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News: Wandelbares viertes Fliegenchromosom

Bislang galt das winzige vierte Chromosom der Taufliege Drosophila melanogaster als Sinnbild der Stabilität. Änderungen der Gensequenz, die sonst bei allen Genen vorkommen, blieben hier seit siebzig Jahren unentdeckt. Doch bei genauem Hinsehen offenbarte sich: Auch dieses Chromosom besitzt variable Regionen und sichert damit sein Überleben.
Seit 1906 ist die gemeine Taufliege Drosophila melanogaster das Lieblingskind der Genetiker und bevölkert massenhaft ihre Labore. Viele Erkenntnisse der Genetik entstanden durch Manipulation einzelner Fliegeneigenschaften – wie etwa der Augenfarbe oder der Beschaffenheit von Antennen und Flügeln. Auch das Wissen der Embryonalentwicklung beruhte zuerst auf den flinken Tierchen und bescherte Christiane Nüsslein-Volhard 1995 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.

Obwohl sich die Fliege über mangelndes Interesse kaum beklagen kann, galt dem kleinen vierten Chromosom – das nur ein Prozent der Erbinformation beinhaltet – wenig Aufmerksamkeit. Basierend auf den damals beschränkten methodischen Möglichkeiten bescheinigten die Pioniere der Genetik wie Calvin Bridges und der Nobelpreisträger Hermann Muller Chromosom Nummer 4 keinen Austausch genetischen Materials. Diese so genannte Rekombination findet normalerweise während der Bildung von Eizellen oder Spermien statt, wenn gepaarte Chromosomen fleißig Gene untereinander austauschen und so eine gesteigerte genetische Mannigfaltigkeit garantieren.

Am Austausch war der Chromosomenwinzling angeblich nicht interessiert. Sorgte eine Mutation für einen Vorteil, dann setzte sich das komplette neue Chromosom in der Population durch – und nicht nur das vorteilhafte Gen. Damit haben alle anderen Variationen des Gens keine Chance und werden eliminiert. Als sich Martin Kreitman mit seinem Team von der University of Chicago daran machte, ein spezielles Gen auf Chromosom 4 in zehn unterschiedlichen natürlichen Fliegenlinien zu sequenzieren, bestätigte sich die Theorie: Die Gene waren völlig identisch. Aber bei ihrer Arbeit entdeckten die Forscher ein neues Gen, und bei diesem verhielt es sich anders.

Sphinx, das rätselhafte neue Gen, offenbarte etliche Variationen, obwohl es auch auf dem vierten Chromosom lokalisiert ist. Und so nahm das Team Fliegenpopulation aus der ganzen Welt unter die Lupe. Neben einem hohen Grad von Veränderungen in Sphinx fanden die Forscher auch in anderen Chromosomenregionen Abweichungen. Mindestens in sechs Stellen zeigten sich Spuren von Rekombinationen. Nachdem Studienleiter Manyuan Long und seine Mitarbeiter bei vielen unterschiedlichen Taufliegen multiple Stellen entdeckten, unterteilten sie das Chromosom in drei Bereiche.

Nahe dem Anheftungspunkt der Mitosespindel, dem Centromer, war die Basenfolge stabil und stets identisch. Die zentrale Region rund um Sphinx zeigte normale Variationsvorkommen, und der dritte, weiter entfernt liegende Bereich, hatte eine niedrige Änderungsquote. "Dies deutet darauf hin, dass das vierte Chromosom sich nicht als einzelne Einheit weiter entwickelt", schlussfolgert Long. "Unterschiedliche Regionen scheinen unterschiedliche evolutionäre Geschichten zu haben."

Noch eine zweite Überraschung wartete auf die Forscher: Sie stießen in der hoch variablen Region auf ein ungewöhnliches Verteilungsmuster. Zwei unterschiedliche Versionen dieses Bereiches traten in den Fliegenpopulationen rund um die Welt immer im gleichen Verhältnis auf. Und so steht für die Forscher fest: Auch auf ihrem kleinsten Chromosom müssen die Fliegen Information austauschen, um ihr Überleben sichern zu können.

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