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News: Vorausschauendes Sprachzentrum

Unser Sprachvermögen macht uns einzigartig. Sicher, andere Lebewesen kommunizieren auch, aber von keinem anderen ist bekannt, dass es über eine ähnlich komplexe Grammatik oder Syntax verfügt. Diese Regeln erlauben uns, abstrakte Dinge auszudrücken, zum Beispiel, wenn wir Mutmaßungen anstellen oder über Vergangenes oder Zukünftiges reden. Wie wir Sprache lernen, ist unklar. Einige Linguisten glauben, dass unser Gehirn von Natur aus mit grammatikalischem Verständnis ausgestattet wurde. Andere sind eher der Ansicht, dass wir dieses Vermögen erst während unserer Kindheit entwickeln müssen. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Diese Diskussion wird durch eine Veröffentlichung der Emory University und dem Georgia Institute of Technology neu belebt: Die Forscher kommen darin zu dem Ergebnis, dass im so genannten Wernicke'schen Sprachzentrum neben der Sprachverarbeitung auch non-verbale assoziative Prozesse stattfinden, die es uns Menschen ermöglichen, manche Abläufe vorherzusagen (Journal of Neurosciences, 1. März 2000).

Damit ist jedoch keineswegs eine schicksalhafte Deutung irgendwelcher Symbole gemeint, sondern vielmehr das Assoziationsvermögen, das uns warnt: "Wenn dieses Glas auf den Boden fällt, dann geht es kaputt." Oder das Lücken in Bildern oder der Umgangssprache unbewusst ausgleicht, so dass wir den Sinn der Information rekonstruieren können, ohne sie vollständig erhalten zu haben.

"Dass die beiden Bewusstseinsleistungen, Sprachverarbeitung und zukunftsgerichtetes Abstraktionsvermögen, räumlich assoziiert sind, wirft ein vollkommen neues Licht auf die Sprachevolution," resümieren die Forscher um Amanda Bischoff-Grethe. Aus der Perspektive der Informationsverarbeitung ist Sprache nur ein Reiz von vielen, die diese Region aktivieren. Aus evolutionärer Sicht könnte in dem assoziativen Vermögen dieses Areals die Wurzel der Sprachentwicklung liegen. Das heißt, die Entdeckung deutet darauf hin, dass unsere Fähigkeit zur Sprache von der Anlage abstammt , bestimmte Geschehen unbewusst vorherzusehen.

Das Forscherteam stieß auf diesen Zusammenhang, als es untersuchte, welche Hirnareale aktiviert werden, wenn die Probanden bestimmen sollen, welches das nächste Ereignis in einer Sequenzabfolge sein wird. Die Hirnaktivität wurde mittels Magnetresonanz Tomographie aufgezeichnet, während die Versuchspersonen sinnvolle und sinnlose Bildsequenzen betrachteten.

Das Wernicke'schen Sprachzentrum ist ein sensorisches Sprachzentrum und liegt zwischen den Brodmann-Arealen an den Seiten des Gehirns. Bei Rechtshändern sitzt es in der Regel in der linken, bei über der Hälfte aller Linkshänder in der rechten ersten Scheitelwindung der Großhirnrinde. Seit der ersten Beschreibung – 1874 durch den deutschen Neurologen Carl Wernicke – galt die Region als das Zentrum für die Verarbeitung sowohl gesprochener als auch geschriebener Sprache. Patienten, denen diese Region durch einen Unfall zerstört wurde, sind nicht mehr in der Lage, verständlich zu sprechen oder die Sprache anderer zu verstehen.

Die aktuelle Arbeit der Wissenschaftler weist darauf hin, dass die Fähigkeit Sprache zu erkennen darin verwurzelt ist, wie wir Dingen einen Sinn geben; nämlich indem wir sie in einen systematischen Gesamtkontext einbetten. Dessen Einzel-Elemente müssen nicht zwingend aus Worten oder Phrasen bestehen. Auch visuelle Reize können durch das vorausblickend-assoziative Zentrum verarbeitet werden. Sprachliche Informationen sind nach Ansicht der Forscher sogar recht einfach in einen assoziativen Kontext zu stellen, da sie nach normierten grammatikalischen und syntaktischen Regeln formuliert werden.

Möglicherweise führen diese Ergebnisse zu einem besseren Verständnis und zu neuen Möglichkeiten bei der Behandlung der Lernschwäche Dyslexia. Menschen, die daran leiden, haben Schwierigkeiten beim Lesen, weil sie Worte verdrehen oder einzelne Buchstaben vertauschen. Häufig gehen mit den Störungen auch Schwierigkeiten beim Rechnen, Schreiben und Verstehen gesprochener Sprache einher. Nach Ansicht der Forscher gibt es Hinweise darauf, dass Dyslexia eng mit dem Vermögen in Zusammenhang steht, Dinge in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen.

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