Vogelzug: Amurfalken betreiben Binge-Eating
Jeden Herbst rasten eine Million Amurfalken (Falco amurensis) in Nagaland im nordöstlichen Indien: Sie machen dort Zwischenstopp auf dem langen Weg von ihren Brutgebieten in Sibirien zum südafrikanischen Winterquartier, wobei sie 3500 Kilometer über das Arabische Meer fliegen: die längste Reise eines Greifvogels über offenes Wasser. Um genügend Energie für diese epische Reise zu tanken, fressen sie in kürzester Zeit enorme Insektenmengen auf ihrem Zwischenstopp. Die Mengen, um die es sich dabei handelt, hat ein Team um Amarjeet Kaur vom Wildlife Institute of India in Dehradun berechnet: Sie sind enorm.
Kaur und Co untersuchten dazu die Ausscheidungen der Vögel und ermittelten so die Art und Menge der Beute. Amurfalken jagen fast ausschließlich Insekten, was sich im Gewölle entsprechend wiederfand. Dabei dominierte eine Familie besonders: Termiten. Über den dreijährigen Untersuchungszeitraum zwischen 2017 und 2019 hinweg machten sie 87 Prozent der Überreste aus, alles Weitere entfiel auf Insekten wie Wanzen, Heuschrecken, Käfer und Hautflügler wie Wespen und Bienen. Zugleich beobachteten die Biologen, wie Amurfalken schwärmende Termiten jagten.
Im Oktober und November verbringen die Greifvögel etwa zwei Wochen in der Region zu der Zeit, in der auch die Termiten ausfliegen. Hochgerechnet auf die Zahl der Falken und im Verhältnis zum Anteil an Termitenresten im Gewölle schätzen die Forscher, dass sie ein bis zwei Milliarden der Insekten während der Rast fressen. Das entspricht 67 bis 134 Tonnen allein an diesen Sechsbeinern.
Termiten sind besonders reich an Fett und Proteinen, so dass sich die Amurfalken eine regelrechte Fettschicht anfressen. Die lokale Bevölkerung hat deshalb auch lange Zeit Jagd auf die Vögel gemacht, weil sie besonders nahrhaft sind. Im Jahr 2012 nahm dies extreme Ausmaße an, als innerhalb kürzester Zeit hunderttausende Falken in Netzen endeten und großflächig verkauft wurden. Die Fangraten waren so hoch, dass Ornithologen das Aussterben der Art binnen weniger Jahre befürchteten. Eine anschließende Aufklärungskampagne sorgte jedoch dafür, dass die Jäger die Vögel in den Folgejahren nicht mehr erlegten, sondern sie im Gegenteil schützten.
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