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News: Vom Leben im Sterilzelt befreit

Severe combined immunodeficiency (SCID) X1 ist eine lebensbedrohliche Krankheit, die mit dem X-Chromosom vererbt wird. Durch den Gendefekt bilden Betroffene so gut wie kein Immunsystem aus. Patienten, die unter dieser Erbkrankheit leiden, dürfen daher unter keinen Umständen mit pathogenen Viren oder Bakterien in Berührung kommen und müssen ihr gesamtes Leben in einer streng kontrollierten, sterilen 'Blase' verbringen. Allein durch eine Knochenmarkstransplantation konnte ihnen bisher geholfen werden. Eine neu entwickelte Gentherapie, die eine gesunde Kopie des defekten Gens in den Körper der Patienten einbringt, soll das Immunsystem aufbauen und die schwere Krankheit somit vollständig heilen. Durch diesen Ansatz konnten bereits zwei Kleinkinder aus ihrem sterilen Gefängnis befreit werden.
Bei Patienten mit severe combined immunodeficiency (SCID) X1 ist ein Gen defekt, einen Teil eines Zellrezeptors codiert, der mit den Vorläuferzellen von T-Lymphocyten und NK(natural killer)-Zellen interagiert. Diese für das Immunsystem ausgesprochen wichtigen Komponenten zerstören körperfremde und möglicherweise krankheitserregende Partikel und sind noch an weiteren Abwehrreaktionen beteiligt. Ohne die Wechselwirkungen mit dem Rezeptor entwickeln, wachsen und verteilen sich diese Zellen nicht, weshalb die geringsten Infektionen wie Schnupfen eine tödliche Bedrohung für die Patienten darstellen.

Bei einer neuen Therapie soll eine gesunde Kopie des defekten Gens in den Körper von Patienten eingeführt werden und sich in ihm rasch verteilen. Das funktionstüchtige Gen löst dann die bisher "blockierte" Entwicklung der verschiedenen Immunzellen aus. Bei zwei Kinder im Alter von acht und elf Monaten konnten Ärzte des Hospital Necker in Paris mit dieser Behandlung schon ein normal arbeitendes Immunsystem aufbauen, erklärt der Leiter der Studie Alain Fischer. Die Verbesserung des Gesundheitszustandes dauert nun bereits elf Monate an und es sind noch keinerlei Nebenwirkungen aufgetreten (Science vom 28. April 2000).

Die Wissenschaftler entnahmen den Patienten Knochenmark und isolierten aus ihm bestimmte Stammzellen – die Vorläufer der Blutzellen. Diese badeten die Forscher in Wachstumsfaktoren und behandelten sie mit einem Protein, das einen Gentransfer erleichtert. Die so vorbereiteten Zellen infizierten sie mit Retroviren, die eine gesunde Version des Gens enthielten. Nach drei Tagen mit wiederholten Infektionen transplantierten die Wissenschaftler die Stammzellen ohne eine begleitende medikamentöse Behandlung zurück in die Patienten.

Bereits nach 15 Tagen konnten Fischer und seine Kollegen im Blut er Kinder Zellen entdecken, die eine funktionsfähige Kopie des Gens trugen, und eine steigende Anzahl verschiedener Immunzellen beobachten. Die beiden kleinen Patienten weisen mittlerweile B-, T- und NK-Zellzahlen auf, die den von gesunden Kindern ihres Alters entsprechen. Das neu erworbene Abwehrsystem testeten die Mediziner mit Tetanus-, Diphtherie- und Polioimpfungen, auf welche die Kinder jeweils mit der Bildung der richtigen Antikörper reagierten.

Fischer ist der Ansicht, dass der Erfolg der Therapie nicht "auf die Technik, sondern auf die Krankheit selbst" zurückzuführen ist. Im Falle der SCID X1 scheinen Zellen mit einer gesunden Variante des Gens einen Selektionsvorteil gegenüber den mutierten "Cousinen" zu haben, wodurch sie sich rasch vermehren und diese bald zahlenmäßig übertreffen. Eine Ahnung von dem Ausmaß dieses Vorteils erhielten die Wissenschaftler bei einem früheren Patienten, bei dem eine defekte Genkopie spontan zurückmutierte. Durch diese zufällig entstandene gesunde Genvariante entwickelte der Patient ein vollkommen funktionstüchtiges Immunsystem. "Das bedeutet, dass sogar eine wenig effektive Gentherapie – bei der nur wenige Zellen mit einer gesunden Genkopie eingeführt werden – als Behandlung erfolgreich sein kann", sagt Fischer und fügt hinzu, dass dies eventuell auch für die Therapie von anderen Immunsystemserkrankungen zutreffen könnte.

Der Studie zufolge soll sich der Gesundheitszustand der beiden Patienten "eindrucksvoll" verbessert haben. Da sie den Schutz der sterilen Zelte nicht mehr benötigen, leben sie ohne jede weitere Behandlung bei ihren Eltern zuhause und wachsen und gedeihen wie andere Kinder ihres Alters. Wir werden die Kinder aber ihr restliches Leben lang untersuchen, um zum einen ihren Gesundheitszustand festzustellen und zum anderen den Langzeit-Erfolg der Therapie zu ermitteln, sagt der Mediziner.

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