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Covid-19: Wann erreicht die Coronavirus-Infektionswelle ihren Höhepunkt?

Das fragen sich auch die Behörden. Die Prognosen schwanken allerdings heftig: Manche besagt, dass sich das Coronavirus fortan langsamer verbreiten wird. Andere kommen zu dem Ergebnis, dass sich zeitnah noch weitere Millionen Menschen anstecken werden.
Zwei Junge Männer mit Mundschutz gucken auf ihre Handys, um den neuesten Spektrum-Artikel über das Coronavirus zu lesen.

In China steigt die Zahl der Coronavirusinfektionen täglich weiter um Tausende – Grund genug für Epidemiologen, den Höhepunkt des Ausbruchs nun möglichst genau vorherzuberechnen. Einige von ihnen vermuten, dass der Gipfel – also der Tag, an dem die Zahl der Neuinfektionen den höchsten Stand hat – jederzeit erreicht sein könnte. Andere schätzen, dass bis dahin noch Monate vergehen, in denen das Virus Millionen von Menschen infizieren wird – oder vielleicht sogar, nach einer Prognose, Hunderte von Millionen.

Die Gesundheitsbehörden möchten den Peak der Infektionswelle und die Zahl der Krankheitsfälle vor allem abschätzen, um die Krankenhäuser gezielter vorbereiten und vorhersehen zu können, ab wann Reisebeschränkungen ohne Risiko aufzuheben sind. Wuhan, die Stadt im Zentrum der Epidemie, und mehrere andere Städte in der Nähe sind seit Ende Januar abgeriegelt.

Den Infektionspeak vorherzusagen, kann also aufschlussreich sein. Forscher warnen aber, dass es gar nicht so leicht wird, die eine wirklich exakte Prognose zu liefern. Das gilt vor allem, wenn die in die Modellrechnungen einfließenden Daten unvollständig sind. Oder wie Brian Labus, ein Epidemiologe der University of Nevada in Las Vegas, zusammenfasst: »Wenn man Vorhersagen jede Woche revidiert und sagt, dass der Ausbruch in ein oder zwei Wochen seinen Höhepunkt erreicht, dann wird man irgendwann immer Recht haben.«

Optimistisches Szenario

Am 11. Februar sagte der bekannte chinesische Mediziner Zhong Nanshan – der Leiter einer Expertengruppe, die bei der Kontrolle des Ausbruchs hilft –, dass das Coronavirus möglicherweise Ende Februar den Infektionspeak erreichen wird. Zhong, prominent als Entdecker des SARS-Virus, sagte, die Situation habe sich durch staatliche Kontrollmaßnahmen wie Reisebeschränkungen und verlängerte Ferien verbessert. Es herrschten aber zugegebenermaßen noch immer »schwierige Zeiten« in Wuhan.

Lesen Sie mehr zum Thema in unserer ausführlicher Coronavirus-FAQ. Unter anderem:
- Wie ansteckend ist Covid-19?
- Wann wird es einen Impfstoff geben?
Alle Artikel über das neue Coronavirus, das sich weltweit verbreitet, finden Sie auf unserer Themenseite.

Bisher wurde die gerade COVID-19 getaufte Krankheit in China bei mehr als 70 000 Menschen bestätigt. Viele Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass die Zahl der Fälle höher ist als berichtet: Vermutlich gebe es in China zu wenige diagnostische Tests und Mitarbeiter des Gesundheitswesens, um alle Fälle zu bestätigen. Einige Forscher werfen auch die Frage auf, ob Zhong angesichts der Auswirkungen des Ausbruchs auf die Wirtschaft und die Gesellschaft nur Beruhigungspillen zu verteilen versucht.

Aber: Mindestens ein Modell bestätigt die Einschätzung von Zhong. Diese Vorhersage stammt von Forschern der London School of Hygiene and Tropical Medicine und prognostiziert, dass der Höhepunkt nun jederzeit erreicht sein kann. Laut dem Statistikexperten Sebastian Funk, der Infektionskrankheiten modelliert und die Analyse mit verfasst hat, beruht die Vorhersage auf der Schätzung, dass eine infizierte Person in Wuhan im Durchschnitt zwischen 1,5 und 4,5 andere angesteckt hat (man spricht hier von der effektiven Reproduktionszahl des Virus oder R), bevor die Reisebeschränkungen am 23. Januar eingeführt wurden. Funk schätzt, dass in der Spitze etwa eine Million Menschen, etwa zehn Prozent der Bevölkerung Wuhans, infiziert sein werden.

Funk hat die noch in einem Peer-Review-Verfahren von andern Fachleuten geprüfte Analyse am 12. Februar auf der Website seines Instituts veröffentlicht. Er sagt zudem, dass ein Rückgang der Zahl der neuen Fälle und Todesfälle in Wuhan darauf hindeutet, dass die Infektionen möglicherweise bereits ihren Höhepunkt erreicht haben (am 13. Februar wurden zwar mehr als 14 000 neue Fälle gemeldet, dieser Anstieg sei aber kein echter Anstieg der Fallzahlen, sondern darauf zurückzuführen, dass die Behörden die Vorgehensweise der Falldiagnose zwischenzeitlich verändert haben).

Im schlimmsten Fall

Andere Forscher halten solche Vorhersagen für zu optimistisch. Schließlich seien in den meisten chinesischen Städten die Menschen letzte Woche nach einem längeren öffentlichen Feiertag wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt – was die Möglichkeit neuer Übertragungsketten eröffnet, sagt Hiroshi Nishiura, Epidemiologe an der Hokkaido University in Sapporo, Japan.

Nishiura stützt sich auf eine Modellvorhersage, nach der der Ausbruch irgendwann zwischen Ende März und Ende Mai seinen Höhepunkt erreichen wird. Zum jetzigen Zeitpunkt, sagt er, werden bis zu 2,3 Millionen Fälle an einem einzigen Tag diagnostiziert. Insgesamt schätzt er, dass zwischen 550 Millionen und 650 Millionen Menschen in ganz China infiziert sein werden, was etwa 40 Prozent der Bevölkerung des Landes entspricht. Nishiura sagt, dass etwa die Hälfte dieser Menschen Symptome zeigen wird.

Nishiura hat das Modell mit seiner Vorhersagemethodik beim Preprint-Server medRxiv eingereicht. Sein Team habe in die Prognose das dem neuen Virus innewohnende Übertragungspotenzial einfließen lassen – die mit R zusammenhängende so genannte Basis-Reproduktionszahl R0, deren Wert allerdings auf der Annahme basiert, dass jeder in der Bevölkerung für eine Infektion anfällig ist. Das Nishiura-Team schätzt R0 auf 1,5 bis 2.

Dem Experten zufolge ist sein Modell recht vereinfacht, weil es eben davon ausgeht, dass jeder Mensch der Bevölkerung anfällig ist. Zugleich nimmt es die Vorstellung auf, dass viele Infizierte entweder keine Symptome zeigen oder nicht zu krank sind, um sich in medizinische Behandlung begeben zu können. Wenn beides der Fall ist, so Nishiura, dann unterschätzt die aktuelle Zahl der gemeldeten Fälle die Zahl der tatsächlich Infizierten deutlich.

Der Epidemiologe Gabriel Leung von der University of Hong Kong hält die Berechnungen von Nishiura für glaubwürdig. Die Bevölkerung habe keinen Immunschutz gegen das SARS-CoV-2-Virus, den Erreger von COVID-19 – und so werde es sich durchsetzen. Diese Schätzungen würden sich zwar extrem anhören, sagt der Forscher, es sei aber auch immer noch nicht klar, wie tödlich das Virus ist. Die jüngste Berechnung der Sterblichkeitsrate – veröffentlicht in einer Studie von Zhong am 9. Februar – geht davon aus, dass auf 100 Fälle etwa 1,36 Todesfälle kommen. Diese Zahl ist allerdings wahrscheinlich zu hoch, weil die Autoren weniger schwere Fälle nicht berücksichtigt haben. Außerhalb Chinas wurden in 500 Fällen zwei Todesfälle gemeldet.

Quarantänemaßnahmen

Leung sagt, es sei auch unklar, welche Auswirkungen die Kontrollmaßnahmen – also Reiseverbote und Quarantänen – auf den Zeitpunkt und die Höhe des Infektionspeaks haben. In die Modelle von Nishiura und Funk sind die möglichen Folgen Maßnahmen nicht eingeflossen, schon weil ihre Wirksamkeit schwer einzuschätzen ist. Viele Experten vermuten, dass die Kontrollmaßnahmen die Zahl der Infizierten am Ende womöglich gar nicht eindämmen. Sie könnten allerdings die Zeit bis zum Höhepunkt der Epidemie verlängern, weil sie die Übertragung verlangsamen, sagt Leung.

Wichtig sei, erklärt Leung, dass sich auf dem Höhepunkt der Infektionswelle möglichst wenige Menschen angesteckt haben: Wenn alle gleichzeitig krank werden, »kommt die ganze Gesellschaft zum Stillstand«, sagt er. Dies würde die Gesundheitsdienste überfordern und weitere Tote fordern.


Der Artikel ist im Original »When will the coronavirus outbreak peak?« in »Nature« erschienen.

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