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Nasa-Raumsonde: Von OSIRIS-REx' Begegnung mit einem Asteroiden

Landen, Probe einsammeln, abheben: »Touch and go«, sagt die NASA dazu. Doch die Landschaft auf Bennu machte das Manöver heikler als erhofft. Spannend wurde es um Mitternacht.
So soll OSIRIS-REx bei der Landung aussehen

Update, Mittwoch, 21. Oktober 2020: OSIRIS-REx hat laut der NASA für wenige Sekunden auf dem Asteroiden Bennu aufgesetzt und dabei wie geplant ein System zur Probenentnahme aktiviert.

Eigentlich sollte es ein entspannter Ausflug an den Strand werden: einschweben, ein bisschen im Sand spielen, einpacken und wieder abhauen. Nichts, was unüberwindbare Probleme bereiten dürfte – nicht einmal in einer Entfernung von 330 Millionen Kilometern zur Erde.

Doch derart tief im All ist keine Mission vor Überraschungen sicher, auch nicht die US-Raumsonde OSIRIS-REx. Deren Ziel, ein vermeintlicher Traumstrand auf dem Asteroiden Bennu, erwies sich beim genaueren Hinsehen als felsige Küste, gefährlich, schwer zu erreichen, vor allem aber: fast ohne Sand. Exakt dieses lockere Material hätte OSIRIS-REx aber aufklauben und zurück zur Erde bringen sollen – es wäre die erste Bodenprobe eines Asteroiden, die die US-Raumfahrtagentur NASA jemals eingesammelt hätte. Nach langen Monaten der Planung und viel Improvisation haben die Missionsverantwortlichen das riskante Manöver in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, den 21. Oktober, doch noch versucht.

Vor dem Start sah alles so einfach aus: Radarbilder von Bennu versprachen einen ausgesprochen glatten Himmelskörper. Infrarotaufnahmen legten nahe, dass sich die Oberfläche des 500 Meter großen Asteroiden im Sonnenlicht ähnlich aufheizt und abkühlt wie irdische Strände. Und der ausgeprägte Bauch, den Bennu an seinem Äquator hat, ließ vermuten, dass hier die Rotation des fernen Brockens lockeren Sand angehäuft hatte. »Wir hatten wirklich überzeugende Hinweise darauf, dass Bennus Oberfläche wie ein sandiger Strand aussehen wird«, sagt Dante Lauretta, der wissenschaftliche Leiter der Mission.

Erste Bilder, die OSIRIS-REx Ende 2018 zur Erde funkte, zeigten eine ganz andere Welt. Bennus Oberfläche ist überzogen von Felsen, teilweise so hoch wie Gebäude. Dazwischen verstreut liegen Stein- und Felsbrocken. Keine Spur von einem Strand – nichts, was sich schnell einsammeln ließe. »Als ich die Aufnahmen sah, wusste ich sofort, dass wir vor einer großen Herausforderung stehen«, sagt Lauretta Ende September bei einer Online-Pressekonferenz der NASA.

Bennu im Detail | Aus zwölf Aufnahmen, die die Sonde aus 24 Kilometer Entfernung schoss, ist dieses Mosaik des Asteroiden zusammengesetzt. Es zeigt deutlich die nicht ganz runde Form des 500 Meter großen Himmelskörpers, seinen äquatorialen Bauch – und die von zahllosen Brocken übersäte Oberfläche.

Etwa eine Million Asteroiden kreisen durchs Sonnensystem, die allermeisten wenig erforscht und daher immer für eine Überraschung gut. Und sie sind hochinteressant. Von »Zeitkapseln« spricht Thomas Zurbuchen, der Schweizer Wissenschaftschef der NASA. Sein Gedanke: Da die Asteroiden bei der Entstehung der Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren übrig geblieben und seitdem weitgehend unverändert sind, können sie Antworten auf wichtige Fragen liefern: Wie hat sich das Sonnensystem gebildet? Wie kam Wasser auf die Erde? Und wie organische Materialien?

»Es geht darum, unsere Ursprünge zu verstehen und einige der grundlegenden Fragen der Menschheit anzupacken«, sagt Planetenforscher Lauretta. Die passenden Antworten lassen sich allerdings viel einfacher finden, wenn das dazu nötige Labor auf der Erde steht und nicht auf dem Asteroiden selbst. OSIRIS-REx sollte daher das Schäufelchen auspacken und Sand mitbringen – genauer gesagt: Regolith. So nennen Astronomen die lockere Staub- und Gesteinsschicht, die auf Asteroiden eigentlich anzutreffen sein sollte.

Eigentlich. Für Laurettas Team bedeuteten die sandlosen Bilder von Bennu: Man musste improvisieren. Ein ganzes Jahr lang erkundete OSIRIS-REx daher mit Hilfe eines Laserhöhenmessers jeden Winkel von Bennus Oberfläche. Es entstand ein Relief mit einer Genauigkeit von fünf Zentimetern. Dieses Höhenprofil überlagerten die Forscher mit optischen Aufnahmen, die bei Tiefflügen gemacht wurden und eine Auflösung von 3,5 Millimetern erreichten. Studierende an der University of Arizona, die die Mission leitet, suchten und zählten darauf schließlich alle sichtbaren Brocken mit einer Größe von zwei Zentimetern oder weniger – Steinchen also, die klein genug sind, um von OSIRIS-REx eingesammelt werden zu können. Denn die Sonde hat an ihrem Arm zur Probenentnahme keine simple Grabschaufel; stattdessen wirbelt sie den Untergrund mit einem Gasstoß aus der Stickstoffflasche auf und befördert so das Material in die Filter des Probenbehälters.

Mit dem Kleinbus auf den Tennisplatz

Nach Auswertung all dieser Daten stand das neue Ziel für die Probenentnahme fest. Dort liegt zwar kein Traumstrand, aber immerhin ist es der Ort auf Bennus Oberfläche, an dem sich voraussichtlich am meisten Staub und feines Gestein aufklauben lässt. »Nightingale« haben die Forscher den Krater genannt: Nachtigall.

»Nach Jahren der Planung hängt letztlich alles von fünf oder zehn Sekunden ab«
Mike Moreau, OSIRIS-REx-Projektmanager

Die geplante Landestelle brachte für Lauretta und sein Team allerdings gleich das nächste Problem mit sich: Sie hat nur einen Durchmesser von etwa 16 Metern und damit ein Zehntel der Größe, für die die Landemission eigentlich ausgelegt worden ist. NASA-Wissenschaftschef Zurbuchen vergleicht Nightingale mit einem Tennisplatz, in dessen Mitte ein fliegender Kleinbus aufsetzen soll. Mehr noch: An den Rändern des Platzes stehen Felsen von der Größe eines Hauses. Und auch der Tennisplatz selbst ist alles andere als eben.

»Als wir diese zerklüftete, mit Felsbrocken übersäte Fläche sahen, war uns klar: Wir mussten unsere Landefähigkeiten deutlich verbessern«, sagt Mike Moreau, Projektmanager am Goddard Space Flight Center der NASA. Da jedes irdische Funksignal gut 18 Minuten braucht, bis es OSIRIS-REx in den Tiefen des Sonnensystems erreicht, war an eine Fernsteuerung nicht zu denken. Stattdessen ist die Sonde nun in der Lage, anhand der Bilder, die ihre Navigationskamera von der Asteroidenoberfläche liefert, autonom die eigene Position und Flugbahn zu bestimmen. Außerdem verfügt der Bordcomputer über eine Karte, auf der die Forscher alle gefährlichen Stellen in und um Nightingale eingezeichnet haben.

Kein Sand, stattdessen viele Felsen | Der Landeplatz von OSIRIS-REx ist umgeben von teils haushohen Felsen. Doch einen besseren gibt es nicht auf dem Asteroiden. Die Grafik zeigt die Größe der Sonde zum Zeitpunkt des Aufsetzens.

Beides wird am 20. Oktober eine entscheidende Rolle spielen. Aus einer Höhe von knapp 800 Metern über der Oberfläche beginnt OSIRIS-REx dann den Anflug. Die Sonde klappt ihren mehr als drei Meter langen Arm zur Probenentnahme aus. Sie verliert weiter an Höhe, bis sie 125 Meter hoch über Bennu ihre Triebwerke zündet, um den Endanflug einzuleiten. Die dafür benötigte Richtung und Geschwindigkeit ermittelt der Bordcomputer eigenständig anhand der aktuellen Bilder seiner Kameras.

Gut zehn Minuten später und 50 Meter über der Oberfläche zünden die Triebwerke erneut, so dass OSIRIS-REx über der angepeilten Landestelle verharren und senkrecht absteigen kann. In fünf Meter Höhe berechnet der Computer ein letztes Mal den voraussichtlichen Landeplatz und schaut nach, ob die Stelle auf der abgespeicherten Karte als gefährlich markiert worden ist. Trifft dies zu, bricht OSIRIS-REx den Anflug ab und bringt sich in Sicherheit. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt, so Moreau, bei sechs Prozent.

Ist auf der Karte hingegen alles grün, setzt die zwei Tonnen schwere Sonde um 0.12 Uhr MESZ mit ihrem Probenarm voraus auf Bennu auf. Dann geht alles ganz schnell. Eine Druckflasche feuert ihr Gas ab, die Partikel landen hoffentlich in den Filtern. Und kurze Zeit später zünden schon wieder die Triebwerke, und die Sonde fliegt davon. »Nach Jahren der Planung hängt letztlich alles von fünf oder zehn Sekunden ab«, sagt Mike Moreau.

Die Sonde wiegt die Probe ab

Ob OSIRIS-REx erfolgreich war, werden die Forscher am Tag nach der Landung noch nicht wissen. Dafür müssen sie weitere Tests starten. So sollen Kameras den Probenbehälter in Augenschein nehmen. Und er soll gewogen werden, was in der Schwerelosigkeit ein komplexes Manöver erfordert: Einige Tage nach dem Aufsetzen rotiert die Sonde dazu mit ausgestrecktem Arm um ihre eigene Achse. Ist der Probenbehälter am Ende des Arms gefüllt, wirkt sich dies auf die Kräfte aus, die während der Pirouette wirken. Daraus kann das Team die Masse der eingesammelten Bodenproben errechnen. Ziel sind mindestens 60 Gramm. Die Chance, dass dies gelingen wird, gibt Moreau mit gut 60 Prozent an.

Und falls es weniger sein sollte? Dann beginnt das Abwägen. Zwei weitere Versuche hätte OSIRIS-REx; die dafür nötigen Stickstoffpatronen sind an Bord. Doch sollten die Forscher das Risiko eines zweiten Aufsetzens in felsigem Gelände eingehen? Sollten sie ihre mehr als eine Milliarde Dollar teure Mission gefährden, nur um etwas mehr Staub zu sammeln? »Es ist eine Grauzone«, sagt Lauretta, »wir werden das sicherlich intensiv diskutieren.«

Ende Oktober soll nicht nur feststehen, wie viel Material die Sonde eingesackt hat, sondern auch, ob ein zweiter Versuch nötig sein wird. Der könnte Anfang kommenden Jahres gestartet werden. Ab März ist dann bereits der Rückflug geplant. Und auch ein Datum für die Landung der erhofften Bodenproben in der Wüste von Utah steht schon fest: der 24. September 2023. Nach einer mehr als sieben Milliarden Kilometer langen Reise soll dann der Asteroidenausflug mit Hindernissen zu Ende gehen.

© NASA Goddard
Die Landung auf Bennu (engl.)
Die Teammitglieder über die Schwierigkeiten und das geplante Vorgehen bei der Landung.
© NASA Goddard
Eine Tour über den Asteroiden (engl.)
Geländemerkmale auf Bennu sind nach tatsächlich existierenden und mythologischen Vögeln benannt – so auch die Landestelle »Nachtigall«.

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