Waldbrände: Wie Technik die Flammen erkennen soll
Ein Mann (eher selten eine Frau), ein Fernglas, ein Ausguck: Mehr brauchte es viele Jahrzehnte lang nicht, um Waldbrände zu entdecken, um zu warnen und um das Schlimmste zu verhindern. Doch der Job ist eintönig, die Feuerwachtürme abgelegen und das Personal teuer – immens teuer sogar, wenn mehrere tausend Beobachtungsstellen besetzt werden müssen.
Viele Länder haben daher die Zahl ihrer menschlichen Feuerspäher reduziert. Technik soll die aufmerksamen Augen ersetzen: am Boden mit Kameras und Sensoren, im Weltall mit Satelliten und sogar in der Cloud, mit Hilfe künstlicher Intelligenz. Vieles davon ist schon einsatzbereit. Noch hat die Technik allerdings mit Problemen und Beschränkungen zu kämpfen.
Mehr als 1000 Kameras beobachten zum Beispiel im Westen der USA das Waldbrandgeschehen. Installiert hat sie die Initiative AlertWildfire häufig auf ausgedienten Feuerwachtürmen, aber auch auf Mobilfunkmasten. Die Kamerabilder, tagsüber aufgenommen im sichtbaren Licht, nachts im nahen Infrarot, werden live ins Netz übertragen. Zudem können Internetnutzer die Kameras steuern, schwenken und zoomen.
Ursprünglich war das System dazu gedacht, Rettungskräften bei eingehenden Notrufen einen Überblick zu verschaffen, so dass sie die Gefahr abschätzen und zielgerichtet alarmieren können. Mittlerweile setzt AlertWildfire, eine Initiative der Universitäten von Nevada, Oregon und Kalifornien in San Diego, aber verstärkt auf Crowdsourcing: Freiwillige sollen, wann immer sie Zeit und Lust haben, einen Blick auf die Kamerabilder werfen und verdächtige Rauchsäulen melden.
KI-gestützte Systeme halten künftig Wache
Aber auch das braucht es womöglich bald nicht mehr: Seit Mai 2021 wertet Sonoma County, ein Landkreis in Kalifornien, der immer wieder von schweren Bränden getroffen wird, die Kamerabilder automatisch aus. Zum Einsatz kommt dabei eine Bilderkennungssoftware des südkoreanischen Unternehmens Alchera. Diese sei, so heißt es auf der Firmenwebsite, mit mehr als zehn Millionen Bildern trainiert worden. Dabei hätten Waldbrände anhand aufsteigender Rauchsäulen in 97 Prozent aller Fälle erfolgreich erkannt werden können.
Deutschland ist schon weiter. Zwar setzen einige Bundesländer in Zeiten hoher Waldbrandgefahr – bei Hitze, Trockenheit, starken Winden und Gewitter – nach wie vor auf Wachtürme, Streifengänge und Aufklärungsflüge. In den besonders gefährdeten Kiefernwäldern Nord- und Ostdeutschlands kommt jedoch seit mehr als zehn Jahren ein automatisiertes System zum Einsatz. Es heißt IQ FireWatch und ist ursprünglich vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zum Studium der Gaswolken eines Kometen entwickelt worden.
Allein Brandenburg, dessen Brandrisiko durch trockene, sandige Böden und Kiefernmonokulturen ähnlich hoch ist wie das südeuropäischer Länder, hat mittlerweile mehr als 100 Videosysteme verbaut. Sie bestehen jeweils aus einer hochauflösenden Schwarz-Weiß-Kamera, die nach typischen Grautönen einer Rauchsäule sucht, aus einer Farbkamera für zusätzliche Bildinformationen sowie einem Sensor, der im nahen Infrarot arbeitet und vor allem nachts zum Einsatz kommt. Auf eine Wärmebildkamera, der nächstliegende Gedanke eigentlich, hat das Entwicklerteam bewusst verzichtet: Brandherde am Boden kann solch ein System vor lauter Bäumen nicht erkennen. Und wenn Baumkronen in Flammen stehen und sich im Wärmebild bemerkbar machen, ist es zu spät. Rauch gilt daher als bester Frühindikator.
Ein neues Panorama alle sechs Minuten
Sechs Minuten brauchen die FireWatch-Kameras, um sich einmal zu drehen und ein 360-Grad-Bild der Umgebung zu liefern. Unter optimalen Bedingungen können sie dabei bis zu 60 Kilometer weit blicken, als realistische Größe gibt Firmenchef Kurt Winter aber 15 Kilometer an. Jede Kamera kann somit 700 Quadratkilometer Wald überwachen. Wichtig sei zudem die Bildqualität: Von Webcams, die ihre Aufnahmen stark komprimieren und dadurch Details verschlucken, hält der IQ-FireWatch-Chef nichts. »Gerade bei der Erfassung von Informationen über große Entfernungen ist es wichtig, möglichst viele Bildinformationen auswerten zu können, insbesondere bei schlechten Wetterbedingungen«, schreibt Winter im »s+s report«, einem auf Sicherheitstechnik spezialisierten Fachblatt.
Bei der Analyse der Aufnahmen setzt die FireWatch-Software nicht nur auf klassische Merkmale wie die Silhouette einer Rauchsäule. Sie verwendet auch Ansätze aus der künstlichen Intelligenz, Deep Learning genannt. Diese ermitteln im Rahmen des Trainings selbst, an welchen Mustern und Kriterien sie sich orientieren, wenn sie nach Waldbränden fahnden. Letzte Instanz bleibt allerdings der Mensch: Er bekommt die Warnbilder der Software auf den Monitor und muss dann entscheiden, ob alarmiert werden soll oder nicht.
Auch bei Satelliten geht ohne künstliche Intelligenz nichts mehr. Die Späher haben bislang allerdings ein grundlegendes Problem: Sie sind entweder zu weit weg oder zu rasant unterwegs. Um sich in einer Umlaufbahn nur wenige hundert Kilometer über dem Boden halten zu können, müssen klassische Erdbeobachtungssatelliten extrem schnell unterwegs sein – viel zu schnell, um die lückenlose Beobachtung einer Region zu gewährleisten. Für das rechtzeitige Alarmieren der Brandbekämpfer sind sie darum nicht zu gebrauchen. Satellitendaten dienen eher dazu, das Waldbrandgeschehen zu verfolgen – so wie beim US-Dienst FIRMS, dessen Weltkarte während der jüngsten Brände Furore in den sozialen Netzwerken gemacht hat.
Mit FIRMS erkennt man weltweit, wo es brennt
Infrarotkameras an Bord von vier Satelliten beobachten für FIRMS die Erde und suchen nach Signaturen von Waldbränden – heißen Stellen inmitten normalerweise unauffälligen Regionen. Das Satellitenquartett überfliegt dazu etwa sechsmal am Tag jeden Punkt der Erde; drei Stunden nach den Beobachtungen tauchen entdeckte Waldbrände als rote Punkte in einer Weltkarte auf. Nicht immer klappt das perfekt: In Deutschland markiert das System auch Stahlwerke oder die chemische Industrie in Ludwigshafen als vermeintliche Waldbrände.
Wenn man nur genügend weit herauszoomt, kann die FIRMS-Karte den Eindruck erwecken, die halbe Welt stünde in Flammen, so groß sind die rot eingefärbten Flächen. Das liegt jedoch daran, dass die Software beim Blick aus der Distanz benachbarte Punkte miteinander verschmelzen lässt. In Wirklichkeit – und beim Hineinzoomen – zeigt sich, dass zwischen den brennenden Stellen große Bereiche liegen, in denen kein Feuer wütet. Auch geben die Satelliten die Lage eines Brandherds nicht exakt an, sondern, bedingt durch die Auflösung des besten Instruments an Bord, innerhalb eines Quadrats mit der Kantenlänge von mindestens 500 Metern. Zudem sagt die Karte nichts über die Ursache des Feuers aus: Ungefährliche Brandrodungen afrikanischer Kleinbauern tauchen darin ebenso auf wie planmäßig gelegtes Feuer in US-Nationalparks, mit denen Ranger das leicht entflammbare Unterholz kontrolliert abbrennen.
Hunderte Schuhschachtel-Satelliten für die Früherkennung
Wer Satelliten zur Frühwarnung einsetzen will, muss ohnehin höher hinaus – zumindest bislang noch: Erst im geostationären Orbit, etwa 36 000 Kilometer über dem Äquator, stehen Satelliten scheinbar über einem Ort still und können darum ohne Unterbrechung Aufnahmen von dem entsprechenden Gebiet unter ihnen liefern. Daten zweier solcher Späher verwendet zum Beispiel das US-Unternehmen Descartes Labs, um Waldbrände zu erkennen. Nur neun Minuten, so heißt es bei Descartes Labs, vergingen zwischen der Aufnahme der Bilder und einer möglichen Warnung.
Weil sie so weit draußen im All postiert sind, liefern die Satelliten allerdings nur grobkörnige Aufnahmen. Die kleinsten Flächen, die das System automatisch nach Bränden absuchen kann, sind zwei mal zwei Kilometer groß. Feuer müssen somit entweder sehr stark sein oder fast die gesamte Fläche ausfüllen. »Unser System soll die menschlichen Fähigkeiten beim Erkennen von Waldbränden nur ergänzen und keinesfalls ersetzen«, schreibt Descartes-Labs-Forscher Clyde Wheeler im firmeneigenen Blog.
Das Münchner Start-up OroraTech geht einen Schritt weiter. Hatte sich das Unternehmen bislang darauf spezialisiert, ähnlich wie Descartes Labs unterschiedliche Satellitendaten auszuwerten und darin nach Waldbränden zu suchen, will es künftig eine eigene Satellitenflotte betreiben.
Mehr als 100 so genannte Cubesats, ein jeder nicht größer als eine Schuhschachtel, sollen dazu in 600 Kilometer Höhe um die Erde kreisen. An Bord wird nicht nur eine Infrarotkamera sein, sondern auch künstliche Intelligenz, um Brandherde direkt zu erkennen. Feuer ab einer Größe von zehn mal zehn Metern sollen sich dadurch innerhalb von 30 Minuten entdecken lassen. Eine erste Testkamera könnte noch dieses Jahr ins All starten. Bis das System einsatzbereit ist, dürfte allerdings noch der ein oder andere Waldbrand ins Land ziehen: Erst in fünf Jahren soll die volle Konstellation aktiv werden.
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