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News: Völlig losgelöst

Im Grunde glaubten Wissenschaftler das Verhalten tropfender Flüssigkeiten gut verstanden zu haben. Doch spielen sich die Vorgänge in einem stark viskosen Medium ab, kommt es zu einem seltsamen Phänomen.
Tropfen
Zunächst ist nicht viel zu sehen. Eine kleine Wölbung vielleicht. Mehr nicht. Doch sie wächst. Und wächst. Nun spiegelt sich bereits das Spülbecken verzerrt wie durch eine starke Linse im klaren Nass, das am Metall klebt. Noch scheint es der Gravitation zu trotzen. Doch weniger später: Der Tropfen erzittert, baumelt nunmehr wie eine reife Traube am Rand des Perlators. Die Schwerkraft will ihn nun. Plötzlich geht alles ganz schnell: Während der untere Teil des Wassertropfens noch einmal an Größe zulegt, schnürt sich sein oberer Teil zusammen – und reißt. Bruchteile einer Sekunde später ein einzelnes Ping, und der Tropfen zerstiebt am Grund der Spüle.

Ob Itai Cohen ein traumatisches Erlebnis mit tropfenden Wasserhähnen hatte? Während seiner Zeit in Chicago im Jahr 1999 träufelte der Physikstudent jedenfalls ganz gerne mal Wasser in viskoses Öl. Natürlich nicht zum Spaß, sondern im Rahmen seiner Forschungsarbeit. Dabei machte er eine interessante Entdeckung: Anders als in Luft, lässt sich ein Tropfen in einer zähen Flüssigkeit mehr Zeit, um sich von der Kanüle abzulösen, die ihn hervorbringt. Dabei weist er eine ungewohnte parabolische Einkerbung auf, die sich zusehends zuschnürt, um sich – kurz bevor der Tropfen abreist – in einen dünnen Faden zu verwandeln.

Äußerst seltsam. Denn schließlich löst sich ein Tropfen sonst immer in gleicher Art und Weise von seinem festen Halt – einerlei, wie groß eine Kanüle ist, oder wie viel Flüssigkeit hier durch fließt. Im Viskosen scheint die Welt jedoch auf den Kopf gestellt. Da sich derlei Rätsel häufig besonders gut mit dem geballten Einsatz von Rechenkraft in Form einer umfangreichen Simulation lösen lassen, wandte sich Cohen zusammen mit einigen Kollegen, die bereits über dem Problem gebrütet haben, an Osman Basaran von der Purdue University. Der Forscher konnte mit seinem Team tatsächlich einige feine Details des Tropfprozesses im virtuellen Experiment nachstellen.

So stellte sich heraus, dass das ungewöhnliche Verhalten auf die Fließgeschwindigkeiten von Öl und Wasser zurückzuführen ist. Die Geschwindigkeiten im Tropfen sind dabei zunächst deutlich höher als im umgebenden viskosen Medium. Erst in dem Moment, in dem sie ungefähr vergleichbar sind, ändert sich die Gestalt der Bruchregion, und der Tropfen hängt nur noch an einem dünnen Faden. Dieser reißt dann nicht, wie gewohnt an einem Punkt in der Mitte, sondern zugleich an zwei Stellen: zum einen direkt oberhalb des Tropfens, zum anderen direkt an der Kanüle.

Es fällt also nicht nur der Tropfen allein hinab, sondern auch der fadenartige Fortsatz des Tropfens. Dieser konserviert gewissermaßen einen Teil des Ursprungszustands des Systems. Wie die Wissenschaftler weiterhin herausfanden, lässt sich über das Verhältnis der Viskositäten ziemlich gut einstellen, welche Länge und welche Dicke das Filament hat. Je größer die Viskosität des zähen Mediums im Vergleich zur tropfenden Flüssigkeit, desto länger und dünner sind die Fäden, die den Tropfen hinterher fallen.

Diese Erkenntnis lässt sich freilich auch ausnutzen. So haben die Forscher der Tropfenflüssigkeit beispielsweise ein Photopolymer beigemengt, das sich durch Bestrahlen mit Licht aushärten lässt. Kurz nach Trennung des Tropfens von seiner Kanüle haben die Wissenschafter mit einem Lichtblitz die dünnen Fäden gehärtet, sodass sie sich später leicht aus der Flüssigkeit sieben ließen.

Nicht nur, dass Pankaj Doshi, der sich neuerdings in Basarans Arbeitsgruppe mit dem Problem befasst, und seine Kollegen eine interessante Methode gefunden haben, das Alltagsphänomen Tropfen in einer vielleicht nicht ganz so alltäglichen Umgebung zu studieren, vielleicht haben sie auf diese Weise auch eine geeignete Möglichkeit entdeckt, massenweise Nanodrähte und -fäden zu formen – Materialien, von denen sich die Industrie noch so einiges verspricht. Vergleichsweise simpel wäre das Verfahren ja.

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