Natürlicher Brandschutz: Weidetiere im Einsatz gegen Feuer
Eine Canadair-415 kann innerhalb von zwölf Sekunden rund 6000 Liter Wasser aufnehmen und zielgenau über einem Feuer abwerfen. 13 dieser Propeller-Löschflugzeuge aus Kanada hat die EU im Jahr 2019 angeschafft als Reaktion auf die verheerenden Waldbrände, die in den beiden Jahren zuvor EU-weit mehr als 300 Todesopfer gefordert haben. Es wird nicht die letzte schlimme Waldbrandsaison gewesen sein. Wegen des Klimawandels steigen die Temperaturen, die Sommer werden länger, die Dürreperioden nehmen zu – und damit auch die Zahl der Brände. Die Investition in die Brandbekämpfung ist also durchaus sinnvoll, hat aber ihren Preis: Eine Canadair kostet 30 bis 40 Millionen Euro.
Eine Ziege ist dagegen schon für 100 Euro zu haben, ein Rind oder ein Pferd je nachdem für bis zu 1000 Euro. Selbst eine ganze Herde wäre weit davon entfernt, Millionen zu kosten. Zwar können die Pflanzenfresser keine Brände löschen, sie können sie aber möglicherweise verhindern. Davon ist Guy Pe'er vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung jedenfalls überzeugt: »Große Pflanzenfresser sind in der Lage, die Brandgefahr in der Landschaft teils erheblich zu verringern«, sagt der Ökologe. Pe'er ist Mitautor der Studie »Effects of large herbivores on fire regimes and wildfire mitigation«, die im »Journal of Applied Ecology« erschienen ist. Forschende der Universität Leipzig sowie der Universitäten Wageningen, Porto und Lissabon sind darin der Frage nachgegangen, welche Rolle große Pflanzenfresser bei der Feuerprävention spielen können.
Tiere gemäß ihrer Futtervorlieben einsetzen
Für ihren Übersichtsartikel haben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nach Studien gesucht, die sich mit den direkten oder indirekten Auswirkungen von Pflanzenfressern auf Busch- und Waldbrände beschäftigt haben. Das Ergebnis spricht für sich: 13 von 21 Studien und damit knapp 62 Prozent kamen zu dem Schluss, dass Weidetiere grundsätzlich die Feuergefahr verringern. Auch die meisten anderen Untersuchungen betonen den positiven Effekt der Pflanzenfresser, allerdings in Abhängigkeit von den konkreten Bedingungen vor Ort: Ob es wirklich seltener brennt, hängt von der Jahreszeit ab, der vorhandenen Vegetation und dem Management der Beweidung.
»Es geht vor allem darum, die vorhandene pflanzliche Biomasse zu reduzieren«, sagt Guy Pe'er. Je weniger trockene Gräser oder Gehölze es gibt, desto geringer ist die Chance, dass sie in Brand geraten. Voraussetzung dafür ist, dass die Tiere auch gemäß ihren Futtervorlieben eingesetzt werden. Rinder zum Beispiel sind für Buschland weniger gut geeignet. Ihre Mägen vertragen keine krautigen Pflanzen. Wo also Bäume und Sträucher schon im Keim erstickt werden sollen, sind Ziegen und Schafe die bessere Wahl. Das liegt daran, dass sie auch Zweige, junge Bäume und Rinde fressen. Rinder und Pferde dagegen fressen lieber Gräser (siehe Infokasten). »Am effektivsten ist es in der Regel, wenn verschiedene Pflanzenfresser mit unterschiedlichen Nahrungsspektren eingesetzt werden«, sagt Pe'er.
Welches Tier frisst was?
Ziegen sind bestens dafür geeignet, Trockenstandorte, die zu verbuschen drohen, wieder zu öffnen. Sie decken einen höheren Anteil ihres Futterbedarfs als andere Weidetiere durch Blätter, Rinde und Gehölztriebe (im Schnitt rund 60 Prozent, im Winter auch mehr). Ziegen fressen Sträucher bis in zwei Metern Höhe, dünne Stämme werden niedergedrückt, und auch dornige Sträucher wie Schlehe, Weißdorn und Rosen oder Nadelhölzer wie Kiefern verschmähen sie nicht.
Rinder kommen in trockenen und feuchten Lebensräumen gut zurecht. Zu ihrer Nahrung gehören Gräser, krautige Pflanzen und Gehölze. Aufkommende Triebe werden von Rindern allerdings oft nicht ausreichend eingedämmt. Ideal ist deshalb die Kombination von Rindern mit anderen Tierarten wie zum Beispiel Ziegen.
Pferde fressen selektiver als Rinder und konzentrieren sich stärker auf Gräser. Sie bevorzugen nährstoffreiche, junge Futterpflanzen, fressen aber auch faserreiches, älteres Grünzeug. Gehölzaufwuchs wird von Pferden nicht sehr wirksam reduziert, kann aber bei einer ganzjährigen Beweidung gebremst werden. Pferde sind besonders gut für Habitate geeignet, in denen eine gewisse Bodenöffnung gewünscht ist – weil sie sich auf dem Boden wälzen oder mit den Hufen scharren. Die Bereiche sind wichtig für die Keimung vieler spezialisierter Pflanzen.
Schafe haben über die Jahrhunderte dazu beigetragen, dass Magerrasen, Heiden und Sandhabitate entstanden sind. Viele dieser Lebensräume, die zu den artenreichsten Mitteleuropas gehören, können daher am besten erhalten bleiben, wenn diese extensive Beweidung durch ziehende Schafherden erhalten bleibt. Gehölze werden von Schafen eher verschmäht, im Gegensatz zu Ziegen lassen sich mit ihnen deshalb auch Streuobstwiesen beweiden. Schafe haben eine viel selektivere Fressweise als Rinder oder Pferde – sie bevorzugen junges Futter und meiden ältere und härtere Gräser.
Wisente kommen ohne menschliche Pflege und Hege aus und können daher gut in Regionen eingesetzt werden, in denen die landwirtschaftliche Nutzung aufgegeben worden ist. Wisente ähneln von den Ernährungsgewohnheiten dem Rind, sind jedoch etwas besser an die Verdauung von verholzter Nahrung angepasst. Untersuchungen zur Nahrungswahl ergaben einen Gehölzanteil von maximal 30 Prozent, und das vor allem im Winter. Im Sommer besteht ihre Nahrung überwiegend aus Gräsern und Kräutern. Wisente sind in der Lage, das Gehölzaufkommen einzudämmen. Bis zu zehn Zentimeter dicke Bäume werden während des Fellwechsels umgedrückt oder niedergetreten.
Lässt man verschiedene Tierarten ein Gebiet beweiden, bilden sich mit der Zeit mosaikartige Landschaften. Die Tiere nutzen bestimmte Bereiche und meiden andere, so dass eine Landschaft entsteht, in der sich Wälder, Gehölzinseln und offene Flächen abwechseln. Brände können dort zwar immer noch entstehen. Aber sie können sich nicht so verheerend ausbreiten wie in einer Monokultur oder einer flächig verbuschten Gegend.
Die Studie ist Teil des GrazeLife-Projekts, das im Auftrag der EU-Kommission entstanden ist und unterschiedliche Beweidungsformen daraufhin bewerten soll, ob sie Brände verhindern, zur Klimaanpassung beitragen und die Artenvielfalt erhöhen. »Das Feuer-Management in Europa sollte die Brandprävention viel stärker in den Fokus nehmen«, sagt Pe'er. Bislang investiere die Politik vor allem in die Brandbekämpfung, also in teure Löschflugzeuge und andere Feuerwehrtechnik. »Es gibt aber starke Belege dafür, dass diese Politik der Feuerunterdrückung langfristig zu mehr brennbarer Biomasse und intensiveren und häufigeren Feuern führt.« Diese Entwicklung werde durch die weit verbreitete Aufforstung und die Umwandlung strukturreicher Wälder in Monokulturen noch verstärkt, kritisiert der Wissenschaftler.
Um die positiven Effekte von Weidetieren wirklich nutzen zu können, müsste die Förderpolitik der EU in Zukunft angepasst werden. In der im Jahr 2021 von den Mitgliedsländern neu beschlossenen »Gemeinsamen Agrarpolitik« gibt es nach wie vor eine Flächenprämie. Das heißt, ein Bauer bekommt für jeden Hektar einen definierten Geldbetrag – unabhängig davon, wie er die Fläche bewirtschaftet. Für kleine, traditionell arbeitende Betriebe mit Weidetieren ist das eine echte Benachteiligung: Weil ihre Flächen klein sind, bekommen sie wenig Geld. Für viele Betriebe und Hirten rechnet sich die Arbeit mit den Tieren kaum noch.
Vor allem in Regionen im Mittelmeerraum, in denen die Brandgefahr besonders groß ist, hält auch deshalb die Landflucht an. Nach Berechnungen der EU könnten bis 2030 insgesamt fünf Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche aufgegeben werden. Für insgesamt 56 Millionen Hektar (30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche) ist das Risiko zumindest erhöht. Besonders gefährdet sind ausgerechnet die ökologisch wertvollen, heterogen bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen. Das Risiko, dass die Flächen in Brand geraten – durch den Klimawandel ohnehin schon angefacht –, erhöht sich so noch weiter.
Ländlichen Gebieten wieder Perspektiven eröffnen
»Nötig wäre ein Paradigmenwechsel bei den Fördermitteln – weg von der Flächenprämie, hin zu einer Art Gemeinwohlprämie«, sagt Guy Pe'er. Wenn die Landwirte und Hirten angemessen für die von ihnen erbrachten Leistungen im Bereich der Brandprävention und der Biodiversität bezahlt würden, könnte möglicherweise auch die Landflucht gebremst werden. Jedenfalls bekämen ländliche Regionen auf diese Weise wieder eine Perspektive.
»Ein wichtiger Schritt wäre es auch, Waldgebiete für die Beweidung zu öffnen«, sagt Pe'er. Bislang gibt es EU-Prämien unter anderem für die Bewirtschaftung von Grünland, aber nicht für die von Wald. Dabei wäre eine Beweidung von Waldgebieten ökologisch und wirtschaftlich durchaus sinnvoll. Auch im Wald können Weidetiere das Unterholz und somit die Brandgefahr erheblich verringern. So kann eine offenere, parkähnliche Landschaft entstehen, die wesentlich artenreicher ist als ein dichter, geschlossener Wald.
Eine andere sinnvolle Maßnahme kann es sein, große Pflanzenfresser wie Pferde oder Wisente auszuwildern. »In Gegenden, wo die Bewirtschaftung des Landes schon aufgegeben wurde, könnten wilde oder halbwilde Arten dabei helfen, Brände zu verhindern«, sagt Pe'er. Auch dafür müssten die entsprechenden Fördermöglichkeiten erst noch geschaffen werden. Die Tiere könnten dabei helfen, eine Region wieder zu stabilisieren: Eine Landschaft, durch die Wisente oder wilde Pferde streifen, ist zum Beispiel für den Ökotourismus interessant.
Die Europäische Union muss endlich auch Leistungen anerkennen, die jenseits der unmittelbaren wirtschaftlichen Wertschöpfung liegen
Bei allen Überlegungen zu den Weidetieren geht es nicht darum, wertvolles Ackerland in ausgedehnte Weiden zu überführen. Es wird lediglich nach Möglichkeiten gesucht, wie möglichst viele der kleinen, nachhaltig arbeitenden, landwirtschaftlichen Betriebe erhalten werden können. Und mit ihnen die vielen positiven Aspekte, die mit einer solchen Landnutzung einhergehen.
Das wird jedenfalls nur gelingen, wenn die Europäische Union endlich auch Leistungen anerkennt, die jenseits der unmittelbaren wirtschaftlichen Wertschöpfung liegen. Leicht ist das nicht. Ein neu angeschafftes Löschflugzeug ist ein konkretes Versprechen: Fassungsvermögen von 6000 Litern, vollgepumpt in nur zwölf Sekunden, eine Reichweite von mehr als 2000 Kilometern. Eine Kuh ist dagegen einfach nur eine Kuh, eine Ziege ist eine Ziege. Selbst wenn sie sich über das hoch gewachsene Gras hermachen, sieht man nur Tiere, die fressen – und keine Brandbekämpferinnen.
Trotzdem könnte es klappen mit der Methode, die ein wenig archaisch anmutet: Weidetiere haben in den ländlich geprägten Regionen in Spanien und Portugal, Griechenland, Italien und Kroatien eine lange Tradition. Sie sind fest in den lokalen Kulturen verankert. Es dürfte also nicht allzu schwer sein, wieder mehr Tiere in die brandgefährdeten Regionen zu bringen. Die EU müsste dafür nur die Fördermittel etwas attraktiver gestalten. Mit dem Gegenwert von nur einem Löschflugzeug ließen sich auf diese Weise viele Hektar Wald und Buschland vor der Zerstörung retten.
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