Meeresforschung: Von dicken Fischen und Raubschwämmen
Im November vergangenen Jahres ist die Paläontologin Dorte Janussen aus Frankfurt aufgebrochen zum Forschungsschiff Polarstern. Per Satellit erzählte die Spezialistin für Schwämme am Forschungsinstitut Senckenberg von ihrer Reise und ihrer Arbeit in der Antarktis.
spektrumdirekt: Frau Janussen, Sie wollen im ehemaligen Larsen-Schelfeisgebiet klären, wie sich die Artenvielfalt als Folge des Klimawandels verändert hat. Warum ist genau dieses Gebiet für Sie so interessant?
Dorte Janussen:
spektrumdirekt: Sie nehmen dort Proben. Wie funktioniert das?
Janussen: Erst werden mit dem ROV, das ist ein Unterwasser-Roboter, Filme gedreht. Das dauert zwei bis vier Stunden. Dann sieht sich unser Fahrtleiter, Julian Gutt vom Alfred Wegener-Institut, die Fauna und das, was uns da unten erwartet, an. Wenn es zum Beispiel sehr viele Steine gibt, fahren wir gleich weiter zur nächsten Station, weil wir dann gar keine Proben nehmen können. Wenn es aber ein guter, flacher, weicher Boden ist, zumindest ohne zu große Steine, dann können wir mit Schleppnetzen fahren, Sedimentbohrkerne bis zu einem Meter Tiefe aus dem Meeresboden herausholen und mit den Netzen Tiere fischen.
spektrumdirekt: Und kurz vor Weihnachten ist Ihnen ja ein "dicker Fisch" in die Netze gegangen.
Janussen:
spektrumdirekt: Was passiert mit den Lebewesen, die Sie fangen?
Janussen: Was ich an Schwämmen hier fange, wird dokumentiert, und dann nehme ich Proben für spätere Bestimmungen, für genetische, histologische und alle möglichen Untersuchungen, die dann zuhause bei uns im Senckenberg-Institut gemacht werden. Und von den Fischen kamen natürlich auch einige in die Kombüse. (Lachend) Davon haben wir gut gelebt.
spektrumdirekt: Welche Bedeutung haben denn Ihre Befunde vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels?
Janussen:
Wenn jetzt zum Beispiel Ergebnisse molekularbiologisch zeigen, das hat sich zu der und der Zeit getrennt und sie sind aus dem Atlantik gekommen, dann kann ich vielleicht auch Vorhersagen machen. Aber natürlich nicht nur mit Schwämmen allein, ich muss auch mit anderen Tiergruppen argumentieren. Schwämme sind nur ein Teil der Fauna.
Bisher sind wir mit der Schwammforschung noch nicht so weit, dass wir belastbare Ergebnisse in Bezug auf Klimaveränderungen haben. Aber ich weiß, dass es zum Beispiel bei den Dekapodenkrebsen einige Arten aus wärmeren Gebieten des Südatlantiks gibt, die jetzt anfangen in die Antarktis einzuwandern. Das könnte ein Hinweis auf globale Erwärmung sein, als Zeichen, dass nicht nur das Eis abschmilzt, sondern dass es dort insgesamt wärmer wird, wodurch sich bestimmte Arten ansiedeln, die dort früher nie leben konnten. Damit wir so etwas bei Schwämmen feststellen können, müssen wir aber noch weitere Aufnahmen von der Fauna machen. Da ist sehr wenig bekannt.
spektrumdirekt: Worin liegt denn die besondere Aussagekraft in Bezug auf den Lebensraum, in dem Sie die Schwämme finden?
Janussen: Auf Larsen B, wo auf dem Schelf das Eis zuletzt abgeschmolzen war und erdgeschichtlich gesehen wahrscheinlich auch am längsten gelegen hat, hatten wir insgesamt weniger Bodentiere und kleinere. Dort habe ich auch einige Arten gefunden von kleinsten Schwämmen, die eigentlich zur Tiefseefauna gehören. Ich nehme an, dass sie von der Tiefsee aus diesen Schelf besiedeln konnten, weil sie an nährstoffarme Bedingungen angepasst waren. Und das waren nicht nur die Schwämme, auch Seegurken, Seeigel und andere Tiere. Ich hatte bisher insgesamt drei Arten auch hier in der Antarktis, von denen ich der Meinung bin, dass es eindeutig Tiefseearten sind, die wir sonst also nur bei 3000 bis 4000 Meter Tiefe antreffen würden. Das ist ein sehr interessantes Ergebnis.
spektrumdirekt: Und wie unterscheiden sich diese Schwämme von anderen?
Janussen:
spektrumdirekt: Diese Schwämme produzieren ja auch besondere antibakteriell wirksame Stoffe, die in der Medizin eingesetzt werden könnten. Forschen Sie auch in dieser Richtung?
Janussen: Nicht direkt, aber ich arbeite mit Kollegen zusammen, die diese Sachen untersuchen, Biochemiker aus der Medizin und aus der Pharmazie. Da wird sehr viel gemacht. Man nimmt an, dass Schwämme die wichtigsten bioaktiven Stoffproduzenten überhaupt sind. Deswegen haben sie ein riesiges Potenzial. Und wir liefern sozusagen die Grundlagenforschung dafür, die Taxonomie, also um welche Arten es sich handelt, und die Ökologie, wenn es später darum geht, Schwämme nachzuzüchten. Man will ja auch irgendwie produzieren, und das geht nicht immer synthetisch. Für die Zucht im Freiwasser oder sogar in Aquarien können wir Erkenntnisse liefern über die Ökologie und die Biologie der Tiere.
spektrumdirekt: Gibt es schon Ansatzpunkte, in welcher Richtung diese Stoffe wirksam sein könnten?
Janussen: Nicht nur Ansätze, es gibt bereits etliche Patente. Schwämme haben ja keine Zähne oder Krallen. Sie können sich nur chemisch gegen Feinde wehren, und das tun sie auch extrem. Diese Giftstoffe können in kleinen Mengen gezielt eingesetzt werden gegen Pilze, gegen Tumorzellen oder gegen Viren. Dadurch haben sie ein enormes Potenzial für den Menschen.
spektrumdirekt: Vielen Dank, Frau Janussen, für das Interview und eine gute Heimreise.
Dorte Janussen:
Weil hier im Jahr 2002 von dem Schelfeis ein großer Teil, nämlich ein Gebiet von 80 mal 80 Quadratkilometern, desintegriert und als Eisberge abgedriftet ist. Dieses Gebiet ist jetzt erstmalig wieder für die Forschung zugänglich – das heißt wir können untersuchen, wie die Tiere auf diese Eisbedeckung beziehungsweise auf ihr Abschmelzen reagieren, wie sich also die Tierwelt an die Klimaveränderung anpasst und sich verändern kann.
spektrumdirekt: Sie nehmen dort Proben. Wie funktioniert das?
Janussen: Erst werden mit dem ROV, das ist ein Unterwasser-Roboter, Filme gedreht. Das dauert zwei bis vier Stunden. Dann sieht sich unser Fahrtleiter, Julian Gutt vom Alfred Wegener-Institut, die Fauna und das, was uns da unten erwartet, an. Wenn es zum Beispiel sehr viele Steine gibt, fahren wir gleich weiter zur nächsten Station, weil wir dann gar keine Proben nehmen können. Wenn es aber ein guter, flacher, weicher Boden ist, zumindest ohne zu große Steine, dann können wir mit Schleppnetzen fahren, Sedimentbohrkerne bis zu einem Meter Tiefe aus dem Meeresboden herausholen und mit den Netzen Tiere fischen.
spektrumdirekt: Und kurz vor Weihnachten ist Ihnen ja ein "dicker Fisch" in die Netze gegangen.
Janussen:
Oh ja, 5,2 Tonnen! Das war ein großer Hol. Unsere Fischforscher machen hier seit den 1970er Jahren regelmäßig Monitoring. Sie nehmen vor allem die Arten der Eisfische und der Marmorbarsche auf, also bedrohte Arten. Nach dem absoluten Stopp der Fischerei erholen sich die Bestände wohl langsam. Wir hatten die ganze Zeit oben bei Elephant Island nicht so viel gefangen, und jetzt auf einmal 5,2 Tonnen, der größte Hol jemals der Polarstern in der Antarktis. Was uns zeigte, dass unsere Methode gut genug war, es also nicht an der Fangmethode lag, wenn wir nichts fangen.
spektrumdirekt: Was passiert mit den Lebewesen, die Sie fangen?
Janussen: Was ich an Schwämmen hier fange, wird dokumentiert, und dann nehme ich Proben für spätere Bestimmungen, für genetische, histologische und alle möglichen Untersuchungen, die dann zuhause bei uns im Senckenberg-Institut gemacht werden. Und von den Fischen kamen natürlich auch einige in die Kombüse. (Lachend) Davon haben wir gut gelebt.
spektrumdirekt: Welche Bedeutung haben denn Ihre Befunde vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels?
Janussen:
Da muss ich weit zurück gehen. Ich bin ja Paläontologin, und die Schwämme, die heute in der Antarktis zum Beispiel auf dem Schelf leben, sind eine ganz einmalige Fauna, die es nur da gibt. Aber – wie sind die überhaupt dorthin gekommen? Und wann? Sind sie zum Beispiel während der Warmzeiten im Tertiär eingewandert, über die Tiefsee und dann auf den Schelf? Und wie reagiert diese Fauna auf Klimawandlungen, die wir ja auch in der Vergangenheit hatten?
Wenn jetzt zum Beispiel Ergebnisse molekularbiologisch zeigen, das hat sich zu der und der Zeit getrennt und sie sind aus dem Atlantik gekommen, dann kann ich vielleicht auch Vorhersagen machen. Aber natürlich nicht nur mit Schwämmen allein, ich muss auch mit anderen Tiergruppen argumentieren. Schwämme sind nur ein Teil der Fauna.
Bisher sind wir mit der Schwammforschung noch nicht so weit, dass wir belastbare Ergebnisse in Bezug auf Klimaveränderungen haben. Aber ich weiß, dass es zum Beispiel bei den Dekapodenkrebsen einige Arten aus wärmeren Gebieten des Südatlantiks gibt, die jetzt anfangen in die Antarktis einzuwandern. Das könnte ein Hinweis auf globale Erwärmung sein, als Zeichen, dass nicht nur das Eis abschmilzt, sondern dass es dort insgesamt wärmer wird, wodurch sich bestimmte Arten ansiedeln, die dort früher nie leben konnten. Damit wir so etwas bei Schwämmen feststellen können, müssen wir aber noch weitere Aufnahmen von der Fauna machen. Da ist sehr wenig bekannt.
spektrumdirekt: Worin liegt denn die besondere Aussagekraft in Bezug auf den Lebensraum, in dem Sie die Schwämme finden?
Janussen: Auf Larsen B, wo auf dem Schelf das Eis zuletzt abgeschmolzen war und erdgeschichtlich gesehen wahrscheinlich auch am längsten gelegen hat, hatten wir insgesamt weniger Bodentiere und kleinere. Dort habe ich auch einige Arten gefunden von kleinsten Schwämmen, die eigentlich zur Tiefseefauna gehören. Ich nehme an, dass sie von der Tiefsee aus diesen Schelf besiedeln konnten, weil sie an nährstoffarme Bedingungen angepasst waren. Und das waren nicht nur die Schwämme, auch Seegurken, Seeigel und andere Tiere. Ich hatte bisher insgesamt drei Arten auch hier in der Antarktis, von denen ich der Meinung bin, dass es eindeutig Tiefseearten sind, die wir sonst also nur bei 3000 bis 4000 Meter Tiefe antreffen würden. Das ist ein sehr interessantes Ergebnis.
spektrumdirekt: Und wie unterscheiden sich diese Schwämme von anderen?
Janussen:
Sie leben nicht von gelösten Nährstoffen, sondern räuberisch: Sie fressen kleine Krebse. Weil es so wenig gelöste Nährstoffe gibt, haben sie ihre Ernährung völlig umgestellt. Es kommt ja nicht viel runter, wenn alles mit Eis bedeckt ist. Und in der Tiefsee kommt eben auch nicht viel an, denn wenn etwas 4000 Meter sinken muss, ist das meiste unterwegs schon aufgefressen. Deswegen sind das vergleichbare Bedingungen.
spektrumdirekt: Diese Schwämme produzieren ja auch besondere antibakteriell wirksame Stoffe, die in der Medizin eingesetzt werden könnten. Forschen Sie auch in dieser Richtung?
Janussen: Nicht direkt, aber ich arbeite mit Kollegen zusammen, die diese Sachen untersuchen, Biochemiker aus der Medizin und aus der Pharmazie. Da wird sehr viel gemacht. Man nimmt an, dass Schwämme die wichtigsten bioaktiven Stoffproduzenten überhaupt sind. Deswegen haben sie ein riesiges Potenzial. Und wir liefern sozusagen die Grundlagenforschung dafür, die Taxonomie, also um welche Arten es sich handelt, und die Ökologie, wenn es später darum geht, Schwämme nachzuzüchten. Man will ja auch irgendwie produzieren, und das geht nicht immer synthetisch. Für die Zucht im Freiwasser oder sogar in Aquarien können wir Erkenntnisse liefern über die Ökologie und die Biologie der Tiere.
spektrumdirekt: Gibt es schon Ansatzpunkte, in welcher Richtung diese Stoffe wirksam sein könnten?
Janussen: Nicht nur Ansätze, es gibt bereits etliche Patente. Schwämme haben ja keine Zähne oder Krallen. Sie können sich nur chemisch gegen Feinde wehren, und das tun sie auch extrem. Diese Giftstoffe können in kleinen Mengen gezielt eingesetzt werden gegen Pilze, gegen Tumorzellen oder gegen Viren. Dadurch haben sie ein enormes Potenzial für den Menschen.
spektrumdirekt: Vielen Dank, Frau Janussen, für das Interview und eine gute Heimreise.
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