Vogelgrippe erreicht Helgoland: »Etwa ein Drittel der Nester ist leer«
Seit Wochen wütet die Vogelgrippe unter Seevögeln entlang der Nordseeküste. An den Folgen der Virusinfektion sterben Möwen, Seeschwalben, Basstölpel und Raubmöwen von der französischen Kanalküste über das niederländische, deutsche und dänische Wattenmeer bis in die nördlichsten Zipfel Schottlands.
Besonders verheerend: Erstmals bricht die Epidemie nicht im Winter aus, sondern mitten in der Brutzeit der Seevögel. Viele Elternvögel sterben auf ihren Gelegen oder während der Jungenaufzucht, die Küken verhungern. Mittlerweile sind die Nordsee-Populationen mehrerer bedrohter Vogelarten durch den Seuchenzug so stark dezimiert worden, dass Vogelschützer um das Überleben der Arten in der Region fürchten. Nach der vom Aussterben bedrohten Brandseeschwalbe trifft das Virus nun die einzige deutsche Kolonie des Basstölpels auf Helgoland. Die Hochseevogelart ist auf der Roten Liste in Deutschland in der Kategorie »extrem selten« gelistet. Im Interview spricht Elmar Ballstaedt, Stationsleiter des Vogelschutzvereins Jordsand, über die aktuelle Situation auf Helgoland.
Analysen des Friedrich-Loeffler-Instituts haben vor bestätigt, dass nun auch tot aufgefundene Basstölpel aus der Kolonie auf Helgoland an der hochansteckenden Vogelgrippe gestorben sind. Wie ist die Lage aktuell?
Anfang Juni wurden bei uns die ersten toten Basstölpel gefunden. Im Juli wurden es dann immer mehr. Wir dokumentieren die Entwicklung mit der Vogelwarte Helgoland laufend. Bisher haben wir insgesamt ungefähr 170 tote Jungvögel gezählt. Das bedeutet zwar nicht, dass alle an dem Virus verstarben. Aber es deutet darauf hin, dass ihre Eltern oder ein Elternteil an der Vogelgrippe gestorben ist und die Brut aufgegeben wurde.
Wie groß ist der Schaden für den Brutbestand auf Helgoland und damit für die gesamte deutsche Population?
Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einschätzen. Ein Problem ist, dass nicht alle Brutplätze in den Felsen ohne Weiteres einsehbar sind. Dort, wo man reinsehen kann, ist etwa ein Drittel der Nester leer. Wir gehen davon aus, dass auch insgesamt mindestens ein Drittel aller Paare ihre Nester aufgegeben haben. Es ist aber schwierig einzugrenzen, aus welchen Gründen das geschehen ist. Denn es gibt auch unter normalen Umständen Paare, die eine Brut aufgeben. Vor allem junge Vögel, die zum ersten oder zweiten Mal brüten und noch unerfahren sind, haben oft nicht im ersten Anlauf gleich Bruterfolg. Es ist aber einfach auch viel zu früh in der Saison, um sagen zu können, wie die Bilanz der ganzen Kolonie am Ende aussehen wird. Wir sind ja gerade erst mitten in der Brutzeit – viele Jungvögel sind noch sehr klein und brauchen noch einige Wochen bis zum Ausfliegen.
Das heißt, es könnten sich bis dahin noch mehr Basstölpel durch den engen Kontakt auf den Felsen anstecken und sterben?
Die weitere Entwicklung ist schwer einzuschätzen, weil wir nicht wissen, ob wir den Höhepunkt der Infektionswelle schon erreicht haben oder ob die Infektionszahlen noch steigen und dadurch dann viele weitere Jungvögel sterben. Das werden wir erst in den kommenden Wochen sehen.
Damit das Virus sich nicht weiter ausbreitet, wäre es sicher wichtig, die Kadaver der toten Vögel zu bergen. Ist das angesichts der Brutplätze in den Klippen überhaupt möglich?
Die Mitarbeiter des Ordnungsamts drehen täglich ihre Runden um die Insel und sammeln die toten Vögel ein, die in Reichweite sind. Die Kadaver werden ans Festland gebracht und als Sondermüll entsorgt. An der Klippe direkt können tote Vögel nicht abgesammelt werden, das wäre zu gefährlich. Auch wollen wir die Vögel, die noch brüten, auf keinen Fall stören. Wir wollen, dass die überlebenden Tiere definitiv eine Chance haben, ihren Jungvogel durchzubringen. Deshalb versucht man, das einzusammeln, was vom Klippenrandweg aus erreichbar ist. Der Rest bleibt liegen.
An der Festlandsküste hat die Epidemie in den vergangenen Wochen hauptsächlich verschiedene Seeschwalbenarten getroffen, allen voran Brandseeschwalben. Wie alle Seevögel brüten sie in Kolonien dicht an dicht auf engem Raum. Sind auf Helgoland weitere Arten betroffen?
Bisher trifft es hier nur Basstölpel. Die anderen Klippenbrüter, also Dreizehenmöwe, Trottellumme, Tordalk und Eissturmvogel, brüten normal, soweit wir das erkennen können. Auch die Großmöwen – Silber- und Heringsmöwe – sind hier bislang nicht betroffen, während es im Wattenmeer jetzt auch verstärkt unter diesen Arten Totfunde gibt. Wir haben von mehreren Vogelarten Proben genommen: Graugänse, Brandseeschwalben und Eiderenten waren negativ.
Basstölpel in Deutschland: bisher eine Erfolgsgeschichte
Bisher kannte die Entwicklung der einzigen deutschen Basstölpel-Kolonie auf Helgoland nur eine Richtung: aufwärts. Erstmals brütete die Art im Jahr 1991 auf der kleinen Hochseeinsel. Bis zum Beginn der 2000er Jahre stieg die Zahl der Brutpaare relativ langsam auf knapp 100 an, anschließend setzte ein starker Bestandsanstieg ein, der – wenn auch nicht mehr so steil – bis heute anhält. Zu Beginn der laufenden Brutsaison im Jahr 2022 zählten Vogelkundler 1485 Brutpaare.
Basstölpel sind extrem gut auf die Jagd auf Fische angepasst. Mit angewinkelten Flügeln schießen sie aus dutzenden Metern Höhe torpedogleich ins Meer, um Fische zu erbeuten. Die Vögel halten sich das gesamte Jahr auf dem Atlantik auf. Jungvögel ziehen im Herbst vor die westafrikanische Küste, wo sie häufig ein oder zwei Jahre bleiben, bevor sie in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren. Erst mit vier bis fünf Jahren werden sie geschlechtsreif.
Helgoland ist der einzige Ort in Deutschland, an dem Basstölpel brüten. Was bedeutet der Vogelgrippe-Ausbruch für die Zukunft der Art hier zu Lande?
Die Zahlen sind auf jeden Fall alarmierend. Wie schlimm sie sind, können wir noch nicht sagen. Auch die Lebensweise der Vögel macht sie besonders anfällig: Basstölpel werden erst spät geschlechtsreif und sie legen maximal ein Ei pro Jahr. Sie sind also darauf angewiesen, ein gewisses Alter zu erreichen, um zum Arterhalt beizutragen. Ein Vogel, der mit sieben Jahren stirbt, konnte vielleicht nur ein- oder zweimal erfolgreich brüten. Da ist es schon Besorgnis erregend, wenn so viele Altvögel sterben. Es gibt ja auch noch andere Gefahren für die Vögel.
Welche wären das?
Schon das Problem des Plastikmülls wirkt sich deutlich auf die Kolonien aus. Die Vögel sammeln auf dem Meer treibende Plastikfäden ein und verweben sie in ihren Nestern, weil sie sie für Algen halten, aus denen sie normalerweise Nester bauen. An diesen Plastikfäden strangulieren sich rund fünf Prozent der Vögel in unserer Kolonie. Und wenn ungefähr fünf Prozent der Altvögel sterben, hat das eben wegen der gerade schon erläuterten Fortpflanzungsstrategie messbare Einflüsse auf den Bestand hier. Jetzt kommt die Vogelgrippe noch hinzu. Das wird dann schon schwierig.
Machen Sie sich Sorgen um das Überleben der Art bei uns?
Dass es schlecht aussieht, ist klar. Aber, um zu sagen, wie schlecht und ob die Lage schon richtig kritisch ist – um das zu sagen, muss man noch ein paar Wochen warten, bis die Brutsaison beendet ist. Ob wir im nächsten Jahr dann nur noch 500 statt 1500 Paare haben, das kann man jetzt noch nicht einschätzen. Für mich ist noch nicht greifbar, wohin der Weg führt.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Vielleicht helfen die in den vergangenen Jahren geschlüpften Vögel, die noch zu jung zum Brüten sind. Sie sind jetzt nicht auf Helgoland und kehren hoffentlich zurück, wenn die Epidemie vorbei ist.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.