnis zum gesamten Körper haben etwa Greifvögel mit die größten Augen aller Landwirbeltiere – nur übertroffen von Fröschen. Falken, Bussarde und Adler können Beute von der Größe eines kleinen Nagers aus einer Entfernung von weit mehr als einem Kilometer zielsicher ins Visier nehmen. Ihre exzellente Sehfähigkeit ist mit dem sprichwörtlichen Adlerauge sogar in unseren Wortschatz eingegangen. Und auch ihr Gehör – allen voran das von Eulen – ist legendär, auch wenn das nicht unbedingt den Anschein hat. Denn statt eines ausgeprägten Außenohrs bündeln die Federn des Gesichtsschleiers den Schall.

Während es zu diesen Wahrnehmungsleistungen von Vögeln, inklusive ihres beeindruckenden Magnetsinns, seit vielen Jahrzehnten Forschung gibt, rückt die enorme Bedeutung ihres Geruchssinns erst seit neuerer Zeit in den Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Inzwischen sind aber viele Expertinnen und Experten davon überzeugt, dass ihr feines Näschen für das Überleben der Tiere unverzichtbar ist.

Wie selbstverständlich und dem Auge ebenbürtig der Einsatz des Geruchssinns für Vögel ist, zeigt eine 2022 veröffentlichte Untersuchung von Fachleuten der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Sie belegt, dass die Gefiederten sich ihre Nase selbst dort zu Nutze machen, wo sie jeden Baum und jeden Strauch kennen und sich eigentlich voll auf ihre Augen verlassen könnten: in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Um die Rolle von Chemosignalen bei der Navigation im Nahbereich zu testen, richteten die Forschenden eine Futterstelle für Kohlmeisen ein.

Dann fingen sie einige der Meisen und dämpften bei einem Teil von ihnen den Geruchssinn kurzfristig mit Zinksulfat. Danach ließen sie die Vögel wieder in der Nähe ihrer Futterstelle frei. Sowohl die Kohlmeisen mit betäubtem Geruchssinn als auch die unbeeinträchtigten Tiere fanden zu den Futterstellen zurück. Allerdings brauchten Erstere deutlich länger. »Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Gerüche sogar in einer vertrauten Umgebung trotz visueller Anhaltspunkte als wichtige Informationsquelle zur Orientierung dienen«, kommentierte Studien-Erstautorin Katharina Mahr die Ergebnisse.

Ist die Nase sogar wichtiger als der legendäre Magnetsinn?

Die Wiener Forschungsergebnisse ergänzen Untersuchungen zur Rolle der Chemosensorik bei der Navigation während des Vogelzugs oder über lange Distanzen während der Nahrungssuche. Experimente mit Hochseevögeln zeigen, dass der Geruch für die Orientierung auf große Entfernungen womöglich sogar wichtiger ist als das legendäre Vermögen zur Orientierung am Magnetfeld der Erde.

Ein internationales Team um Anna Gagliardo von der Universität Pisa hatte dazu ein so genanntes Verfrachtungs-Experiment durchgeführt, um die Bedeutung verschiedener Sinnesorgane für die Navigation und in einer Umgebung zu testen, die keine markanten Orientierungspunkte bietet. Sie fingen dazu Sturmtaucher – möwengroße Hochseevögel – an ihren Brutkolonien auf den Azoren und beraubten einen Teil der Vögel mit unterschiedlichen Mitteln zeitweise verschiedener Wahrnehmungsmöglichkeiten.

Danach versahen die Forscherinnen und Forscher die Tiere mit Sendern und ließen sie gemeinsam mit nicht manipulierten Artgenossen mehr als 800 Kilometer entfernt auf dem offenen Meer frei. Sturmtaucher sind dafür bekannt, dass sie mitunter viele Tausende von Kilometern auf den Weltmeeren unterwegs sind und somit ihren Weg zurück in die heimischen Kolonien finden, auch ohne sich an geografischen Landmarken orientieren zu können. Die Fachleute bewiesen, dass die Sturmtaucher selbst dann fast immer zurückfanden, wenn ihr Magnetsinn durch das Anbringen eines Magneten an ihrem Kopf gestört war. Anders erging es den Vögeln, deren Geruchssinn betäubt worden war: Nur zwei von acht Vögeln aus dieser Gruppe fanden den Weg zurück in die Kolonie.

Dunkelsturmtaucher | Die Hochseevögel legen im Jahr mehr als 60 000 Kilometer auf den offenen Ozeanen zurück und orientieren sich dabei möglicherweise am Geruch des Planktons.

»Unsere Ergebnisse wecken Zweifel an der Vorstellung, dass Vögel, die über den Ozean navigieren, eine magnetische Karte verwenden«, schrieben die Fachleute 2013 im Fachblatt »Journal of Experimental Biology«. Zumindest seien geomagnetische Informationen nicht ausreichend, um den Heimweg über die Weiten der Ozeane zu finden. Dagegen sei klar, dass Chemosignale eine herausragende Rolle für die Orientierung spielen. Die Navigation über diesen bei Vögeln unterschätzten Sinn könne auch bei anderen Arten deutlich weiter verbreitet sein als angenommen, bilanzierte das Team.

Wie die chemische Orientierung genau funktioniert, ist noch weitgehend unerforscht. Für Hochseevögel wie Albatrosse oder eben Sturmtaucher sei aber bekannt, dass sie mit dem vom Phytoplankton im Wasser abgegebenen schwefelhaltigen Dimethylsulfid quasi eine kognitive Geruchslandkarte im Kopf erstellen. Das schreibt der Zugvogelforscher und frühere Chef des Instituts für Vogelforschung Wilhelmshaven, Franz Bairlein, in seinem 2022 erschienenen Buch zum Vogelzug.

Spürnase zur Vermeidung von Konflikten

Die oft überlebenswichtige Bedeutung einer guten Spürnase ist auch bei einigen Geierarten bekannt. Die Vögel können verwesende Kadaver selbst kleiner Tiere über größere Entfernungen hinweg riechen. Kolibris nutzen ihre Nase sogar zum Aufspüren unliebsamer Konkurrenten an den Futterstellen, wie eine Gruppe um Erin Wilson Rankin von der University of California in Riverside 2021 herausfand. Den Forschenden war aufgefallen, dass die Nektar fressenden Vögel Blüten mieden, die von bestimmten Insekten besetzt waren. Das Spannende: Sie beobachteten das Verhalten selbst dann, wenn die Kolibris die Konkurrenten noch gar nicht sehen konnten. Die Wissenschaftler behandelten daraufhin Blüten mit Geruchsspuren von Ameisen und Honigbienen. Sowohl im Freiland als auch in Volieren mieden die kleinen Vögel jene Futterstellen, an denen eine Duftspur von Ameisen klebte.

Keine Reaktion zeigten sie dagegen auf Düfte von Honigbienen, mit denen sie nicht um Nahrung konkurrieren. »Kolibris müssen sich sowohl mit Nahrungskonkurrenz als auch mit Konkurrenz durch Störungen seitens Blüten besuchender Insekten auseinandersetzen«, schreiben die Autoren. Die Verwendung chemischer Signale könnte ein Mechanismus sein, mit dem die Kolibris möglichen Kraft raubenden Konflikten ausweichen.

Den physiologischen Grundlagen der erstaunlichen Riechleistung von Vögeln gingen Fachleute vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und vom Cawthron Institute in Neuseeland in einer 2008 veröffentlichten Studie nach. Das Team um Silke Steiger wählte einen genetischen Ansatz. Die Forschenden fanden bei ihren Analysen heraus, dass Vögel sehr viele Geruchsrezeptor-Gene haben, die die molekulare Basis der Geruchswahrnehmung bilden. Die Rezeptoren werden in der Riechschleimhaut ausgebildet und dienen dazu, verschiedene Duftstoffe wahrzunehmen.

Die Gruppe stellte außerdem erhebliche Unterschiede in der Zahl der Rezeptoren bei den acht untersuchten Wildvogelarten fest. Der Streifenkiwi aus Neuseeland etwa hat demnach fast sechsmal so viele dieser Gene wie ein Kanarienvogel oder eine Blaumeise. Die hohe Rezeptoranzahl des Streifenkiwis könnte mit seiner Nachtaktivität zusammenhängen – die Vögel sind bei der Nahrungssuche stärker auf die Nase angewiesen als auf die Augen. »Unsere Ergebnisse stützen die wachsende Zahl von Belegen dafür, dass die Bedeutung des Geruchssinns bei Vögeln möglicherweise stark unterschätzt wurde«, bilanzieren die Wissenschaftler. »Ihre Geruchswahrnehmung verfügt über ein ähnlich großes Potenzial und eine vergleichbare Bandbreite wie die von Fischen und Säugetieren.«

Auch Meisen riechen die Gefahr

Blaumeisen haben zwar weniger Riechrezeptoren als Streifenkiwis und sind tagaktiv, das bedeutet aber noch lange nicht, dass der Geruchssinn für sie weniger bedeutend ist. Im Gegenteil: Die bei uns weit verbreitete Vogelart verlässt sich offenbar sogar bei überlebenswichtigen Entscheidungen eher auf die Nase als auf die Augen, wie eine Arbeit aus Spanien nahelegt. Die Forscher vom Museo Nacional de Ciencias Naturales in Madrid bestrichen das Innere von Nistkästen, in denen Blaumeisen gerade ihre wenige Tage alten Jungen versorgten, mit unterschiedlichen Gerüchen. Das Ergebnis: Dort, wo es nach dem für Kleinvögel gefährlichen Steinmarder roch, erkannten die Meisen frühzeitig die Gefahr.

Ein paar der Vögel verzögerten daraufhin das Einfliegen in die Höhle, andere mieden den vermeintlichen Gefahrenraum ganz. Einige zwischen Angst und elterlicher Fürsorge hin- und hergerissene Meisen versuchten auch, vor dem Einfliegen zunächst von außen in die Kästen hineinzuspähen, um die Gefahr zu lokalisieren. Waren die Boxen von innen mit einem unbekannten, aber von einem für sie harmlosen Tier stammenden Geruch bestrichen, so hatte das keine Auswirkungen auf ihr Verhalten. Damit war klar, dass die Vögel nicht vor unbekannten Gerüchen flohen, sondern dank ihres Geruchssinns frühzeitig »den Braten rochen«.

Blaumeise | Die Vögel riechen Studien zufolge die Anwesenheit von Feinden in ihren Nistkästen.

Auch im Verhältnis zu Artgenossen spielen Duftsignale vermutlich eine größere Rolle als bislang angenommen. Darauf deuten die Ergebnisse chemischer Analysen der Sekrete hin, die von allen Vögeln in einer Bürzeldrüse auf dem Rücken produziert werden. Sie dienen nach bisheriger Kenntnis vor allem als eine Art Imprägnierungsmittel, mit dem das Gefieder beim Putzen gegen Nässe und Parasiten geschützt wird.

Ein Team der Universität Bielefeld fand bei der Untersuchung von Blaumeisen-Sekreten 2021 heraus, dass sich die chemische Zusammensetzung der Bürzelsäfte bei Männchen und Weibchen deutlich unterscheidet – womöglich, weil die Weibchen weitgehend allein für das Brutgeschäft verantwortlich sind und die produzierten Substanzen helfen, die Eier gegen Parasiten zu schützen. Die Bielefelder Gruppe um Barbara Caspers hält es aber auch für möglich, dass der Geruch der Bürzelsekrete eine wichtige Signalfunktion für die Partnerwahl hat. Hier steht die Forschung aber noch am Anfang.

Einige Vogelarten nutzen die Sekrete eindeutig zur Abschreckung von Feinden. So produzieren Weibchen und Jungtiere des Wiedehopfs ebenso wie afrikanische Baumhopfe in ihrer Bürzeldrüse eine faulig, übel riechende Substanz, mit der sie räuberische Feinde vor dem Eindringen in die Nesthöhle abhalten. Wirkt diese Abschreckung nicht, greifen sie zum Äußersten und setzen ihre ultimative Geruchswaffe ein: Sie bespritzen die Angreifer mit ihrem stark ätzenden Kot.

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