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Wandernde Wale: 11 000 Kilometer für die Hautpflege

Nach wie vor ist es ein Rätsel, warum viele Wale jedes Jahr über tausende Kilometer ins Warme wandern. Womöglich liegt der Grund in Äußerlichkeiten.
Zwei Orcas schauen aus dem Wasser

Warum viele Wale zweimal pro Jahr um die halbe Welt schwimmen, ist nach wie vor ein Rätsel. Die arktischen oder antarktischen Gewässer würden ihnen ganzjährig ein reiches Nahrungsangebot bieten, trotzdem nehmen viele Spezies eine Tausende von Kilometer lange Reise Richtung Äquator in Kauf. Brauchen sie die angenehmen Wassertemperaturen, um ihren Nachwuchs zur Welt zu bringen, wie man seit Langem annimmt?

Tatsächlich sei der wahre Grund ein anderer, schreiben nun Forscher um Robert Pitman vom National Marine Fisheries Service im kalifornischen La Jolla im Fachmagazin »Marine Mammal Science«: Der Ausflug in die wärmeren Gefilde könnte es den Tieren erlauben, ihre Haut zu erneuern. Im kalten Wasser würden die Wale die Durchblutung ihrer obersten Hautschichten reduzieren, um Energie zu sparen. Die Folge sei, dass der normale Regenerationsprozess zum Erliegen komme und sich Bakterien, Seepocken und andere Parasiten auf der Haut niederlassen, erkennbar an einem Belag, der schon den Walfängern des 19. Jahrhunderts aufgefallen war. Erst in den wärmeren Zonen würden die Wale wieder Blut durch ihre Haut leiten, und mit runderneuerter Haut träten sie dann den Rückweg an, vermuten Pitman und Kollegen.

Belege dafür haben sie mit Hilfe von 62 Orcas gesucht, die sie per Satellit bei ihrer Wanderung von der Antarktis nordwärts verfolgten. Viele Tiere, die sich im Südatlantik tummelten, wanderten bis vor die Küste Uruguays; im Pazifik beheimatete Tiere zogen bis etwa zum 35. südlichen Breitengrad, nördlich von Neuseeland. Den Rekordhalter unter ihnen beobachteten die Forscher auf über 11 000 Kilometern.

Wie sich die Haut der Tiere auf der Reise veränderte, konnten die Forscher nicht direkt ermitteln. In ihrer Studie argumentieren sie darum nach dem Ausschlussprinzip, wobei sich das Verhalten der Tiere, soweit es aus den Messdaten erkennbar war, als besonders interessant erwies: Die Orcas bewegten sich sehr schnell, verweilten kaum an ihrem nördlichsten Punkt, und auch ihr Tauchprofil passte nicht zur Hypothese, dass sie im Norden auf Nahrungssuche gingen. Für etwaigen Nachwuchs wäre ein solcher Marathon schwer belastend, weshalb sie auch nicht der These folgen, dass im Norden die Jungen zur Welt kämen, zumal man bereits Muttertiere mit Nachwuchs in der Antarktis beobachtet hat.

Auch wenn sie nur Orcas untersuchten, glauben Pitman und Kollegen, dass die Hautregeneration als Zweck der jährlichen Migration ein bei allen Walarten verbreitetes Phänomen sein könnte. In ihrer Studie zitieren sie zahlreiche Beobachtungen aus nord- und südpolaren Gewässern, etwa von Belugas, die sich einmal im Jahr in wärmere Flussmündungen zurückziehen, nach Auskunft örtlicher Inuitjäger, um ihre Haut zu erneuern. Sollten sie Recht behalten mit ihrer Hypothese, hieße dies auch umzudenken, was die evolutionär gesehen ursprüngliche »Heimat« der Wale angehe, schreiben sie in ihrem Aufsatz: Wenn die Tiere das warme Wasser für ihre Hautregeneration brauchen, wären sie wohl eher Geschöpfe gemäßigteren Klimas, die zur Nahrungssuche polwärts wandern, als umgekehrt.

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