Plattentektonik: Vom Werden und Vergehen der Superkontinente
Tristan da Cunha: Wenige Orte der Erde liegen abseitiger als dieses Eiland im südlichen Atlantik. Mehr als 2500 Kilometer entfernt von ihren nächsten Nachbarn leben hier 300 Briten von Fischfang und Landwirtschaft für die Selbstversorgung, zusammen mit Millionen Seevögeln, Seeelefanten und Seebären. Nur einmal im Jahr kommt routinemäßig ein Fracht- und Passagierboot an diesem Flecken Land vorbei, um Güter oder Besucher anzuliefern – den Rest der Zeit sind die Insulaner abhängig von Fischern aus Südafrika oder wissenschaftlichen Expeditionen, die sich der Geologie der Region widmen.
Denn so unbedeutend Tristan da Cunha heute auf der Weltkarte zu sein scheint: Einst könnten Vorläufer der knapp 100 Quadratkilometer großen Vulkaninsel einen ganzen Superkontinent zertrümmert haben. "Die Entstehung des Tristan-Archipels hängt eng mit dem Auseinanderbrechen von Gondwana vor 120 Millionen Jahren zusammen", erklärt Marion Jegen vom GEOMAR in Kiel, die momentan auf einer Forschungsfahrt die genaue Rolle des Feuerbergs erkunden will. Nach einer gängigen Theorie ragt Tristan da Cunha über einem vulkanischen Hotspot auf: einer Schwachstelle in der Erdkruste, an der fernab von Plattengrenzen heißes Gesteinsmaterial bis an die Oberfläche aufsteigen kann und Vulkane bildet.
Ursächlich für diese ungewöhnlichen Vulkane – zu denen beispielsweise auch die Hawaii-Inseln gehören – ist besonders heißes Magma im Mantel, das aus sehr tiefen Schichten der Erde stammt und womöglich sogar aus der Grenzregion zum Erdkern nach oben wandert. Dabei treten starke Konvektionsströmungen in der zähflüssigen Gesteinsschmelze des Mantels auf, die wegen ihrer Bewegungsrichtung an darüberliegenden Kontinenten oder dem Meeresboden zerren und das Gestein dehnen und strecken. Im Extremfall werden die Platten, die sich gerade über dem Hotspot befinden, auseinandergerissen.
Als der Tristan-Hotspot einst aufkam, schmolz er wohl direkt den riesigen Südkontinent Gondwana von unten an. Die Platte wurde in diesem Bereich großräumig erhitzt, thermisch emporgetrieben und langsam immer stärker ausgedünnt. Am Ende riss die Erdkruste auf, Magma trat aus und bildete neuen Meeresboden im entstehenden Graben. Dieser senkte sich zudem ab, bis er vom jungen Südatlantik geflutet wurde – ein Prozess, wie er aktuell auch am Horn von Afrika abläuft, wo sich entlang des Rift Valleys Ostafrika vom Rest des Kontinents abspaltet. Der Tristan-Hotspot spielte also womöglich eine entscheidende Rolle als Schneidbrenner bei der Geburt von Afrika und Südamerika, doch müsse er tatsächlich erst einmal zweifelsfrei als solcher festgestellt werden, so Jegen: "Tristan da Cunha speist sich womöglich aus einer flacheren Quelle, dann wäre der Archipel die Folge der Spaltung und nicht dessen Ursache. Diese Frage wollen wir klären, denn die Region ist für das generelle Verständnis der Plattentektonik von hoher Bedeutung."
Wenn Kontinente umpolen
Unabhängig vom Einfluss der südatlantischen Magmablase war die Aufteilung Gondwanas ohnehin nur ein weiterer Schritt in der Zersplitterung von Pangäa: Noch vor 250 Millionen Jahre hatte dieser Superkontinent praktisch die gesamte Landmasse der Erde in sich vereinigt, was laut dem so genannten Wilson-Zyklus (er beschreibt die Abfolge charakteristischer Phasen in der Entwicklung von Kontinenten und Ozeanen) einer Ruhepause in der Plattentektonik entspricht. Sie hatte zuvor alle festländischen Bruchstücke durch Kollisionen miteinander verschmolzen und Gebirge aufgetürmt. "Ein derartiger Superkontinent bildet sich über absteigenden Hitzeströmungen im Erdmantel", erklärt Ross Mitchell von der Yale University in New Haven: "Anschließend polt er allerdings die Konvektion im globalen Maßstab um, so dass unter den Landmassen ein Auftrieb entsteht." Und dieser zerreißt später die Superkontinente wieder, der Zyklus beginnt erneut.
Lange vor Gondwana war dies bereits in der Nordhälfte von Pangäa der Fall, als sich der Nordatlantik bildete und Nordamerika von Eurasien trennte. Immer mehr Magma stieg in diesem Graben an die Oberfläche und errichtete langsam einen mittelozeanischen Rücken, an dem austretende Lava immer neue Kruste schafft, die die Kontinente weiter und weiter auseinanderdrückt. Dieses Förderband läuft auch heute noch; wie ein sich öffnender Reißverschluss zieht sich der Mittelatlantikrücken vom Nord- bis ins Südpolarmeer und entfernt die Alte und die Neue Welt jeden Tag ein Stückchen mehr voneinander.
Doch wohin führt die Reise? Vereinigen sich die Kontinente eines Tages wieder zu einer einzigen großen Landmasse? Die Antwort lautet: Ja, solange die rohen Kräfte im Erdinnern wirken und über ihre Konvektionsströme die Platten hin und her treiben. Offen bleibt nur, wo dieser Zusammenschluss stattfindet. "Bislang geht man von zwei möglichen Szenarien aus, nach denen die Kontinente an jeweils unterschiedlichen Stellen neu zusammenfinden", sagt Mitchell.
Nach dem Introversionsmodell erlahmt irgendwann die magmatische Aktivität unter dem Mittelatlantischen Rücken, und der noch relativ junge Atlantik spreizt sich nicht mehr weiter. Stattdessen kehrt sich die Plattenbewegung wieder um, Alte und Neue Welt nähern sich an und raufen sich dereinst wieder zu einem neuen alten Superkontinent zusammen – der relativ genau dort liegt, wo sich einst Pangäa erstreckte. Sein Zentrum läge folglich ungefähr im Herzen Afrikas. Diese Version konkurriert mit dem Extroversionsmodell: "Der relativ alte Pazifik verschwindet in diesem Fall in den Subduktionszonen an seinen Rändern. Dadurch soll sich der nächste Superkontinent genau auf der anderen Seite der Erdkugel etwa auf der Höhe von Hawaii oder den Fidschiinseln formieren", so Mitchell.
Die Zukunft liegt am Nordpol
Doch Ross Mitchell und seine Kollegen sind von diesen beiden Entwicklungsmöglichkeiten nicht überzeugt: "Wir plädieren für einen dritten Weg: die Orthoversion. Jeder neue Superkontinent bildet sich demnach im 90-Grad-Winkel zum Mittelpunkt seines Vorgängers." Dazu analysierten die Geologen zahlreiche Gesteinsproben, in denen das Erdmagnetfeld charakteristische Spuren in der Ausrichtung magnetischer Minerale hinterlassen hatte, während die ursprüngliche Schmelze abkühlte. Während jeder einzelne der vergangenen Superkontinente insgesamt relativ starr auf seiner Position verharrte und sich nur in einem engen Rahmen vor- und zurückbewegte, drehte sich die Megalandmasse sehr stark. "Pangäa liegt in einem 90-Grad-Winkel zu seinem Vorläufer Rodinia und dieser in einem 90-Grad-Winkel zu seinem Vorgänger Nuna", sagt Ross.
Sollte sich dieses Modell bestätigten, ist der Weg zum nächsten Superkontinent vorgezeichnet: "Dann schließen sich weder Pazifik noch Atlantik, sondern es verschwinden das Nordpolarmeer und die Karibik, wenn sich die Kontinente annähern. Das vereinte Amerika trifft Eurasien am Nordpol." Das letzte Stündlein hat dann auch für das Mittelmeer geschlagen, denn Afrika drängt von Süden nach Europa und wird den neuen Superkontinent verstärken. Etwas länger dauert es dagegen, bis auch Australien und vielleicht sogar die Antarktis hinzustoßen. Immerhin: Die Reise des fünften Kontinents von Gondwana nach Osten fand schon ein Ende. Seit einigen Millionen Jahren hat Australien seinen Weg nach Norden ausgerichtet und driftet beschleunigt gen Asien.
Wann die große Zusammenkunft der Landmassen stattfindet, muss vorerst noch offenbleiben. "Das geschieht erst in der fernen Zukunft, irgendwann in 50 bis 200 Millionen Jahren", meint Mitchell. Der Name des Superkontinents steht hingegen schon fest: Amasia – als Erinnerung an seine Gründungsmitglieder Amerika und Asien.
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